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Interview

Christian Dürr (FDP)
„Wir haben jetzt die Chance zu beweisen, dass die demokratische Mitte Lösungen bietet“

Lesezeit 6 Minuten
Christian Dürr, FDP-Fraktionsvorsitzender, spricht in der Generaldebatte um den Haushalt 2025 im Bundestag.

Christian Dürr, FDP-Fraktionsvorsitzender, spricht in der Generaldebatte um den Haushalt 2025 im Bundestag.

Bundestagsfraktionschef der FDP, Christian Dürr, über die Lösung des Migrationsproblems, über die Schwäche seiner Partei und die Subventionierung von E-Autos.

Die FDP ist angeschlagen, taumelt in Umfragen derzeit bei vier Prozent. Im Interview mit Lars Laue gibt sich Bundestagsfraktionschef Christian Dürr (47) dennoch gelassen – und nennt sein Rezept für die Lösung des Migrationsproblems in Deutschland. Für politische Lösungen sieht er nicht nur die Ampelkoalition in der Pflicht, sondern auch die Union.

Herr Dürr, sehen Sie sich schon langsam nach einem neuen Job um?

Als Parlamentarier ist man auf vier Jahre gewählt. Das ist ein Amt auf Zeit. Und gleichzeitig habe ich Lust, auch weiterhin Politik zu gestalten.

Die FDP taumelt derzeit am Rande der Todeszone. Woran liegt der Absturz der Liberalen? Möglicherweise daran, dass die FDP häufig als Störenfried in der Ampel wahrgenommen wird?

Es braucht halt jemanden, der einen sehr klaren Kompass hat. Dadurch ist man nicht immer der Beliebteste. Aber die Alternative, die eigenen Positionen zu räumen, wäre falsch. Wir haben gehalten, was wir versprochen haben in dieser Koalition. Zwei Beispiele: Die Schuldenbremse wird eingehalten und es gab keine Steuererhöhungen, sondern im Gegenteil, es gibt steuerliche Entlastung für die hart arbeitende Mitte. Wir werden auch künftig nicht ruhig bleiben, sondern insbesondere am wirtschaftlichen Fortschritt arbeiten, um Deutschland wieder nach vorne zu bekommen, zurück in die Champions League. Ja, die FDP ist eine Partei, die manchmal ungeduldig ist, einen Schritt weiter gehen will und dafür kämpft, dass das Land wieder erfolgreich ist. Das führt hin und wieder zu Konflikten, das gebe ich zu.

„Die breite öffentliche Inszenierung von internen Meinungsverschiedenheiten hat zu einem sehr schlechten Gesamteindruck geführt. Den Löwenanteil an letzterem hat die FDP zu verantworten.“ Wissen Sie, von wem dieses Zitat zur Ampel stammt?

Ich kann mir gut vorstellen, dass Stephan Weil das gesagt hat.

Korrekt. Was entgegnen Sie Ihrem Ministerpräsidenten aus Niedersachsen?

Die Unterschiedlichkeit von Parteien, auch innerhalb der Koalition, ist mit Händen zu greifen. Ich glaube, was Menschen nervt, ist, wenn Politik sich über Politik unterhält, aber nicht über die Probleme des Landes oder der Menschen. Da kann sich die Ampel-Koalition in der Tat an die Nase fassen, aber auch die Union ist in der Pflicht. Wir haben jetzt die Chance zu beweisen, dass die demokratische Mitte auch Lösungen anbieten kann. Deshalb ist es gut, dass die Union das Angebot von Christian Lindner zur Ordnung der Migration annehmen will und an den Verhandlungstisch zurückkommt. Das erwarten die Menschen auch.

Wie kann Deutschland die Zuwanderung denn aus Ihrer Sicht in den Griff bekommen?

Das furchtbare Attentat von Solingen hat eines gezeigt: Bund und Länder müssen zusammenarbeiten. Der Attentäter von Solingen war vollziehbar ausreisepflichtig. Schon nach geltender Rechtslage hätte er nicht mehr in Deutschland sein dürfen. Die Realität war, wie wir traurigerweise festgestellt haben, aber eine andere. Jetzt wäre es einfach, als Bundespolitiker auf die schwarz-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen zu zeigen. Das tue ich aber nicht.

Sondern?

Meine Bitte ist, dass alle Parteien der Mitte – die Koalitionsparteien sowie CDU und CSU – und alle 16 Bundesländer gemeinsam mit dem Bund handeln. Es braucht Ordnung und Kontrolle in der Migration. Recht und Gesetz müssen durch- und umgesetzt werden. Genauso aber sind und bleiben Menschen herzlich willkommen, die aus anderen Teilen der Welt zu uns zu kommen, um ranzuklotzen, sich zu integrieren, die deutsche Sprache zu lernen, Lust auf unser Land haben. Eine gute Migrationspolitik besteht aus Kontrolle und Ordnung auf der einen Seite und Weltoffenheit für Leistungsträger auf der anderen Seite. Um es in einem Satz zusammenzufassen: Es muss leichter sein, nach Deutschland zu kommen, um zu arbeiten, als nach Deutschland zu kommen, um nicht zu arbeiten.

Olaf Scholz wird immer wieder Führungsschwäche vorgeworfen. Wie erleben Sie den Bundeskanzler?

Ich glaube, man kann nicht erwarten, dass einer auf den Tisch haut und dann spuren alle. So funktioniert eine Koalition aus drei Parteien auch nicht.

Wir erinnern uns noch an ein Selfie, das nach der Bundestagswahl im Jahr 2021 entstand. Es zeigt Volker Wissing und Christian Lindner von der FDP mit den Grünen-Politikern Robert Habeck und Annalena Baerbock. Dazu der Text: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“ Hörte sich einst hoffnungsvoll an, endete aber in einer Bruchlandung. Warum?

Ich glaube, die größte Zäsur war sicherlich der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der sehr viel verändert hat. Die Friedenssituation in Europa hat sich leider geändert. Wir haben eine Energiekrise in Deutschland erlebt und das hat natürlich auch zu Stress in der Regierung geführt. Trotzdem haben wir diese gut in den Griff bekommen. Die Leute fragen allerdings nicht nach unseren Befindlichkeiten, sondern zu Recht danach, welche Lösung wir anbieten.

Und, welche wäre das?

Was diese Koalition einigen sollte, ist, dass nach Jahren des Stillstands, fast zwei Jahrzehnte, Deutschland wirtschaftlich wieder nach vorne strebt. Das muss das Ziel sein.

Die FDP gilt auch als Autofahrer-Partei. Was halten Sie persönlich von E-Autos?

Ich glaube nicht, dass Politiker darüber entscheiden sollten, was der Antrieb der Zukunft ist, wie produziert wird, welche Produkte produziert werden. Ich will nur an die durch den Steuerzahler finanzierten milliardenschweren Subventionen für E-Autos erinnern, die wir ganz bewusst abgeschafft haben.

Stephan Weil denkt bereits laut über eine Wiedereinführung der Prämie für private E-Auto-Käufer nach.

Ich halte das für abwegig, und zwar aus folgendem Grund: Als wir die E-Auto-Prämie abgeschafft haben, konnten wir feststellen, dass die Preise gesunken sind. Das ist ja eine spannende Beobachtung, weil der Markt sich selbst reguliert hat. Ernsthaft zu glauben, dass man Elektroautos durch Subventionen in den Markt drücken könnte und dass das eine nachhaltige Strategie ist, war schon immer Irrsinn.

Hört sich nicht so an, als seien Sie ein großer E-Auto-Fan.

Ich bin offen für E-Autos, so wie ich offen bin für jede Form des Antriebs, weil das Gebot der Stunde Technologieoffenheit heißt. Ich als Niedersachse sehe ja gerade, wie dramatisch die Situation für einen großen Automobilhersteller werden kann, wenn durch europäische Vorgaben ein Unternehmen geradezu totreguliert wird. Diese Art der bevormundenden, besserwisserischen Industriepolitik muss vorbei sein. Volkswagen hilft man nicht, indem man Subventionen, die steuerfinanziert sind, zahlt, sondern indem man den europäischen Irrweg der technologischen Planwirtschaft endlich beendet. Kurzum: Die Flottenregulierung, die vorgibt, welchen durchschnittlichen CO₂-Ausstoß die in einem Jahr in Europa verkauften Fahrzeuge des jeweiligen Konzerns erreichen müssen, gehört ebenso abgeschafft wie das Verbrenner-Aus. Die europäische Planwirtschaft ist endgültig gescheitert. Alle Technologien müssen die gleichen Chancen haben.

Sie haben jüngst eine Kürzung des Bürgergeldes um 14 bis 20 Euro gefordert, wollen also denjenigen ans Geld, die Unterstützung benötigen. Hat die FDP gar kein soziales Gewissen mehr?

Wir müssen vor allem sozial mit denjenigen sein, die diesen Sozialstaat finanzieren. Das ist die arbeitende Mitte, ohne deren Steuern der Staat gar nicht den Spielraum für Sozialleistungen hätte. Es ist richtig, dass es dieses Jahr eine Nullrunde beim Bürgergeld geben wird, trotzdem finde ich es nicht falsch über Senkungen zu sprechen, wenn es im Vorjahr eine überdurchschnittliche Erhöhung gab.