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Der gefährlichste Job beim LKASo arbeitet die „Tatortgruppe-Sprengstoff“

Lesezeit 4 Minuten
Zwei Mitarbeiter der Polizei knien neben einem Blindgänger.

Wenn ein Blindgänger gefunden wird, dann muss die „Tatortgruppe-Sprengstoff“ tätig werden. (Symbolbild)

Wenn Banden Geldautomaten sprengen und Kriminelle Bomben bauen, beginnt der Einsatz von Andreas Otte und seinen Entschärfer-Kollegen.

Andreas Otte gehört zu einer kleinen, exklusiven Gruppe im Landeskriminalamt (LKA), der nicht viel an öffentlicher Aufmerksamkeit gelegen ist. Zum ersten Mal gestattet jetzt die „Tatortgruppe Sprengstoff/Brand und USBV-Entschärfung“ einen Einblick in ihre explosive Arbeitswelt. Otte und seine insgesamt 17 Kolleginnen und Kollegen sind immer dann gefragt, wenn Kriminelle oder Freizeit-Pyrotechniker mit hochgefährlichen Sprengstoffen experimentieren. Sie sind die Entschärfer des LKA.

In einem stillen Flur des LKA schlägt das Herz der Tatortgruppe Sprengstoff. Die Deko in ihrem Aufenthaltsraum erinnert an ein Militärmuseum: Panzerfäuste und -granaten hängen an Decke und Wänden, in Regalen stehen Patronenhülsen, in einer Ecke lehnt eine Rakete. Ein Dutzend Beispielvarianten von Zündern, die Sprengvorrichtungen zur Auslösung bringen können,  sind auf Holzplatten montiert.

Ermittler lesen die „Handschrift“ der Automatensprenger

„Unsere Aufgaben sind erstens Sprengstoffermittlungen und zweitens die USBV-Entschärfung“ erklärt Andreas Otte, ein drahtiger 52-jähriger Polizist aus Gelsenkirchen, der der Gruppe schon seit neun Jahren angehört. USBV steht für „Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung“. Das sind Spreng- und Brandsätze, die Verbrecher zusammenbasteln, um zum Beispiel Geldautomaten zu sprengen und Attentate zu verüben oder die leichtsinnige Hobby-Pyromanen bauen, um ein neues Jahr nicht mit Feuerwerk, sondern mit einem Sprengsatz zu begrüßen. Die an die Bezirksregierungen angedockte Kampfmittelbeseitigungsdienst beschäftigt sich dagegen vor allem mit der Entschärfung von Kriegsmunition, also mit „konventionellen“ Kampfmitteln.

Geldautomatensprenger halten die LKA-Beamten der Tatortgruppe Sprengstoff in NRW seit etwa fünf Jahren in Atem. „Zunächst experimentierten diese Banden mit Gas, später schoben sie Sprengsätze mit einer Art Pizza-Schieber in die Automaten. Sie passen ihre Methoden an die Sicherung der Automaten an“, erklärt Otte. Die Ermittler lesen die „Handschrift“ der Automatensprenger und tauschen sich mit ihren Kollegen in den Niederlanden aus, denn viele Automatensprenger kommen aus diesem Nachbarland. Wenn, was durchaus öfter vorkommt, ein nicht explodierter Sprengsatz noch im Automaten steckt, ist die Entschärfer-Expertise der Tatortgruppe gefragt.

Die Tatortgruppe ermittelte bei einigen der brutalsten Verbrechen in der Landesgeschichte. „Denken Sie an den Nagelbomben-Anschlag vor 20 Jahren in der Kölner Keupstraße, an den Anschlag eines Erpressers auf den BVB-Bus im Jahr 2017 oder an die Amokfahrt eines Attentäters an der Gaststätte ,Kiepenkerl‘ in Münster“, sagt Otte. Der Attentäter in Münster habe unter anderem Pyrotechnik mitgeführt, und die Entschärfer befürchteten zunächst, der Mann habe eine Sprengfalle in seinem Auto.

Entschärfungs-Roboter sind so robust wie Panzer

Einmal entdeckten Polizisten bei einer Drogen-Hausdurchsuchung im Rheinland einen Karton mit Sprengstoff, den die Tatortgruppe gleich vor dem Haus in einem Erdlochloch sprengen musste. „Da gingen Fensterscheiben zu Bruch. Wenn diese Substanz in der Wohnung explodiert wäre, wäre dort keiner lebend rausgekommen“, erinnert sich Entschärfer Otte.

Fokussiertes Arbeiten, selbst dann, wenn wie damals in Münster eine ganze Stadt in Aufruhr sei, das zeichne die Tatortgruppe aus, betont Otte. „Das ist mit nichts zu vergleichen. Wir sind eine kleine, besonnene, kollegiale Truppe. Routine wäre lebensgefährlich“, so der Gelsenkirchener. Von schweren Unfällen blieben er und seine Kolleginnen und Kollegen bisher zum Glück verschont.

Das liegt auch an der Hilfe von „Theodor“ und „Tele-Max“. Das sind zwei etwa 300 Kilo schwere „Manipulatoren“ – Entschärfungs-Roboter -- , die in den Spezial-Lkw des LKA zu Tatorten gefahren werden. Sie sind ähnlich robust wie Panzer, rollen auch auf Ketten, können aber nicht in jedem Szenario zum Einsatz kommen.

„Arbeitskleidung“ ist rund 40 Kilogramm schwer

Und so gibt es Einsätze, in denen sich die Polizistinnen und Polizisten dem Sprengsatz persönlich nähern. Andreas Ottes Entschärfer-Ausrüstung liegt auf den drei Etagen eines Rollwagens. Das Herzstück ist der Schutzanzug. Diese „Arbeitskleidung“ ist rund 40 Kilo schwer, stammt aus Kanada und ist so teuer wie ein Auto der gehobenen Mittelklasse. Allein der hintere Teil der Jacke wiegt zehn, der vordere fünf Kilo. Die Hülle ist aus reißfestem Kevlar, darunter stecken „Trauma-Platten“ aus Keramik, die den Körper vor Druck und Splittern schützen sollen.

Andreas Otte ist schlank und sportlich, aber dieser Anzug scheint sich dagegen zu wehren, angezogen zu werden. Eine gute Viertelstunde dauert es mit fremder Hilfe, bis er am Körper sitzt. Trotz der Kälte im Innenhof des LKA-Gebäudes schwitzt Otte. Er ähnelt nun einem „Michelin-Männchen“ in der Farbe „Navy-Blau“. In einer Tasche hinten am Anzug steckt eine Batterie, die die Montur mit Strom versorgt, denn die Entschärfer benötigen Licht und Luft. Ohne Frischluft würde der Helm beschlagen. Kurios: Die explosionssicher eingepackten Entschärfer tragen keine Handschuhe, denn das würde die Feinarbeit behindern, außerdem gebe es keine Handschuhe, die explosionssicher seien. Otte kommentiert es mit dem schwarzen Humor des Entschärfers: „Die Hände wären Kollateralschäden.“


Die Tatortgruppe Sprengstoff

Im LKA gibt es seit 1981 eine Tatortgruppe Sprengstoff. Heute gehören ihr zwei Polizistinnen, 13 Polizisten und drei Regierungsbeschäftigte an. Zuletzt hatte die Gruppe jährlich etwa 800 Einsätze in NRW und in anderen Bundesländern, darunter rund 300 Entschärfungen. Ihre Spezial-Ausbildung beim Bundeskriminalamt dauert bis zu drei Jahre. Die Tatortgruppe des LKA in NRW hat gerade zwei neue hochmoderne Entschärfer-Lkw bekommen: Wert: 3,4 Millionen Euro. In den vergangenen zehn Jahren legten die Beamten rund 400.000 Kilometer in ihren Lkw zurück, meist in NRW, aber auch bei Einsätzen in anderen Bundesländern.