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Interview

Unwort des Jahres
„Biodeutsch steht seit 2017 im Duden – darauf bin ich stolz“

Lesezeit 4 Minuten
Selbstironie schützt, meint Kabarettist Muhsin Omurca. Er hat den nun zum Unwort gekürten Begriff „biodeutsch“ ursprünglich in einem Kabarett-Programm benutzt.

Selbstironie schützt, meint Kabarettist Muhsin Omurca. Er hat den nun zum Unwort gekürten Begriff „biodeutsch“ ursprünglich in einem Kabarett-Programm benutzt.

„Biodeutsch“ ist Unwort des Jahres: Einst hat Kabarettist Muhsin Omurca den Begriff erfunden. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

„Alltagsrassistisch“ – so findet die Jury der Aktion „Unwort des Jahres“ die Vokabel „biodeutsch“ und hat sie in diesem Jahr für ihren sprachkritischen Negativpreis ausgewählt. Der Erfinder hinter dem Begriff ist der Kabarettist Muhsin Omurca – Daniel Benedict sprach mit ihm über die Sprachschöpfung.

Herr Omurca, Ihre Wortschöpfung vom „Biodeutschen“ ist zum Unwort des Jahres geworden. Was haben Sie gedacht, als die Nachricht kam?

In der Endauswahl war das Wort schon vor Jahren. Daher war ich jetzt nicht so von den Socken. Schön, dass es jetzt doch noch an der Spitze steht. Ich fühle mich wie der Trainer von Real Madrid.

Welche Geschichte hat das Wort? Zum ersten Mal gedruckt wurde es angeblich in einem Cartoon, den Sie 1996 für die „taz“ gezeichnet hatten.

Davor hatte ich es auf der Bühne ausprobiert. Mein Stück hieß „Kanakmän – Tags Deutscher Nachts Türke“. Es ging im Grunde um mich – um einen Türken, der einen deutschen Pass in der Hosentasche hatte, aber nicht mal im Ausland als Deutscher durchging. Ich habe dann irgendeinen Manfred aus dem Publikum gefragt: Sie sind doch ein Deutscher? Ich auch – wir sind unter uns. Wir sind Landsleute. Schon da fingen alle an zu kichern. Darauf sage ich: Wir Deutsche haben natürlich Unterschiede. Sie sind ein geborener Deutscher, ein Naturdeutscher, ein Bio-Deutscher – das Wort war immer der Knüller.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe meinen Manfred dann gefragt, was er zu seinem Deutschsein getan hat. Nichts natürlich. Ich hatte das aber schon. Ich musste fünf Jahre lang lauter Härtetests machen, bis ich den Pass hatte. Ich war also ein staatlich geprüfter Deutscher. Manfred war nur ein Zufallsdeutscher. Wenn es einem zusteht, auf sein Deutschsein stolz zu sein, dann war ich es. Das war die Pointe und die kam immer sehr, sehr gut an. Aber mittlerweile sind ja 30 Jahre vergangen.

Eigentlich ist das ja eine sehr sympathische Weise, auf sein Deutschsein stolz zu sein.

Ich bin mit 20 Jahren nach Deutschland gekommen und konnte kein Wort Deutsch. Und dann füge ich der Sprache ein neues Wort zu. „Biodeutsch“ steht seit 2017 im Duden. Darauf bin ich stolz.

Der Begriff ist in die Alltagssprache eingegangen. Der Minister Cem Özdemir hat ihn aufgegriffen. Omid Nouripour, der einstige Grünen-Chef, gebraucht ihn sogar in einem Buchtitel. Aber er wird auch von Rassisten gebraucht, die wirklich an die Idee von „genetischen Deutschen“ glauben.

So ist das eben. Wie jeder Künstler bringe ich ein Werk in die Welt. Und die Leute interpretieren das, wie sie möchten. Da hat man keinen Einfluss drauf. Mir geht es wie jedem Vater eines 30-Jährigen. Das Kind macht seinen Weg und hört nicht mehr auf mich.

Hatten Sie damals daran gedacht, dass das Wort eine biologistische Färbung haben könnte?

Nein – ich brauchte einfach nur ein Wort. Mich selbst habe ich einen Neudeutschen genannt, einen Türken mit deutschem Pass und – immer ein Lacher – einen getürkten Deutschen. Und ich brauchte ein Pendant für all die Manfreds und Gerlindes im Publikum. Wie sollte ich die nennen? Bio-Deutsche – das kam witzig rüber. Wenn rechten Kreise das Wort als Identitätsmerkmal übernehmen, dann kann ich nur sagen: Du machst dich gerade zu meiner Karikatur.

Das Wort „biodeutsch“ fühlt eine lexikalische Lücke. Wenn man zum Beispiel sagen will, dass Menschen mit Ihrem Nachnamen in Deutschland immer noch schwerer eine Wohnung finden als mit meinem – dann fehlt dieses Wort. Gebrauchen Sie „biodeutsch“ in solchen Situationen auch privat?

Für mich ist das ein Kunstwort. Das verwende ich auf der Bühne. Warum auch nicht? Integration, Migration – das alles ist aktueller denn je. In privaten Gesprächen würde ich das Wort plump finden. Vielleicht würde ich sowas wie „geborener Deutscher“ sagen. Aber es stimmt schon: Deutsche ohne Migrationsgeschichte haben auch ein Identitätsproblem. Irgendwie wollen die natürlich auch bezeichnet werden. Vielleicht kam mein Wort zur richtigen Zeit.

Gibt es Wörter, die Sie selbst als Unwort empfinden?

Das Wort „getürkt“ hat mich früher gekränkt; das heißt ja „gefälscht“. Als wir dann unser Ethno-Kabarett gegründet haben –vor genau 40 Jahren übrigens, wir waren die ersten Kabarettisten mit Migrationshintergrund – da haben wir das ironisch aufgegriffen. Selbstironie schützt. Wenn man das Wort selbst benutzt, macht es Rechtsextremen gleich viel weniger Spaß.

Hat sich das Publikum in 40 Jahren Ethno-Comedy eigentlich geändert oder sind wir womöglich sogar noch befangener als 1985?

Als wir angefangen haben, hat die Politik das Thema ignoriert. Alle, auch die Politiker, haben das Märchen geglaubt, das die türkischen Gastarbeiter sich selbst einreden wollten: Irgendwann gehts zurück in die Heimat. Heute ist Integration ein Thema. Hunderttausende arbeiten in diesem Bereich. Aber in der Sache sind wir nicht viel weiter. Unser erstes Programm von 1985 könnten wir auf die Bühne bringen, ohne irgendetwas daran zu ändern. Das würde funktionieren. Wirklich.