Entschärfte BundesjugendspieleKehrt NRW doch zurück zum harten Wettkampf?

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ARCHIV - 20.08.2023, Ungarn, Budapest: Leichtathletik: Weltmeisterschaft, 1500 m, Halbfinale, Männer, im Nationalen Leichtathletikzentrum

Derzeit steht das Ergebnis bei Bundsejugendspielen nicht im Fokus.

Doch keine Entschärfung? Das NRW-Schulministerium befürwortet eine teilweise Rückkehr zu den alten Wettkampfregeln.

Im Streit um die „Entschärfung“ der Bundesjugendspiele in Grundschulen vom Wettkampfgedanken hat sich das von Dorothee Feller (CDU) geführte NRW-Schulministerium für eine Teil-Rückkehr zu den alten Regeln ausgesprochen. „Selbstverständlich kann auch der sportliche Wettkampf die Motivation von Kindern und Jugendlichen fördern“, erklärte das Ministerium gegenüber unserer Redaktion.

„NRW hält es daher für sinnvoll, dass Grundschulen selbst darüber entscheiden können, ob sie bei den Bundesjugendspielen Disziplinen in den Sportarten Leichtathletik und Schwimmen in der Wettkampf- oder in der Wettbewerbsform organisieren wollen.“ Die Schulen würden im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbstständig über die Durchführung von Bundesjugendspielen und Sportfesten entscheiden, heißt es weiter aus dem Ministerium. Allerdings wurden diese Möglichkeiten zuletzt stark eingeschränkt.

Schutz für Kinder, die keine Erfolgserlebnisse haben

Im Einklang mit der Bundesregierung und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) hatte die Sportkommission der Kultusministerkonferenz (KMK) erst 2021 entschieden, zum Schuljahr 2023/24 die Bundesjugendspiele an Grundschulen nur noch als „bewegungsorientierten Wettbewerb“ auszutragen. Damit sollen Mädchen und Jungen geschützt werden, die im Wettkampf keine Erfolgserlebnisse haben. Die CDU-geführte Landesregierung hatte den Abschied vom Wettkampfgedanken bei jüngeren Kindern mitgetragen. Nun sendet das Haus von NRW-Schulministerin Feller andere Signale, kann aber nicht eigenmächtig jene Spielregeln aushebeln, die die Sportkommission eingeführt hat.

Nicht nur im Ministerium, sondern auch in der NRW-CDU werden die Rufe nach den „alten“ Bundesjugendspielen immer lauter. Ende Juni hatte der Landesvorsitzende der Jungen Union (JU), Kevin Gniosdorz, unserer Redaktion gesagt: „Die Kultusministerkonferenz hat sich mit der Reform der Bundesjugendspiele verrannt. Die Streichung des Wettkampfgedankens war das völlig falsche Signal.“ Auch der Vorsitzende des Sportausschusses im Landtag, Bernhard Hoppe-Biermeyer (CDU), sprach sich für eine Reform der Reform aus.

Experte: Kinder sollen Werte, Regeln und Normen lernen

Nun schaltet sich Michael Scharf, Leistungssportdirektor beim Landessportbund NRW, mit einer wettkampffreundlichen Position in den Streit ein. Als Sportler und Psychologe vertrete er drei „Kernthesen“: Erstens sei es wichtig, dass Kinder Werte, Regeln und Normen lernten. Dies sei auf rein spielerischer Basis kaum möglich. „Es gehören auch konkrete Erfahrungen mit Normen und Regeln sowie Erfolgen und Misserfolgen dazu, denn die prägen fürs Leben“, sagt Scharf. Spätestens im Berufsleben würden junge Menschen mit strengen Regeln, Werten und Normen konfrontiert. Je besser sie in der Kindheit vorbereitet würden, umso besser kämen sie später im Leben damit klar.

Zweitens entwickelten Grundschulkinder ihr Selbstbild und ihr Selbstwertgefühl weitestgehend in der Kindheit und Jugend. Sie müssten deshalb Erfahrungen damit machen, ob sie etwas schaffen oder nicht. „Für diese Selbsteinschätzung brauchen die Kinder reale Prüfungs- und Wettbewerbssituationen“, meint Scharf.

Drittens werde in der Kindheit ein „Leistungsmotiv“ entwickelt, das die Persönlichkeit von Menschen und deren Einstellung zur Leistung entscheidend präge. Dabei komme es darauf an, sich selbst realistische Ziele zu setzen. Scharf: „Realistisch bedeutet, dass die Ziele einerseits nicht zu ambitioniert und anderseits nicht zu leicht zu erreichen sein dürfen.“

Vor neuen Experimenten mit den Bundesjugendspielen warnt dagegen Ayla Çelik, NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Anscheinend erwägt NRW den Grundschulen freizustellen, den Wettkampfcharakter wieder einzuführen. Dies wäre im Lichte des Ansinnens der Reform wenig förderlich, denn dadurch wird eine Beliebigkeit geschaffen, die nicht Not tut“, sagte sie unserer Redaktion.

Sportlichkeit werde heute vom Kind aus definiert und nicht mehr von Normgrößen, so Çelik. „Insgesamt kann man durch diese Veränderung hoffen, dass wieder mehr Kinder Spaß am Sport entwickeln“, sagte die Gewerkschafterin. Kinder würden sich zu wenig bewegen und müssten für Sport und Bewegung begeistert werden. Dies gelinge aber eher durch gemeinsamen Wettbewerb als durch die Bestenauslese im Wettkampf.

Niemand werde wegen der Bundesjugendspiele zum Spitzensportler, behauptete die GEW-Chefin. Derzeit werde in Nordrhein-Westfalen eine „Scheindebatte“ über die Bundesjugendspiele geführt, die an den wirklich wichtigen Fragen zur Sportförderung vorbeigehe.