AbtauchenUnser Sehnsuchtsort ist der Swimmingpool – diesen Sommer mehr denn je
- Das sommerliche Poolleben – es wird glorifiziert, mystifiziert und erotisch aufgeladen.
- Ein Blick in die Kulturgeschichte zeigt, das azurblaue Becken ist die coole Kulisse für heiße Dramen in Film und Literatur.
- Doch wie sieht der moderne Pool aus? Wer noch von türkisen Kacheln träumt, ist in den Siebzigern steckengeblieben.
Glitzerndes Blau, flirrende Hitze, erfrischendes Eintauchen. Ein paar Bahnen ziehen, am Beckenrand trocknen, bis die letzten Wasserperlen verdunstet sind – um wieder abzutauchen. In knapper Badebekleidung oder nackt, je nach Umgebung und Begleitung. Am Pool scheint Alltägliches vom Azur verschluckt.
Noch nicht mal lästige Ameisen stören im gekachelten Paradies ohne Gras und Sand, höchstens Zikadensurren bricht den Frieden der mittäglichen Lethargie. Was zählt, ist Lektüre, Sonnencreme und kühle Getränke in greifbarer Nähe zu wissen. Noch besser Personal, das sich in regelmäßigen Abständen nach Wünschen erkundigt, mit Kaffee oder Cocktails wiederkehrt und sich sonst diskret im Hintergrund aufhält. Denn sofern keine Kinder und Arschbomben die Stille stören, ist Aufstehen und Bewegung nur vorgesehen, um mit dem Handtuch der Sonne am Beckenrand hinterherzuziehen – oder in den Schatten auszuweichen. So lassen sich Ferientage in Endlosschleife verbringen. Nur diesen Sommer vielleicht nicht.
Dieser Sommer – in dem alles anders ist. Kaum jemand weiß, ob es Wochen des Müßiggangs geben wird und wenn, wie die aussehen könnten. Weil Urlaube im Frühling hektisch storniert oder umgebucht wurden, und Ferien irgendwo zwischen Usedom und Garmisch vielleicht doch nicht so verheißungsvoll klingen wie Pool-Villa mit Meerblick auf Sardinien oder Korsika. Aber wer weiß?
Vorstädter mit Garten realisieren ihren Traum vom eigenen Pool
Vielleicht wird der Urlaub einfach zuhause verbracht, mit gebuchten Eintrittskarten fürs Freibad und Fühlinger See. Ungezwungenheit sieht, ganz klar, anders aus. Oh je. Und ein paar glückliche Vorstädter, mit Garten und Grundstück ausgestattet, realisieren gerade ihren vielleicht schon sehr lang gehegten Traum vom eigenen Pool. Denn die Aussicht auf schwüle Wochen in der Kölner Bucht ohne Abkühlung hat viele zum spontanen Handeln angetrieben. „Die Auftragsbücher sind voll“, sagt ein regionaler Poolbau-Unternehmer.
Schon im vergangenen Jahr konnte wegen der immer weiter steigenden Temperaturen eine deutlich höhere Nachfrage registriert werden. Und seit diesem Frühjahr, seit sich die Aussicht auf Sommerferien bei vielen mit Fragezeichen statt Vorfreude füllt, steht bei manchem Garten- und Landschaftsbauer das Telefon nicht mehr still. Weil viele Gartenbesitzer den Sommerurlaub frühzeitig gestrichen haben und jetzt ins Vergnügen zu Hause investieren. Ab 20.000 Euro beginnt in der Regel der Spaß, nach oben sind, wie bei so vielem, die Grenzen offen.
Der Swimmingpool verspricht viel mehr als kühles Nass bei stehender Hitze. Der Swimmingpool ist ein türkisblauer Sehnsuchtsort, wie er von vielen Künstlern, Autoren und Filmemachern immer wieder glorifiziert, mystifiziert und erotisch aufgeladen wurde – und damit Millionen Menschen animiert hat, sich nach Vorlage der flirrenden Dekadenz ihr eigenes privates Paradies im Garten anzulegen. Ob in Beverly Hills oder Bergisch Gladbach.
Die Kulturgeschichte des Swimmingpools reicht weit ins letzte Jahrhundert zurück. Auch im literarischen und cineastischen Leben hat der Pool seinen festen Platz. Er liefert die perfekte Kulisse – glitzernd, glatt und glamourös –, um im Hintergrund das Drama zu inszenieren. Gemalt oder verfilmt, eingebettet in traumhafte Landschaften und dekoriert von schönen Menschen, bilden luxuriöse Becken jeweils die Antipode – zur unendlichen Traurigkeit eines Protagonisten, zum kaltblütigen Drehbuch-Mord.
Das bessere Leben am Rand des Swimmingpools in Gemälden von David Hockney
Die rätselhafte Figur Jay Gatsby etwa, in F. Scott Fitzgeralds Roman von 1925 „The Great Gatsby“, tritt zuerst als ambitionierter Gastgeber rauschender Partys am Pool auf, um später darin ermordet aufgefunden zu werden. Unbedingt muss in der kulturellen Pool-Chronologie auch „The Swimmer“, Frank Perrys’ großartiger Film aus dem Jahr 1968 mit Burt Lancaster in der Hauptrolle erwähnt werden. Hier mutet das Werk dem Betrachter nicht Mord und Totschlag zu, es werden die Nöte einer gequälten Seele ausgebreitet. Wie „Der große Gatsby“ spielt auch „The Swimmer“ an der amerikanischen Ostküste, an der sich Lancaster durch die Pools der Menschen krault, die in seinem Leben einmal Bedeutung hatten. Und, nur ein Jahr später auf den Leinwänden, der Klassiker „La Piscine“ (Der Swimmingpool, 1969) mit Romy Schneider und Alain Delon als Hauptfiguren, sowie die beiden Remakes „Swimming Pool“ (2003) von François Ozon und „A Bigger Splash“ von 2016. In allen Versionen bildet der Pool das Zentrum, um das sich Eifersucht, erotische Spannung und Mordlust entwickeln.
Und während in der Kunstgeschichte das Meer schon eine sehr lange Geschichte hat, sind es die zahllosen Pool-Gemälde David Hockneys, die eine weltweite Sehnsucht nach Luxus ausgelöst haben – nach einem besseren Leben mit Bad im eigenen Schwimmbecken. Seit Mitte der 1960er Jahre malt der Brite türkisfarbene Varianten des American Dream.
„Auf den ersten Blick wirken sie ästhetisch, glatt und statisch, bei näherer Betrachtung verweisen aber auch sie auf ein hintergründiges Drama. Wie zum Beispiel im weltberühmten Gemälde »Portrait of a Swimmer«“, erklärt der Kunsthistoriker und Direktor des Museum Ludwig, Yilmaz Dziewior. Dazu muss man wissen, „dass Hockney als schwuler Mann 1964 von Großbritannien erstmals nach Los Angeles reiste und dort die liberale und freizügige Haltung sehr genoss, während homosexuelle Handlungen in seiner eher verregneten Heimat bis 1967 strafbar waren“. Inhaltliche und malerische Aspekte trieben ihn zu seinen unendlich vielen Pool-Szenen an, die heute zu astronomisch hohen Preisen auf dem Kunstmarkt gehandelt werden. „Viele seiner Bilder haben beides: Die Projektion auf eine schöne neue Welt, und oft auch etwas sehr Melancholisches“, erklärt Dziewior.
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Film, Malerei und Literatur haben also seit den 1970er Jahren viele Menschen dazu ani-miert, ihr eigenes Paradies im Garten zu kreieren. Und wenn es bisher nicht zur privaten Realisierung reichte, so durfte wenigstens für ein paar Sommerwochen die Villa mit Pool und Meerblick zum Müßiggang beitragen.
Und heute, wie sehen die Paradiese aus? Wer glaubt, man brauche ein riesiges Grundstück, liegt falsch. Fotos in Architekturzeitschriften liefern den Beweis, dass ein Pool auch mitten in London in einem handtuchgroßen dicht bewachsenen Garten verwirklicht werden kann. Aber besser ist natürlich: mehr Platz zu haben, um das Becken nach dem Sonnenverlauf ausrichten zu können.
Verheißungsvoller Ort für Sonnenanbeter wie Schwimmer
Weil der Pool nun mal der Inbegriff eines besseren Lebens ist, ein verheißungsvoller Ort für Sonnenanbeter wie Schwimmer, an dem vieles kann, aber nichts muss, bleibt er für all jene, die jetzt nicht bauen, oder vielleicht doch in den Süden aufbrechen, ein Traum aus der Vergangenheit. Eine Vision, auf die wir uns in unbestimmter Zeit wieder freuen werden. Das ist das Drama, mit dem wir im Jahr 2020 zu tun haben. Nicht gemalt, nicht verfilmt, sondern ganz real. Ein Virus, das die Welt lahm legt und sogar die Sommerferien durcheinanderbringt. Die Bücher dazu müssen erst geschrieben werden, lesen will sie möglicherweise keiner.
Also: Schnell her mit dem Pool. Das neue Leben in türkisblau. Wer sich im Sommer 2020 einen Swimmingpool – oder einen Schwimmteich – im Garten anlegen lässt, wird aller Wahrscheinlichkeit nicht von den Sorgen getrieben, die vielen Menschen gerade schlaflose Nächte bereiten. Eher stellt sich die Frage, in welche Art von Luxus investiert wird, wenn der Urlaub flach fällt.
Aber, wer immer noch vom azurblauen Becken träumt, ist sozusagen in den 1970er Jahren steckengeblieben. Die gekachelte, geradlinige Pool-Geometrie ist Geschichte. Statik wird durch Natürlichkeit ersetzt, Gräser und Stauden umspielen das Becken und rascheln im Wind. An die cleane Optik von damals erinnert im Schwimmbereich von heute nur noch wenig.
Ein Teich wie ihn zum Beispiel der Innenarchitekt Andreas Holnburger in seinem früheren Kölner Haus in Junkersdorf angelegt hat, ist das Paradebeispiel für die aktuelle Pool-Ästhetik der 2000er Jahre. Ein Naturbecken mit Seerosenteich, in dem samtweiches Wasser plätschert, und das durch seinen dunklen Grund mehr an einen See erinnert als an die glitzernden Inszenierungen in Azur von Hockney. Viele Poolbauer verwenden mehr und mehr Folienfarben, die mit den sattgrünen Gärten Mitteleuropas gut harmonieren. Wenn man auf den von Holnburger entworfenen Naturpool blickt, will man sofort eintauchen in ein tiefes, sattes Blau, das den Grund nicht mal erahnen lässt – und mit den kalifornischen Modellen nichts mehr zu tun hat.
Gleich, ob man auf Hellblau oder Dunkelblau setzt, geben Experten für alle Entschlossenen noch einen wichtigen Hinweis: Weil ein eigener Pool in der Gesellschaft immer noch ähnliches Ansehen genießt wie Jacht, Sportwagen und Pelzmantel, löst er bei vielen Neid aus. Deshalb wird beim Bau empfohlen, nicht etwa an der Technik zu sparen, sondern etwa in eine Wärmepumpe zu investieren, die sich nachts abschalten lässt. Denn nichts ist schlimmer als wütende Nachbarn, die hinter den Hecken lauern und sich in ihrer Ruhe gestört fühlen.Ich für meinen Teil werde keinen Neid in der Nachbarschaft provozieren, sondern im innerstädtischen Dachgeschoss meinen Sommer verbringen. Keinen Pool bauen, sondern ein Planschbecken auf drei Quadratmetern Balkon aufstellen. Froh sein, wenn ich mit den anderen Frühschwimmern ein Ticket fürs Stadionbad bekomme und auf dem Betonfelsen von glitzernden Erlebnissen vergangener Ferien träumen. Abends einen Cocktail mixen. „Swimming Pool“ zum Beispiel. Nicht so klebrig wie ihn Charles Schumann 1979 kreiert hat, sondern in seiner modernen Variante. Weniger Sirup, Kokosnuss, Sahne. Azur kann bleiben.