Vor allem die USA sollen noch fester eingebunden werden. Zudem soll ein neues Gesetz wehrpflichtige Ukrainer im Ausland zur Rückkehr zwingen. Ob die Strategie aufgeht?
Rundschau-Debatte des TagesKann Kiews Strategie gegen Russland aufgehen?
Mit einem bilateralen Sicherheitsabkommen wollen die Ukraine und die USA nach Darstellung Kiews noch enger zusammenrücken.„Wir arbeiten bereits an einem konkreten Text“, kündigte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Videoansprache am Sonntagabend an. Es solle das stärkste aller Sicherheitsabkommen werden – noch stärker als jene, die das von Russland angegriffene Land in den vergangenen Monaten mit verschiedenen europäischen Staaten geschlossen hat.
Was das Abkommen bringen soll
Selenskyj machte noch keine Angaben dazu, wann das Abkommen zwischen Kiew und Washington unterzeichnet werden soll. „Wir arbeiten auch an der Festlegung spezifischer Unterstützungsniveaus für dieses Jahr und für die nächsten zehn Jahre“, umriss Selenskyj die geplante Vereinbarung mit den Vereinigten Staaten. Dazu gehöre militärische Unterstützung, finanzielle Unterstützung, politische Unterstützung sowie Unterstützung für die gemeinsame Waffenproduktion. „Das Abkommen sollte wirklich beispielhaft sein und die Stärke der amerikanischen Führung spiegeln“, so Selenskyj.
Wie Washington Kiew bereits unterstützt
Die USA sind schon jetzt der wichtigste Unterstützer der Ukraine in ihrem Abwehrkrieg gegen Russland. Jüngst hat der US-Senat ein weiteres Hilfspaket im Umfang von umgerechnet 57 Milliarden Euro gebilligt, das der in Bedrängnis geratenen ukrainischen Armee helfen soll.
Warum ein Friedensschluss so schwierig ist
Die ukrainische Führung hält an der für Juni geplanten Friedenskonferenz in der Schweiz fest und hofft dabei auf Beistand aus aller Welt. Die Weltgemeinschaft sollte vor allem Russland zur Teilnahme an der Konferenz bewegen, forderte Selenskyj.„Im Juni könnte somit der Weg zu einem gerechten Frieden beginnen.“ Moskau und Kiew haben jedoch sehr unterschiedliche Vorstellungen von einem Kriegsende. Russland hat die besetzten Gebiete in der Ukraine, einschließlich der Halbinsel Krim, annektiert und zum eigenen Staatsgebiet erklärt. Zudem strebt der Kreml die Einsetzung einer Moskau-freundlichen Regierung in Kiew an. Die Ukraine wiederum fordert den vollständigen Abzug aller russischen Truppen von ukrainischem Staatsgebiet, einschließlich der Krim. Der Friedensplan Kiews sieht zudem russische Reparationszahlungen vor sowie ein internationales Tribunal, das alle Verantwortlichen in der russischen Politik und Militärführung für den Angriffskrieg bestraft.
Was die Lage im Kriegsgebiet verschärft
Für die Verteidiger der Ukraine gestaltet sich die Lage an den Fronten im Osten des Landes derweil brenzlig. Armeechef Olexander Syrskyj gestand am Wochenende Rückschläge ein. Vor allem westlich der nach schweren Kämpfen aufgegebenen Städte Awdijiwka und Marijinka hätten russische Einheiten die ukrainischen Verbände zurückgedrängt, berichtete er auf der Plattform Telegram. Die ukrainische Führung habe inzwischen weitere Soldaten in das umkämpfte Gebiet geschickt. Vor Ort sei die Lage „äußerst dynamisch“, Stellungen würden immer wieder an die Gegenseite verloren und dann zurückerobert. „Insgesamt erzielte der Feind in diesen Gebieten einige taktische Erfolge, konnte aber keinen operativen Vorteil erringen“, schrieb Syrskyj. Auch der ukrainische Generalstab berichtete in seinem Lagebericht täglich von schweren Kämpfen, in deren Verlauf die russischen Truppen massiv von Luftwaffe und Artillerie unterstützt worden seien. Das genaue Ausmaß der Frontveränderungen war von unabhängiger Seite nicht zu bewerten.
Wie Kiew an neue Soldaten kommen will
Die Militärführung der Ukraine braucht Soldaten, um sie in die schwer umkämpften Gebiete zu schicken. Das besorgt viele Ukrainer, die derzeit im Ausland leben, sie befürchten, für ihr Heimatland in den Krieg eingezogen zu werden. Anzeichen dafür gibt es. So hat die Regierung in Kiew erklärt, dass es Männern im wehrfähigen Alter – gemeint ist von 18 bis 60 Jahren – nur noch in der Ukraine selbst möglich ist, Pass-Angelegenheiten zu erledigen. Auf diesem Weg könnten Ukrainer im Ausland gezwungen werden, ins eigene Land zurück zu reisen – um dann vor Ort für die schwächelnde Front rekrutiert zu werden.
Warum es in Polen zu Tumulten kam
Das Gesetz tritt bereits am 18. Mai in Kraft, weshalb es kurz nach Bekanntgabe der Pläne etwa bei der Passstelle im polnischen Warschau zu einem enormen Ansturm gekommen ist. Die Passstelle ist eine Art kommerzialisiertes Konsulat mit schnelleren Bearbeitungszeiten. Doch nach dem Bescheid aus Kiew brach das System in der Warschauer Passstelle zusammen, es kam zu Tumulten. „Zurzeit geben sie nur Pässe an Kinder unter zwölf aus“, sagte ein Mann Ende dreißig, der sich ein wenig befragen ließ und sogar freundlich blieb. Der IT-ler mit Arbeitsplatz in Großbritannien hatte hier seinen Pass beantragt und muss ihn hier auch wieder verlängern lassen. An den zufälligen Ausfall der Datenverarbeitung glaube er – wie wohl auch andere Anwesenden – nicht. Er wird wohl wieder zurück fliegen und herkommen, wenn das System wieder funktioniert – wenn. Seit der russischen Aggression Anfang 2022 ist es wehrfähigen ukrainischen Männern eigentlich verboten, das Land zu verlassen. Doch rund 650.000 sollen dies geschafft haben, schreibt die „Zeitschrift Politico“.
Warum Ukrainer eine Rückkehr fürchten
Wie so viele will auch der IT-ler nicht eingezogen werden. „Mein Bruder wurde beim Einsatz an der Wirbelsäule verletzt, er bräuchte eine lange Rehabilitierungsphase, aber sie schicken ihn demnächst wieder hin“, erzählt er. „Wenn er zurück kommt, wird er ein Krüppel sein, der nichts mehr zählt. Ich werde für ihn aufkommen müssen.“ „Eine Fleischerei“ nennt ein anderer Mann die Front. Da der Marinetechniker nach der russischen Aggression das Land verlassen hat, müsste er umgerechnet 25.000 Dollar Strafe zahlen, sollte er wieder im Vaterland aufkreuzen.
Wie die Reaktionen ausfallen
In Deutschland will man am Schutzstatus der Ukrainer nichts verändern, auch bei Männern nicht, so das Innenministerium. Anders sieht es in Polen aus, wo etwa drei Millionen ukrainische Staatsbürger leben. „Polen ist bereit, hier der Ukraine zu helfen“, sagte Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz. (mit dpa)