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Interview

Tafel-Chef
„Mittlerweile sind ein Viertel der Personen, die zur Tafel kommen, im Rentenalter“

Lesezeit 5 Minuten
Schlange stehen an der Tafel in Euskirchen. Viele Kunden kommen mehrere Stunden vor der Ausgabe von Lebensmitteln.

Schlange stehen an der Tafel in Euskirchen. Viele Kunden kommen mehrere Stunden vor der Ausgabe von Lebensmitteln.

Tafel-Chef Andreas Steppuhn rechnet mit der Renten-Politik der Ampel ab und verrät, ob die AfD im Wahlkampf bei Tafeln willkommen wäre.

Immer mehr alte Menschen stehen bei den Tafeln in Deutschland in der Schlange. Dirk Fisser hat mit Tafel-Chef Andreas Steppuhn gesprochen.

Herr Steppuhn, über Deutschland liegt eine Krisenstimmung. Die Wirtschaft schwächelt. Tafeln bezeichnen sich ja häufig als Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen. Wie schlägt dieser Seismograf gerade aus?

Krisen gab es mit der Pandemie, gestiegenen Kosten und dem Krieg in der Ukraine zuletzt einige. Die Tafeln unterstützen aktuell 1,6 bis 2 Millionen armutsbetroffene Menschen. Allerdings sind das längst nicht alle, die unsere Hilfe bräuchten. Immer noch haben etwa ein Drittel aller Tafeln Aufnahmestopps oder Wartelisten. Außerdem kommen vermehrt Menschen, die einen Job haben und auch mehr Rentnerinnen und Rentner.

Welche Erklärung gibt es dafür?

Preise für das Nötigste wie Lebensmittel und Energie sowie Mieten sind teils sehr deutlich gestiegen, das Leben ist einfach teurer geworden. Menschen mit wenig Geld in der Tasche – geringe Einkommen oder Renten – kommen sehr schnell unter enormen finanziellen Druck. Zwar sind die Renten auch um wenige Prozentpunkte angehoben worden, aber das gleicht die Inflation und die gestiegenen Preise nicht aus.

Was heißt das in Zahlen? Wie viel Prozent der Tafel-Kunden sind Rentner?

Mittlerweile sind ein Viertel der Personen, die zur Tafel kommen, im Rentenalter. Sie beziehen geringe Renten oder Grundsicherung. Seit mehreren Jahren schon nimmt der Anteil der Seniorinnen bei den Tafeln zu. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und den damit einhergegangenen Preissteigerungen für Energie, Lebensmittel und so weiter haben etwa ein Drittel aller Tafeln nochmal mehr Rentnerinnen und Rentner unter ihren Kunden. Die aktuelle Rentenpolitik geht an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen vorbei.

Wie prüfen Sie, ob ein Rentner wirklich Hilfe der Tafeln braucht?

In der Regel lassen wir uns einmal den Rentenbescheid vorlegen. Und wenn entsprechend deutlich wird, dass davon der Lebensunterhalt kaum zu bestreiten ist, dann helfen wir.

Ist der Rentner, der zur Tafel geht, ein Phänomen der Stadt? So viele Mietwohnungen gibt es auf dem Land ja nicht

Die hohen Mieten sind vor allem ein Problem in den Städten. Aber auch wenn armutsbetroffene Rentnerinnen in ländlichen Gegenden vielleicht ein kleines Eigenheim haben, können sie sich Nebenkosten, Reparaturen oder energetische Sanierung kaum leisten. Wenn man 1100 Euro Rente im Monat hat und die Miete oder die Nebenkosten steigen, dann bleibt nicht viel. Der Gang zur Tafel ist für viele eine Möglichkeit, Kosten zu sparen und überhaupt durch den Monat zu kommen. Ob nun Stadt oder Land: nicht alle kommen, die könnten. Gerade bei Älteren ist die Scham groß. Wenn alle kämen, die die Unterstützung eigentlich bräuchten, könnten wir das als Tafeln nicht leisten.

Was macht das mit den Menschen? Im Alter auf die Tafel angewiesen zu sein, heißt doch, mit seiner Erwerbsbiografie in Deutschland gescheitert zu sein.

Das macht sicherlich nichts Gutes mit den betroffenen Menschen. Scheitern ist jedoch der falsche Begriff für mich. Was aber aus der Erkenntnis resultiert, trotz vieler Jahrzehnte Arbeit oder Erziehungsarbeit im Alter nicht mehr über die Runden zu kommen, sind Frust und Enttäuschung. Viele Betroffene sehen die Verantwortung dafür bei der Politik.

Sehen Sie das auch so?

Das Thema Altersarmut wird von der Politik nicht gesehen. Da wird über Rentenpakete und Rentenreformen gesprochen, aber dass viele Menschen am Ende des Erwerbslebens Armut erwartet, wird man damit nicht verhindern können. Armut und die Angst vor Armut macht etwas mit den Menschen und ihrer Würde.

Naja, es wird ja sehr wohl darüber gestritten, das Rentensystem zukunftsfest aufzustellen

Rechnen wir doch mal: Seit dem ersten Januar haben wir einen Mindestlohn von 12,41 Euro. Wenn man das auf einen Monat hochrechnet und dann bedenkt, dass davon im Alter 48 Prozent bleiben - das ist das bis 2025 garantierte Rentenniveau - dann bekommt man einen Eindruck, was vielen Menschen im Alter droht. Hinzu kommt ja, dass viele Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, sehr harte Arbeit machen oder Frauen sind, die in Teilzeit arbeiten, weil sie auch noch Erziehungsarbeit leisten. Die Altersarmut wird explodieren – besonders in Ostdeutschland. Wir dürfen da die Augen nicht verschließen. Die Tafeln werden das Problem nicht mildern können. Schon jetzt ist es so: Viele Tafeln in Deutschland haben Wartelisten und temporäre Aufnahmestopps verhängt. Die Nachfrage übersteigt vielerorts schlicht das Angebot und es ist auch nicht die Aufgabe der Tafeln, die Lücken im Sozialstaat oder Rentensystem zu füllen.

Sie haben vorhin drohende Armut mit einem Frust auf die Politik verknüpft. Wird die AfD davon bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland dieses Jahr profitieren? Sie waren lange selbst politisch aktiv.

Die Gefahr ist riesengroß. Gerade in Ostdeutschland gibt es viele Menschen, die sich nicht mehr gesehen und vertreten fühlen von den Regierenden. Wir müssen verhindern, dass viele Menschen aus Frust und Verzweiflung die AfD wählen. Die demokratischen Parteien müssen etwas dagegen setzen und das muss eine aktive und nachhaltige Armutsbekämpfung sein, die allen Menschen Perspektiven ermöglicht und sie vor Armut schützt.

Tafeln sind häufig Besuchsort für Politiker, gerade im Wahlkampf. Wäre Björn Höcke willkommen?

Wir distanzieren uns klar von rechtsextremen Parteien oder solchen, in denen rechtsextremistische und rassistische Ansichten verbreitet werden. Herrn Höcke und auch alle anderen AfD-Politiker wollen wir bei der Tafel weder sehen noch haben. Wer in die Programme der AfD schaut, dem wird auch schnell klar: Der AfD geht es nicht um armutsbetroffene Menschen, sie hat keine Antworten auf die wachsende Armut.