Landwirte in Frankreich drohen, Paris zu „belagern“, sollte die Regierung sich nicht für die Verbesserung ihrer Lage einsetzen.
Bauernproteste im AuslandFrankreichs Bauern gehen auf die Barrikaden
Die Wortwahl von Frankreichs Bauernvertretern klang mitunter martialisch. Sie planten ab Montagnachmittag eine „Belagerung“ der Hauptstadt „auf unbestimmte Zeit“, hatten der Pariser Regionalableger des größten französischen Bauernverbandes FNSEA und der Zusammenschluss der Jungen Landwirte, „Les Jeunes Agriculteurs“, angekündigt. Acht Abschnitte der zur Metropole führenden Autobahnen, aber auch Zufahrten zu Lyon und Bordeaux sowie zum Flughafen von Toulouse blockierten sie mit Traktoren. Solange sich die Regierung nicht ernsthaft mit den von seiner Branche aufgestellten 140 Forderungen befasse, werde man den Druck weiter erhöhen, warnte der FNSEA-Präsident Arnaud Rousseau. „Allerdings wollen wir weder Gewalt noch Zerstörung.“
Berufsstand der Bauern schrumpft
Bereits seit zehn Tagen gehen die französischen Bauern ähnlich wie zuvor ihre Kollegen in Deutschland und anderen europäischen Ländern auf die Barrikaden, um für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Die gesamte vergangene Woche führten sie Protest- und Blockade-Aktionen durch. Sie klagen über die Folgen der Inflation bei rückläufigem Einkommen, zu hohe Normen und Umweltauflagen und fehlende Perspektiven.
Ihr Berufsstand schrumpft: Gab es 1955 noch 2,5 Millionen und 1982 noch 1,6 Millionen Landwirte, so waren es bei der letzten Zählung 2020 noch knapp 500.000. Ihre jeweilige wirtschaftliche Situation variiert stark, je nach Größe des Betriebs, Spezialisierung und Region. Insgesamt nimmt sich an jedem zweiten Tag ein Bauer in Frankreich das Leben.
Eine breite Mehrheit der Menschen im Land unterstützt die Proteste. Dennoch verschärfte sich zuletzt der Ton der französischen Regierung, die sich zunächst sehr um vermittelnde und empathische Worte bemühte. Während Innenminister Gérald Darmanin noch vor wenigen Tagen versichert hatte, er „antworte nicht mit Spezial-Einsatzkräften auf das Leiden“ der landwirtschaftlichen Betriebe, kündigte er nun ein härteres Durchgreifen an, sollte es zu Blockaden kommen. Allein am Montag setzte er landesweit 15.000 Ordnungskräfte sowie Panzerwagen und Helikopter ein, um die Einfahrt von Traktoren in die Städte sowie den Großmarkt Rungis südlich von Paris zu verhindern.
Die Protestler haben in dieser Woche zum einen den EU-Gipfel am Donnerstag im Blick, bei dem sie von Präsident Emmanuel Macron erwarten, dass er sich in Brüssel für ihre Belange einsetzt. Sie kritisieren einige EU-Regelungen von der Einschränkung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln bis zur Auflage, vier Prozent der Flächen stilllegen zu müssen. Allerdings erhalten die französischen Bauern mit fast neun Milliarden Euro pro Jahr von der gemeinsamen Agrarpolitik der EU deutlich mehr als alle anderen europäischen Landwirte.
Am Dienstag wird außerdem der neue Premierminister Gabriel Attal seine Regierungserklärung abgeben. Unmöglich, dass er dabei die Anliegen der Landwirte links liegen lässt, zumal im angehenden EU-Wahlkampf vor allem der rechtsextreme Rassemblement National (RN) um deren Gunst buhlt und Stimmung gegen die EU macht. Diese schwäche die französische Landwirtschaft, sagte der RN-Chef und Spitzenkandidat Jordan Bardella, der am liebsten alle Freihandelsverträge aufkündigen würde – was keinesfalls zum Forderungskatalog der französischen Bauern gehört.
Bereits am Freitag hatte Attal erste Versprechen gemacht. Dazu gehörten unter anderem der Verzicht auf eine geplante höhere Besteuerung von Agrardiesel, 50 Millionen Euro Soforthilfe für die Biobauern und zehn „Vereinfachungsmaßnahmen“ zum Bürokratie-Abbau. Tatsächlich gibt es in Frankreich neben den europäischen Vorgaben noch etliche nationale Normen. Als besonders krasses Beispiel gilt der Anbau einer Hecke, der durch insgesamt 14 verschiedene Vorgaben geregelt ist. „Die Landwirte haben keine Lust mehr, überhaupt noch welche anzubauen“, sagte der Viehzüchter und Gewerkschafter Luc Smessaert in einem Fernseh-Interview. Attals erste Ankündigungen, um unter anderem diesem Problem entgegenzuwirken, taten die Vertreter der Branche als unzureichend ab. Die Krise hält vorerst an.