Menschen werden immer größer – Männer aber noch deutlich mehr als Frauen. Dr. Magnus Heier erklärt, woran das liegt.
Umgeben von RiesenWarum Frauen immer größer werden – und Männer noch viel mehr

Der Größenunterschied zwischen Männern und Frauen steigt im Durchschnitt immer weiter an.
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Der Blick auf meinen Neffen ist deprimierend: Ich war es ein Leben lang gewöhnt, meinen Gesprächspartnern nach schräg unten ins Gesicht zu sehen. Dazu hat meine Körpergröße von 1,86 Metern fast immer ausgereicht. Das ist vorbei: Im Gespräch mit ihm schaue ich nun nach schräg oben. Und das ist immer häufiger so: Wir sind umgeben von Riesen.
Früher war das ganz anders. Deutschland im Jahr 1850: Die durchschnittliche Körpergröße von Männern betrug 1,63 Meter. Einhundert Jahre später schon 1,76 Meter. Heute liegt sie bei 1,79 Metern. Was noch eindrucksvoller ist: Junge Männer zwischen 18 und 20 Jahren sind mittlerweile 1,82 Meter groß – im Durchschnitt! Die durchschnittliche Körpergröße der Frauen in Deutschland beträgt 1,66 Meter, junge Frauen zwischen 18 und 20 erreichen 1,68 Meter. Alle werden größer, Männer im Durchschnitt aber deutlich mehr als Frauen.
Gute Ernährung und wenig Krankheiten in der Wachstumsphase
Warum? Unsere theoretisch erreichbare Körpergröße liegt in den Genen. Vor allem bessere Ernährung und weniger Krankheiten in der Wachstumsphase sorgen für das optimale Ausreizen dessen, was genetisch möglich ist. Irritierend ist aber etwas anderes: Frauen und Männer werden im Durschnitt zwar immer größer, aber nicht in gleichem Maße: Die Männer wachsen einfach deutlich mehr. Vor 100 Jahren war eine von vier Frauen größer als der statistische Durchschnittsmann. Ein halbes Jahrhundert später war es nur noch eine von acht. Zwar werden auch Frauen im Durchschnitt größer. Aber der Abstand zu den Männern wächst.
An unterschiedlicher Ernährung oder Gesundheitsversorgung von Frauen und Männern kann es nicht liegen – die sind hierzulande vergleichbar. Die zu vermutende Ursache ist einfach: sexuelle Evolution, es scheint an den Genen zu liegen. Frauen wählen zur Fortpflanzung häufiger größere Männer. Vermutlich liegt dem die archaische Einschätzung zu Grunde, dass größere Männer gesünder sind und stärker – und damit eher als Beschützer und Ernährer taugen. Unterbewusste Gedanken, wohlgemerkt, aber stark genug, um große Männer evolutionär zu bevorteilen. Umgekehrt scheinen Männer weniger nach eher großen Frauen zu suchen, wenn überhaupt.
In der nächsten Generation könnte es dem 1,94-Meter-Neffen ähnlich gehen
Tatsächlich suchte eine Freundin auf einem Portal im Netz nach einem neuen Partner. Eines der wichtigsten Kriterien: Er sollte über 1,85 Meter groß sein – keine Ausnahmen! Kleinere Männer wurden ohne Gnade weggewischt. Sexuelle Evolution im Internetzeitalter.
Im Laufe längerer Zeiträume führt diese sexuelle Selektion zu genetischen Veränderungen. Und wenn die Umweltbedingungen stimmen, wenn die Nahrung reichlich ist und die Gesundheitsversorgung optimal – dann kann der Körper diese genetisch mögliche Körpergröße auch tatsächlich erreichen. Früher war ich mit 1,86 Metern vergleichsweise groß – heute deprimiert mich ein 1,94 Meter großer Neffe (nicht wirklich, eigentlich ist die neue Perspektive sogar ganz lustig). Aber in der nächsten Generation könnte es ihm ähnlich gehen.