„Sehr geehrte(r)", „Hallo"In Brief oder E-Mail – welche Grußformel ist angemessen?
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Aber bitte mit Stil! In unserer Kolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten. Ob bei offiziellen Anlässen, beim Essen, im Gespräch oder vor dem Kleiderschrank.
Protokollchefin i.R. Ingeborg Arians, Redakteurin und Modeexpertin Eva Reik, Restaurant-Chef Vincent Moissonnier sowie Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreiben abwechselnd über das richtige und stilvolle Auftreten.
In dieser Woche stellt sich Anatol Stefanowitsch der Frage, welche Anrede in E-Mails oder Brief eigentlich angemessen ist – und ob sich das über die Jahre verändert hat.
Köln – Häufig erreichen mich Fragen nach angemessenen Anrede- und Grußformeln im Schriftverkehr. Dabei zeigt sich ein Spannungsfeld zwischen Tradition und Wandel: Die einen halten die traditionellen brieflichen Anrede- und Grußformeln für überholt, die anderen wünschen sich mehr Tradition auch in neueren Kommunikationsformen wie der E-Mail.
„Hallo" ist zu forsch, „Liebe(r)" zu persönlich
„Immer noch ist in Briefen die Anrede „Sehr geehrte(r)…" üblich, obwohl das total altmodisch klingt. Wie könnte eine zeitgemäße Anrede lauten?“, fragt ein Leser. Ein anderer dagegen findet: „Eine formale E-Mail beginnt natürlich mit dem üblichen „Sehr geehrte(r)". Aber was, wenn es weniger formell sein soll? „Liebe(r)…" oder „Beste(r)" ist zu vertraut, ein einfaches „Hallo" zu forsch. Die Anrede wegzulassen, ist auch keine Lösung.“
In Geschäftsbriefen, aber auch beim ersten Briefkontakt mit Menschen, die man nicht näher kennt, ist die Anrede „Sehr geehrte(r) Herr/Frau…“ auch heute noch konkurrenzlos. Bevor wir von dieser Formel abweichen, sollten wir also sehr gute Gründe haben. Die dazu passende Grußformel ist „Mit freundlichen Grüßen“.
Wenn der Briefverkehr vertrauter wird, wechseln die Verfasserinnen und Verfasser dann zu „Liebe(r) Herr/Frau…“ und „Viele Grüße“; später – vor allem, wenn sie sich duzen – zu einem einfachen „Hallo (Vorname)“ oder einer ähnlichen informellen Anrede. Auch wo es noch intimer wird – in Liebesbriefen – lassen sich Konventionen beobachten: aus „Hallo…“ wird hier typischerweise „Mein(e) liebste(r) (Kosename)“. Im nächsten Schritt bleibt nur der Kosename übrig.
„Wie geht’s?“
In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)
Die Anrede „Liebe(r)…“ gerät allerdings zunehmend unter Druck: Je stärker sich informelle Anreden durchsetzen, desto stärker verliert sie ihre Formelhaftigkeit, und die wörtliche Bedeutung tritt in den Vordergrund. Das ist vor allem jüngeren Leuten zu intim. Sie meiden diese Anrede. Hier bietet sich die Alternative „Guten Tag, Herr/Frau…“ an, die uns im mündlichen Gespräch ja gute Dienste leistet.
Bei E-Mails wird es verzwickt. Für die Älteren unter uns sind sie eher Briefe in elektronischem Gewand. Sie erwarten hier ähnliche Anrede- und Grußformeln. Für die Jüngeren sind E-Mails näher an der mündlichen Kommunikation, so dass ihnen Anreden wie „Hallo…“ oder „Hi…“ und Grußformeln wie „Bis bald“ und „Schönen Tag noch“ völlig normal vorkommen. Das hat übrigens nichts mit einem Kommunikationsverfall im Internet zu tun: Eine ähnliche Auflösung brieflicher Traditionen war schon am Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Postkarte zu beobachten. Ein längerer E-Mail-Wechsel wird von den Korrespondierenden häufig zu einer Art Gespräch umgedeutet, so dass Anrede und Grußformel wegfallen können.
Angesichts dieser komplizierten Lage ist es schwer, einen einfachen Ratschlag zu geben. Ich will es aber versuchen. Halten Sie sich zunächst an die traditionellen Formeln. Die sind erwartbar und werden somit kaum zu Missverständnissen führen. Dort, wo Ihnen diese Formeln unangemessen vorkommen – zu förmlich oder zu intim –, befragen Sie ihr mündliches Sprachgefühl: Was Sie in einer entsprechenden Situation sagen würden, das können Sie im Zweifelsfall auch schreiben.