Training bis die Knochen brechenWenn Sport und gesunde Ernährung zur Sucht werden

Bewegung ist gesund, manche übertreiben es aber.
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Köln – Viel Bewegung und gesunde Ernährung sind an und für sich eine super Sache. Doch man kann es damit auch übertreiben. Nicht selten rutschen ambitionierte Sportler, die ihre Leistung durch bewusstes Essen noch toppen wollen, in eine regelrechte Sucht. Nährstoffmangel und Energiedefizit kombiniert mit sehr viel Bewegung können dann zu Knochenbrüchen, Dauermüdigkeit, ständigem Kranksein oder dem Ausbleiben der Regelblutung führen. Christine Kopp ist Fachärztin für Allgemein-, Sport- und Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Tübingen und erklärt, wann die Fokussierung auf gesunde Ernährung und Sport bedenklich wird und wie man am besten mit Sportsüchtigen umgeht.
Profisportler können von Training und Wettkampf ausgeschlossen werden
Wer viel Sport macht, ist meist schlank. Die Grenze zu „zu schlank“ ist fließend und hängt von Sportart und Körperstatur ab. Im Profisport sind Untergewicht und extremes Training besonders stark verbreitet, der Umgang damit ist aber im Vergleich zum Privatleben etwas besser reglementiert. Die Uniklinik Tübingen betreibt beispielsweise eine Ambulanz, an die sich Kaderathleten mit Essstörungen wenden können.

Christine Kopp ist Fachärztin für Allgemeinmedizin, Sportmedizin und Ernährungsmedizin.
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„Untergewicht hat es im Sport schon immer gegeben, teilweise war das sogar von Trainer-Seite so gewünscht. Mittlerweile schaut man genauer hin und das Thema wird ernster genommen“, sagt Christine Kopp, die auch Leichtathletik-Verbandsärztin und Mitglied der Medizinischen Kommission im Deutschen Olympischen Sportbund ist. Es sei nicht immer leicht zu erkennen, ob eine Sportlerin oder ein Sportler eine Essstörung habe oder einfach zart sei. Anders als Hobbysportler würden Leistungssportler aber einmal im Jahr genau untersucht und müssten zum Teil auch Ernährungsprotokolle vorlegen. „Wenn wir sehen, dass Gewicht und Ernährung im kritischen Bereich sind, können wir die Sportlerinnen und Sportler zeitweise für Wettkämpfe sperren und ein Trainingsverbot aussprechen. Die Athleten dürfen nur unter strengen Auflagen wieder starten, zum Beispiel müssen sie regelmäßig zum Psychologen gehen. Das geht im privaten Bereich natürlich nicht so einfach“, sagt Kopp.
Sportsucht betrifft auch viele Hobbysportler
Dabei betrifft Sportsucht und die extreme Fokussierung auf gesunde Ernährung auch sehr viele Hobbysportler. Nach Kopps Erfahrung war das zu Beginn der Corona-Zeit besonders extrem, als die normalen Sportvereine und Studios geschlossen waren. Vor allem viele Jugendliche hätten sich im Lockdown sehr mit Bewegung und Ernährung befasst und teilweise sehr viel abgenommen. „Das ist dann natürlich ein Problem, aber als Eltern kann man kaum etwas dagegen machen. Wenn man Kontra gibt, erreicht man eher das Gegenteil“, glaubt Kopp.
Einen Unterschied macht die Fachärztin zwischen einer Essstörung und dem Drang zu gesunder Ernährung, auch Orthorexie genannt. „Wer immer ganz genau darauf achtet, was er zu sich nimmt, hat noch keine Essstörung, sondern eine Unregelmäßigkeit im Essverhalten. Aber wenn dann noch ein übertriebenes Trainingsverhalten dazu kommt, kann das in eine Essstörung münden“, erklärt sie.
Ausbleibende Regelblutung, Schlafstörungen und Ermüdungsfrakturen
Es gibt allerdings einige Symptome, die deutlich zeigen, dass man es mit Sport und Ernährungsbewusstsein übertrieben hat. Eine rote Linie ist für Kopp dann überschritten, wenn das Leben sich bei den Betroffenen nur noch ums Essen dreht. Auffällig sei zudem, wenn jemand andauernd krank ist, weil er sich gar nicht mehr regenerieren kann. Auch Schlafstörungen und Dauermüdigkeit sind ein Alarmzeichen. Ganz klar zu viel ist es, wenn bei Mädchen die Regelblutung ausbleibt, weil der Körper zu stark unter Stress steht. „Wenn Sie das als Eltern mitbekommen, sollten Sie einen Gesprächstermin mit dem Hausarzt machen. Oft ist es auch einfacher für Eltern und Kind, wenn ein Fachmann involviert wird, der nicht zur Familie gehört“, rät Kopp.
Für eine gute Beratung ist es sinnvoll, eine Woche lang genau zu notieren, was gegessen und wie viel trainiert wird. „Manchmal sehen die Betroffenen dann auch ein, dass sie es übertreiben. Manchmal kommt die Erkenntnis aber erst dann, wenn es bereits Folgeerscheinungen gibt, zum Beispiel eine Ermüdungsfraktur“, hat Kopp festgestellt. Durch die verminderte Nahrungszufuhr entsteht ein Nährstoffmangel in den Knochen, der schneller zu Brüchen führt und langfristig Osteoporose verursacht. Dauerhafter Nährstoffmangel kann sich bei Frauen und Männern auch auf die Fruchtbarkeit auswirken.
Zwei bis drei Tage Trainingspause pro Woche
Wie viel Training pro Woche in Ordnung ist, hängt von der Sportart ab, eine grundsätzliche Empfehlung lässt sich nur schwer aussprechen. Als grobe Richtlinie für Freizeitsportler empfiehlt Kopp, nicht täglich zu trainieren, um genug Regenerationszeit zu haben. Auch sollte es nur eine Trainingseinheit pro Tag geben. Wer zu viel macht, kann schlechter schlafen und wird möglicherweise in seiner Sportart sogar schlechter als besser. Kopp empfiehlt deshalb zwei bis drei Tage Trainingspause pro Woche. „Das halten viele kaum aus, weil Sport für sie zu einer Sucht geworden ist. Wer davon besessen ist, hat immer Angst, zuzunehmen oder sich zu verschlechtern, wenn er mal nichts macht. Dabei ist Regeneration extrem wichtig“, sagt Kopp.
Die Ärztin rät dazu, Freunde, Bekannte oder auch die eigenen Kinder direkt anzusprechen, wenn man das Gefühl hat, dass sie es mit Sport und gesunder Ernährung übertreiben. „Nach meiner Erfahrung wehren diejenigen, die bereits eine Essstörung haben, das Gespräch vehement ab. Wenn sie sich aber noch in der Vorstufe befinden, sind sie manchmal dankbar dafür, sich öffnen zu können. Da sollte man dann direkt einhaken und die Betroffenen nicht alleine lassen“, empfiehlt Kopp.
„Sagen Sie Ihrem Kind, dass Sie sich Sorgen machen“
Als Akutmaßnahmen sind einige Tage Trainingspause, ein Ernährungsprotokoll sowie Untersuchungen beim Arzt empfehlenswert, im besten Fall bei einem Sportmediziner. „Als Eltern können Sie Ihrem Kind sagen, dass Sie sich Sorgen machen. Vielleicht können Sie auch den Trainer mit einbeziehen“, sagt Kopp. Die Deutsche Sporthochschule in Köln bietet für Betroffene eine sportspezifische Ernährungsberatung an, bei der Ernährung und Trainingsverhalten analysiert werden. Auch die optimale Ernährungsstrategie für den Wettkampf kann besprochen werden. Bei Bedarf können Sie sich per E-Mail melden: sporternaehrung@biochem.dshs-koeln.de.
Am Ende kommt es aber wie bei allen Süchten auf das Einsehen der Person an. Profisportler kann man im kritischen Fall von Wettkampf und Training ausschließen, bei Hobbysportlern geht das nicht. Kopp: „Manchmal muss man deshalb auch zuschauen und es aushalten, wenn Menschen sich nicht helfen lassen. So lange, bis irgendwas passiert und die Person es selbst begreift.“