Carsten Linnemann, seit zehn Monaten Generalsekretär der CDU, könnte Friedrich Merz ins Kanzleramt verhelfen. Das neue Grundsatzprogramm der Partei, das kommende Woche beschlossen werden soll, gilt als sein „Examen“.
CDU-Mann im PorträtCarsten Linnemann – vom peinlichsten Patzer bis zum größten Erfolg
Es ist sein „Baby“. Die CDU wird nächste Woche über ihr neues Grundsatzprogramm entscheiden und sich damit nach der Ära Angela Merkel neu ausrichten. Es wird auch eine Abstimmung über die Arbeit von Generalsekretär Carsten Linnemann. Ein Porträt in sieben Schritten – vom peinlichsten Patzer bis zum größten Erfolg.
So tickt Linnemann
Für ein großes Talent hielten sie den Diplom-Kaufmann und Volkswirt mit Doktortitel in der CDU schon immer, doch für die erste Reihe der Partei galt er lange als zu jung. Linnemann, 46 Jahre alt, würde noch heute beim Abiball als Schülersprecher durchgehen. Sein jungenhaftes Gesicht hat sich nach dreieinhalb Legislaturperioden im Bundestag und ungezählten Parteitagen kaum verändert. Es täuscht darüber hinweg, wie erfahren und kalkuliert er inzwischen ist.
Seine Heimatstadt Paderborn, katholisch und Hochburg der CDU, wo Linnemann als Sohn eines Buchhändlers aufwuchs, ist für ihn Dreh- und Angelpunkt. Hier kennt ihn jeder, hier bekommt er die Bürgernähe und den Blick auf Politik, der ihn 2022 zu dem Buchtitel veranlasste: „Die ticken doch nicht richtig. Warum Politik neu denken muss. “ Wenn er über Bürokratie als Ärgernis spricht, wird Linnemann leidenschaftlich. „Einfach mal machen“ – diesen Satz sagt er besonders oft. Weil die Dinge dann oft doch nicht per Handstreich zu ändern sind, kann das gelegentlich oberflächlich wirken. Im Berliner Politikbetrieb gibt Linnemann sich eher distanziert – Privates ist allein seine Sache.
Klare-Kante-Faktor
Als früherer Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion spricht Carsten Linnemann gern vom Wohlstand und noch lieber über den Fleiß, den man zu dessen Erwirtschaftung braucht. Und er spricht über die, denen es aus seiner Sicht an diesem Fleiß mangelt: In der „Bild“-Zeitung forderte er eine Arbeitspflicht für Bürgergeld-Bezieher. Auch beim Thema Migration gibt sich Linnemann streng, will mehr Grenzkontrollen und weniger Familiennachzug. Nach den Freibad-Übergriffen im vergangenen Sommer forderte Linnemann „Schnellverfahren gegen Gewalttäter“, mit einer Bestrafung idealerweise noch am selben Tag. Ein Vorschlag, den der Deutsche Richterbund angesichts der personellen Situation im Justizwesen als unglaubwürdig zurückwies – ebenfalls noch am selben Tag.
Der peinlichste Patzer
Der Generalsekretär hätte vor Selbstzufriedenheit im Dunkeln leuchten können, als er im vergangenen Herbst im Berliner Konrad-Adenauer-Haus das neue Parteilogo präsentierte. Türkis und Blau als ungewohnte Farben, getauft „Cadenabbia“ nach dem italienischen Urlaubsort Konrad Adenauers und „Rhöndorf“ nach dessen Wohnsitz. Dazu die drei nicht mehr roten, sondern schwarzen Parteibuchstaben (Linnemann hatte sich dazu extra den Gag aufgeschrieben: „Die CDU wird wieder schwarz!“) sowie drei Balken in Schwarz-Rot-Gold. Doch statt auf all diese Marketing-Reize zu reagieren, spottete alle Welt lieber über eine Panne im zugehörigen Werbespot der selbsternannten „Deutschland-Partei“ (Linnemann). Irgendwer hatte dort statt des Berliner Reichstags versehentlich den Präsidentenpalast von Tiflis eingebaut, der ebenfalls eine gläserne Kuppel hat. Rhöndorf oder Cadenabbia halt, Hauptsache Georgien.
Sein Meisterstück
Als Parteichef Friedrich Merz ausgerechnet Carsten Linnemann zum Vorsitzenden der Kommission für das neue Grundsatzprogramm der CDU machte, waren viele in der Partei skeptisch. Der Generalsekretär ist in jeder Politik-Talkshow in seinem Element – aber ist er gut in kleinteiliger Textarbeit hinter verschlossenen Türen? Linnemann machte aus der Debatte ein Partei-Event – mit Live-Abstimmungen über Wort-Wolken und den „Stars“ der Partei auf dem Podium. Beim Parteitag ab Montag in Berlin soll das Programm beschlossen werden – und die Rückmeldungen aus der CDU sind gut. Es enthält eine Leitkultur, eine klare Abgrenzung zum Islamismus und ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, das Linnemann persönlich besonders wichtig ist.
„Wir haben 2021 die Wahl auch verloren, weil wir inhaltlich entkernt waren“, stellte er im Interview mit der „Rheinischen Post“ gerade fest. Wird „sein Baby“ vom Parteitag beschlossen, hat der Generalsekretär umfassend geliefert. Das Programm ist aber nur die Vorarbeit für Linnemanns größte Herausforderung: Friedrich Merz 2025 ins Kanzleramt zu verhelfen. Der Parteichef will zwar erst im Herbst entscheiden, wer die Union in die Bundestagswahl führt. Linnemann legte sich aber schon im Januar fest: „Friedrich Merz ist der Mann mit dem Plan.“
So kommt er in der CDU an
Für „den richtigen Typen“ hält ein hochrangiger CDU-Politiker Linnemann. Er sei ein „guter Kommentator“ finden auch andere. Als er jetzt den Zwölf-Punkte-Plan der FDP als „Lambsdorff 2.0“ bezeichnete (in Anlehnung an das Papier des FDP-Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff, das 1982 zum Bruch der sozialliberalen Koalition führte), fand man das genial: „Da muss man erstmal drauf kommen.“
Trotzdem sehen manche eine „Überdosis Merz“ in der neuen CDU. Mit „Merz-Fan“ Gitta Connemann an der Spitze der Mittelstandsunion und Philipp Amthor als „Merz des Ostens“ erreiche man nicht die Breite der Gesellschaft. Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte seien unterrepräsentiert. Auch thematisch sorgt das prominente Personal für Schlagseite: viel Wirtschaftskompetenz, wenig sozialpolitischer Gestaltungsanspruch.
So sehen ihn die Gegner
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai ist voll des Lobes für Linnemann. „Guter Mann“, sagt er über ihn, da gebe es trotz politischer Gegensätze nichts zu kritteln. Beide duzen sich und pflegen regelmäßig Kontakt. Amtskollege Kevin Kühnert von der SPD sagt auf Anfrage unserer Redaktion: „Carsten Linnemann und mir werden allein schon wegen seiner Liebe zum SC Paderborn und meiner zu Arminia Bielefeld sicher nicht die Streitpunkte ausgehen.“
Das sagen die Umfragen
Als Carsten Linnemann vor knapp einem Jahr Generalsekretär wurde, kam die Union bei der Sonntagsfrage des ZDF-Politbarometer auf 27 Prozent. Heute, viele Ampel-Krisen später (eine Auswahl: Haushaltsstreit nach dem Karlsruher Schuldenbremsenurteil, Taurus-Streit, Agrardiesel-Streit) kommt die Union auf 30 Prozent. Im Politiker-Ranking stieg Linnemann direkt nach seiner Ernennung auf Platz 12 ein. Heute liegt er auf Platz 10. Wohlmeinende könnten bei diesen Zahlen von Konsolidierung sprechen. Gehässige von einer schwarzen Null.