Sie war Aushängeschild für Calvin Klein und stilprägend für eine ganze Branche: Kate Moss wird 50 Jahre alt. Zeit für einen Rückblick.
Britisches TopmodelKate Moss wird 50 – Heroin Chic und Mager-Model
Bin ich ein Sexsymbol? Kate Moss antwortet auf die Frage gelangweilt: maybe. Und dementiert dieses Vielleicht mit ihrer Körpersprache in der gleichen Sekunde. Sie öffnet leicht die etwas aufgeworfenen Lippen, gibt ihrem Blick einen lasziven Schimmer. Die Sequenz aus einem Dokumentarfilm auf YouTube lässt das Faszinosum Kate Moss aufblitzen, ihren unterkühlten Charme, ihre lässige Coolness.
Kate Moss wird mit 14 Jahren an einem Flughafen entdeckt und wird später von jenen Momenten ihrer Karriere berichten, die sie als übergriffig, ja missbräuchlich empfunden hat. Die Schattenseiten eines Lebens als Supermodel verdunkeln zunächst nicht jenen Glanz, in dem sich Moss in den neunziger Jahren sonnen kann.
Sie prägt eine Ära, als jene Kindfrau mit schmaler Silhouette, für die sich Modedesigner Calvin Klein begeistert. Kate Moss in fetziger Jeans, in Feinripp-Unterwäsche mit dem Schriftzug von Calvin Klein, als androgynes Wesen auf der Ledercouch – Kate Moss avanciert zum Faszinosum für ein Millionenpublikum. Der Duft von Calvin Klein, für den sie auf der Couch posiert, trägt den passenden Namen: Obsession.
Mit einer Körpergröße von gerade einmal 1,70 Meter ist sie eigentlich zu klein für ein Supermodel. Macht nichts. Kate Moss drängt sich trotzdem in die Garde der Big Six, jener Models, die mit ihren Gardemaßen auf dem Catwalk den Frauen ihrer Generation den aufrechten Gang vormachen. Claudia Schiffer und Naomi Campbell, Linda Evangelista, Cindy Crawford, Christy Turlington – und mittendrin Kate Moss mit ihrem provokant rotzigen Sexappeal. Für Designer Wolfgang Joop hat Moss einen neuen Modeltyp geprägt.„All das, was die Supermodels zuvor hatten, hatte sie nicht“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Vom Mädchen mit den Sommersprossen zur Ikone einer ganzen Branche des Stils und der Schönheit: So lautet die gängige Formel, mit der das Phänomen Kate Moss beschrieben wird. Calvin Klein lobt ihre Natürlichkeit. Den Zeitgeist trifft sie als perfekte Figur des lässigen, ja abgewetzten Grunge-Stils. Was Rei Kawakubo für ihre Linie „Comme des Garçons“ schon in den Achtzigern als Fetzenlook kreiert, machen Rockstars wie Kurt Cobain im darauffolgenden Jahrzehnt populär.
Ein neues Schönheitsideal ist geboren
Kalkuliert abgerissener Look und der Schick der unterlaufenen Augen und hohlen Wangen sind mehr als eine Attitüde. Moss signalisiert mit dem Heroin Chic das neue Lebensgefühl einer Generation, die ihr kurzes, intensives Leben feiern will. Kate Moss, das ist auch der personifizierte Protest gegen den perfekten Look etwa einer Claudia Schiffer.
Die etwas zu weit auseinanderstehenden Augen, die hohen Wangenknochen, die volle Kontur der Lippen: Kate Moss gibt einer ganzen Ära das neue, von klassischer Linie abweichende Schönheitsideal. Mit ihrer extrem schlanken Figur avanciert sie zur Frontfrau des Heroin Chic. Was heute als Schlankheitswahn der Welt der Models, kritisiert wird – Moss macht daraus eine Marke, ein visuelles Leitmotiv.
Vor allem als Partnerin des Schauspielers Johnny Depp zwischen 1994 und 1998 ist Kate Moss Ikone jener Medienwelt, die kurz vor dem endgültigen Durchbruch des Internets noch von den Titelseiten der Hochglanz-Magazine dominiert wird. Kate Moss – das ist das Leitbild eines Lebensgefühls im Zeichen des Unisex und einer Party, die scheinbar niemals endet.
Drogenkonsum wird zum kurzen Skandal
Für Moss kommt der Bruch 2005. Auf einem Foto im Daily Mirror konsumiert das Model Kokain. Große Labels reagieren prompt. H&M und Burberry kündigen Werbeverträge. Moss scheint abgemeldet. Dabei passt dieser Fehltritt zum Image des ungezogenen Mädchens, das Moss perfekt kultiviert. Sie geht mit Pete Doherty, dem Sänger der Babyshambles, hat ein Kind mit dem Verleger Jefferson Hack. Kate Moss ist das It-Girl, die Unangepasste.
Der Skandal um die Prise Kokain scheint schnell vergessen. Schon ein Jahr nach der Karrieredelle ist sie rehabilitiert, sogar noch populärer. 2006 ist sie Model of the Year, 2007 Sexiest Woman. Noch Fragen?
Kate Moss pflegt ihr Image als Anti-Schönheit weiter. Das einst dürres und wortkarges Mädchen, das sich gern mit der Zigarette im Mundwinkel zeigt, bekommt Leben und Karriere in den Griff. Vogue bringt sie in Serie auf das Titelblatt. Moss wird zum Gesicht des Labels Reserved, präsentiert das Parfüm Parisienne für Yves Saint Laurent, posiert seit 2021 für die Linie von Kim Kardashian. Vor allem wechselt sie die Seite. 2016 gründet sie ihre eigene Agentur – mit ihrer Tochter Lila Grace als Model. Inzwischen spricht Kate Moss offen über die problematischen Seiten ihrer Karriere. Und vermarktet Kräutertees und Wellness-Düfte.
Die Modewelt soll, so hört man, nach der nächsten Kate Moss Ausschau halten, nach dem nächsten jungen, sehr dünnen Mädchen, das die Konventionen der Schönheit aufbricht. Diese Suche scheint müßig. Die Ära des Grunge und der unbeschwerten Partys kommt nicht wieder. Und es gibt nur eine Kate Moss. Darauf eine Zigarette und ein Schlückchen Champagner.