Mehr RechteAutofahrer können jetzt die Messdaten von Blitzern einsehen
München/Gelsenkirchen – Geblitzt, und einige Zeit später bekommt der Halter des Fahrzeugs einen Brief. Das Schreiben spricht eine klare Sprache: Der Fahrer sei zu schnell gefahren. Doch in der Praxis können natürlich auch bei solchen Messungen Fehler passieren.
Bislang war bei Gericht sehr umstritten, ob die Behörden und die Hersteller dann die Rohdaten der Messgeräte herausgeben müssen. Über die Daten können Gutachter Widersprüche erkennen. „So war es schwierig herauszufinden, ob ein Fehler vorliegt“, erklärt Arndt Kempgens, Fachanwalt für Verkehrsrecht und ACE-Experte.
Das ändert ein Urteil: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass Autofahrer diese Rohmessdaten einsehen können (Az.: 2 BvR 1616/18). Aus dem Recht auf ein faires Verfahren ergebe sich, dass Betroffene auch Informationen der Bußgeldbehörde prüfen dürfen, die nicht Teil der Akte sind – wenn sie Messfehler vermuten.
Was bringt das Urteil?
„Ein sensationelles Urteil, das die Rechte der Autofahrer stärkt“, sagt Kempgens. Nun sei es einfacher zu überprüfen, wie die Messergebnisse zustande gekommen sind - und Widersprüche zu finden.
„Das Gericht muss Einwendungen aber nur nachgehen, wenn es konkrete Anhaltspunkte für Fehlmessungen gibt und diese vom Autofahrer auch vorgetragen werden“, gibt Kempgens zu bedenken.
Wie kann man konkret die Rohmessdaten einsehen?
„Solche Daten kann man entweder elektronisch, oder direkt vor Ort einsehen“, erklärt Kempgens. Die Behörden müssen die Rohdaten aber nicht automatisch herausrücken.
„Autofahrer müssen die Daten einfordern“, sagt Kempgens. „Dafür sollten sie Einspruch innerhalb der vorgesehenen Frist erheben“, rät Kempgens. Dies ist formlos möglich. Ab dem Zeitpunkt der Briefzustellung hat man dafür zwei Wochen Zeit.
Wer ist dafür zuständig?
„Zuständig ist die Behörde, von der der Beschuldigte die Anhörung oder den Bußgeldbescheid bekommen hat - also beispielsweise das Ordnungsamt oder die Zentrale Bußgeldstelle“, erläutert Jost Kärger, Verkehrsrechtler beim ADAC.
„Zwar haben beschuldigte Autofahrer selbst ein Akteneinsichtsrecht, meist wird dieses jedoch von einem Anwalt wahrgenommen, der den Akteninhalt auch bewerten kann“, sagt Kärger. Denn dieser habe gegebenenfalls die nötige Software, um die Daten elektronisch auszulesen sowie die Erfahrung, Messfehler überhaupt festzustellen.
Und er könne mit Augenmaß vorgehen und entscheiden, ob ein Parteisachverständigengutachten sinnvoll sei, erklärt Kärger. „Das Gutachten ist meist deutlich teurer als das Bußgeld“, erklärt Kärger. Es ist also die Frage, ob es sich lohnt, einen Gutachter zu beauftragen, der die Messdaten prüft. Man sollte sich sicher sein.
„Das ist auch wichtig, damit einem die Rechtsschutzversicherung bei einer Häufung solcher Fälle nicht kündigt“, erklärt Kärger. Denn sie übernimmt im Idealfall die Kosten für ein solches Gutachten. Diese könnten je nach Aufwand und Gerät variieren und zwischen mehreren hundert bis mehreren tausend Euro liegen.
Was bedeutet das Urteil für die Praxis?
Wie die Behörden das Prozedere künftig genau ausgestalten und ob sie ihr Verfahren umstellen, bleibt abzuwarten. „Das Urteil und die drei Monatsfrist dürfte die Behörden ganz schön unter Druck setzen“, vermutet Kempgens. Denn zwischen Vorfall und Bußgeldbescheid dürfen nur drei Monate liegen, dann greift die Verjährungsfrist. Eine Anhörung des Halters könne die Frist um drei Monate verlängern.
„Wenn das Gerät ordnungsgemäß aufgebaut und geeicht wurde und die Beamten entsprechend geschult sind, darf das Gericht davon ausgehen, dass die Messung in Ordnung ist“, erklärt Kempgens.
„Da es sich um ein Massenverfahren handelt, wird der Fall vor Gericht oft eingestellt, wenn man einen berechtigten Einwand einlegt. Denn meist haben die Gerichte nicht die Kapazitäten diesen Einwänden nachzugehen“, erklärt Kempgens.
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Es sei denn, es werden konkrete Messfehler vom Betroffenen vorgetragen. „Dann muss das Gericht dem gegebenenfalls mit einem Gutachten nachgehen, was natürlich sehr aufwendig ist“, so Kempgens. Ob sich der Aufwand lohnt, die Rohmessdaten anzufordern, hängt natürlich auch davon ab, wie oft die Messergebnisse fehlerhaft sind.
Kommen Messfehler denn häufiger vor?
„Bei Blitzgeräten kann es durchaus zu Messfehlern kommen“, sagt Kärger vom ADAC. Dies sei aber tendenziell eher der Ausnahmefall als die Regel. „Mögliche Gründe sind, dass das Gerät schräg oder mit falschem Abstand aufgestellt wurde“, nennt Kärger als Beispiele.
Manche Geräte kalibrieren sich vor Messbeginn aber selbst, dennoch sind Fehler grundsätzlich möglich. Bei den neuen Messgeräten steht neben dem physikalischen Messprinzip die Messsoftware und deren Überprüfbarkeit im Mittelpunkt. (dpa/tmn)