WDR-Moderator Micky Beisenherz spricht im Interview über sein Gespräch mit Thomas Gottschalk, den Shitstorm danach – und was man daraus lernen kann.
Beisenherz vs. Gottschalk„Das zeigt im Kleinen, woran die ganze Gesellschaft krankt“
Im WDR-Talk „Kölner Treff“ sprachen Moderator Micky Beisenherz und Thomas Gottschalk über dessen Buch „Ungefiltert“. In den Sozialen Medien wird das TV-Gespräch als aggressiver Wokeness-Streit skandalisiert. Was tun? Daniel Benedict hat Beisenherz gefragt.
Das Gespräch, das Sie mit Thomas Gottschalk über sein neues Buch und die Thesen darin geführt haben, war kontrovers, aber ruhig. Im Netz ist die Debatte seit der Ausstrahlung am vorigen Freitag trotzdem eskaliert. Warum?
So ist das heute. Im Studio erlebt man ein relativ ruhiges Gespräch von Menschen, die unterschiedliche Meinungen haben und sich trotzdem ehrlich füreinander interessieren. Die Sozialen Netzwerke verbiegen das dann systematisch, wählen Schnipsel aus, legen Sounds darunter und bedienen die verzerrte Wahrnehmung zweier verfeindeter Gruppen. Beide Seiten sollen in ihrem Vorurteil bestätigt werden, dass man nämlich entweder überhaupt nichts mehr sagen darf in unserer „Meinungsdiktatur“ oder wir einen alten weißen Mann vor uns haben, der Frauen betatschen will. Was hier passiert ist, zeigt im Kleinen, woran die ganze Gesellschaft krankt.
Wer ist schuld an der Verzerrung?
Schuld sind wir alle, wenn auch nicht mit gleichem Anteil. Twitter und Tiktok richten viel Schaden mit ihren Erregungsanreizen an: Sie laden dazu ein, sich zu empören, zu erregen und sich in der eigenen Weltsicht zu bestätigen, bis sie völlig unverrückbar ist. Ganz eindeutig schuld ist auch Julian Reichelt mit seiner Wutbürger-Puppenkiste „Nius“. Das Portal setzt ausschließlich auf solche Reize, es will die Leute irremachen und ein betont negatives Bild von Deutschland spiegeln. Und natürlich sind auch wir schuld, Sie und ich und der ganze Online-Journalismus, der alldem ein Forum gibt. Und am Ende vielleicht sogar jeder, der das liest und sich mit aufregt.
Wie kriegt man die Wut aus der Debatte?
Wir sollten im analogen Raum mehr miteinander sprechen. Das Gespräch, das Gottschalk und ich jetzt öffentlich geführt haben, kann man auch zu Hause führen, im Büro, im eigenen Umfeld – und dann bitte immer so: zugewandt, aufrichtig interessiert und eben nicht anklagend. Wir sollten einfach das direkte Gespräch suchen, akzeptieren, dass man nicht in allem übereinstimmt, und dass jeder Mensch mehr ist als eine einzige Position. Auch Thomas Gottschalk ist vieles gleichzeitig und nicht nur der Mann, der unbedingt noch weiter „Zigeunerschnitzel“ sagen will.
Wie war die Stimmung zwischen Ihnen und Gottschalk danach? Haben Sie geahnt, was im Internet passiert?
Uns war natürlich klar, dass ein solches Gespräch Widerhall findet. Dafür kennt man ja sein Internet. Leider hatte ich hinterher keine Gelegenheit, ausführlich mit Gottschalk zu sprechen. Ich bin mir nicht ganz klar darüber, ob er das Gespräch als gelungen empfunden hat oder nicht. In der Sendung hatte er ausdrücklich vermutet, dass alle nur auf den Shitstorm warten. Da merkt man, dass die letzten zwei, drei Jahre etwas mit ihm gemacht haben. Ich kann das nachvollziehen: Er ist 74 Jahre alt und wurde von weiten Teilen der Öffentlichkeit immer geliebt; da ist es nicht so einfach, wenn auf einmal Leute da sind, die dich nicht mehr lieben oder noch nie geliebt haben. Und was ihm im Internet an Kritik entgegenschlägt, ist von so einer Rücksichtslosigkeit, dass es einen umwerfen kann – oder dass es einen störrisch macht. Das ist ein Grundproblem dieser Debatte: Sie löst nur Trotz aus.
Sie haben Gottschalk gefragt, wie man gut altert. Helmut Schmidts Status als Elder Statesman bekommt er wohl nicht mehr hin. Haben Sie ein gutes Beispiel?
Was einen frisch hält, sind nicht bunte Klamotten, sondern Neugierde, Selbstironie und die Akzeptanz, dass man die Uhr nicht zurückdrehen kann. Ich selbst bin Ende 40 und manch eine junge Internet-Größe kann mich nicht leiden. Das ist auch völlig in Ordnung so. Deswegen akzeptiere ich trotzdem, was der Nachwuchs macht und wünsche allen alles Gute. Gut gealtert sind für mich Leute wie Bruce Springsteen, Samuel L. Jackson, Leonard Cohen. Helmut Schmidt hatte vielleicht das Glück, dass er 2015 gerade noch rechtzeitig gestorben ist. Heute wäre er in den Sozialen Netzwerken als China- und Putin-Versteher, der dann auch noch im Fernsehstudio raucht, sicher auch unten durch. Aber so, wie man Helmut Schmidt gekannt hat, wäre ihm das vermutlich egal gewesen.