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Medikamentenmangel in DeutschlandApothekerverbände warnen vor dauerhaften Engpässen

Lesezeit 4 Minuten
Ein leeres Schubfach in dem sonst rezeptpflichtige Nasentropfen gelagert werden in einem Apothekenschrank.

„Leider aktuell nicht lieferbar!“: Immer öfter müssen Apotheker ihre Kunden vertrösten.

Trotz hoher Anforderungen an ihren Beruf beklagen Apotheker über 20 Jahre ohne finanzielle Anpassung. Verbände kritisieren vor allem Gesundheitsminister Karl Lauterbach für seine mangelnde Dialogbereitschaft und politische Einschnitte.

Deutschland galt einst als Apotheke der Welt. Jetzt gibt es hier ein Apothekensterben und Lieferengpässe. Wie kann das in einem Land mit einem der teuersten Gesundheitssysteme der Welt passieren?

Mehr als 20 Jahre lang habe der Berufsstand in seiner Honorierung keine Anpassung erhalten, beklagt die Präsidentin der Deutschen Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Regina Overwiening. Und das, obwohl der Beruf sehr anspruchsvoll sei, da Apotheker die erste niedrigschwellige Anlaufstelle für Menschen im Gesundheitssystem seien.

Große Kostensteigerungen

Hinzu kommen große Kostensteigerungen, die es zu kompensieren gelte. Steigende Bürokratie und Verpflichtungen durch die Krankenkassen oder den Gesetzgeber sorgten für viel Frustration, bestätigt auch Oliver Grundei, Staatssekretär im Gesundheitsministerium von Schleswig-Holstein.

Vor allem die Versorgung der Menschen in den ländlichen Bereichen sieht Grundei gefährdet. Laut dem niedersächsischen Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) müsse die Politik deshalb dafür kämpfen, die Apotheken und Krankenhäuser dort überleben zu lassen. Das könne „sicherlich nicht funktionieren, indem wir (...) die Einkommen der Apotheker kürzen“, erklärt Philippi. Zudem müsse es mehr Studienplätze im Bereich Pharmazie geben sowie mehr Ausbildungsplätze für pharmazeutisch-technische Assistenten.

Gesundheitsberufe sollten laut Grundei mehr miteinander verzahnt werden. Das spare auch Geld. Apotheken erfinden sich als Teil des Gesundheitssystems neu, erklärt Philippi. Sie dürfen impfen oder kleine Check-ups durchführen.

Vor allem Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wird scharf kritisiert. Er habe, sagt Overwiening, die ohnehin schon schlechte Honorierung noch weiter reduziert. Im Gegensatz zu den Ländern widme der Bund dem Thema zu wenig Aufmerksamkeit. Die Länder hätten das Thema Apothekensterben laut Grundei in den letzten Jahren in Angriff genommen. Overwiening bestätigt: „Die Länder stehen hier sehr stark und eng und dicht an unserer Seite, verstehen eben, was Versorgung vor Ort wirklich bedeutet (...) und was das bedeutet, wenn in einer Kommune Apotheke und Arzt wegbrechen.“

Einfluss auf den sozialen Frieden

Das Thema habe Einfluss auf den sozialen Frieden, denn die Menschen müssten sich vom Staat mitgenommen und gesehen fühlen. Die Länder sähen die Leistungen, die von den Apotheken ausgingen. Während der Corona-Pandemie sei dies „sogar für die Bundespolitik sichtbar“ gewesen, erklärt sie. „Das hat sie nur wieder vergessen.“

Zuletzt soll der Gesundheitsminister weitere Gesprächsgesuche der ABDA-Präsidentin unbeantwortet gelassen haben. „Ich wünsche mir von Herrn Minister Lauterbach, dass er mit uns in den konstruktiven Dialog geht. (...) Leider hat aber Herr Lauterbach seine ganz eigene Vorstellung (und) hat mir auch deutlich gesagt, dass er nicht über meine Ideen sprechen möchte, sondern (...) über seine Ideen.“

Overwiening sagt, dass es noch immer viele Lieferengpässe bei Medikamenten gebe. Stand 26. September sind laut des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte 498 Arzneimittel nicht lieferbar. „Das zeigt, dass wir in einer wirklich dauerhaften Lieferkrise stecken und dass wir hier noch keine Entwarnung haben“, so Overwiening. Gerade gebe es zwar keinen Engpass an Kinderarzneimitteln. Jedoch betont Apotheker Bernhard Ebbert, dass die Erkältungszeit erst noch komme.

Ebbert habe sogar eine Mutter, die ein Antiepileptikum für ihr Kind benötigte, nach Dänemark schicken müssen, da es für ihn nicht zu bekommen war. Um solchen Situationen entgegenzuwirken, wollte Ebbert mit einem Großhändler aus Österreich kooperieren, was ihm aufgrund bürokratischer Hürden untersagt wurde.

Verlagerung nach Asien

Gesundheitsminister Philippi bringt ein, dass die Herstellung vieler Medikamente aus Kostengründen in das asiatische Ausland verlegt wurde. Er glaubt, dass es eine europäische Aufgabe wäre, sich in der Gesundheitspolitik so zu engagieren, dass ein gewisses Maß an nötigen Medikamenten in Europa produziert werden könnte. Von Europa erwarte er deutlich mehr.

Apotheken verfügten jedoch über einen Vorrat an Medikamenten sowie Ersatzmedikamente, versucht Philippi die Sorgen etwas zu zerstreuen. Ganz selten sei es der Fall, dass bestimmte Medikamente über Monate nicht nachlieferbar seien.

„Wir kämpfen an allen Fronten, damit die Menschen versorgt sind“, versichert Overwiening. Apotheker fänden in 98 Prozent der Fälle Lösungen. Genug Entscheidungskompetenzen in den Apotheken selbst findet sie daher äußerst wichtig. Ebbert beklagt, dass die Apotheker oftmals diejenigen sind, die den Unmut der Patienten abbekommen. „Der Apotheker tut (...) das Beste, dass der Patient versorgt ist.“

Auch der Versandhandel gibt der Apotheker-Präsidentin zu denken: „Die größte Sorge ist, dass dort Arzneimittel wie Bonbons gehandelt werden“. Der Versand führe zu einer „Bagatellisierung von Arzneimitteln“. Darüber hinaus übernähmen die Online-Apotheken keine Allgemeinwohlpflichten, wie etwa Notdienste.