Auch Erwachsene haben viele Fragen zu Sexualität oder wünschen sich eine Veränderung in Liebesdingen. Dabei kann eine Sexualberatung helfen.
Kölner Beraterin erklärtWas genau passiert eigentlich bei einer Sexualberatung?
Frau Arntzen, bevor Sie Sexualberaterin wurden, hatten Sie Bankkauffrau gelernt, Betriebswirt studiert und im Personalwesen gearbeitet. Das ist ein beachtlicher Move. Wie kam es dazu?
Gitta Arntzen: Stimmt, der Bruch war schon krass. Ich habe viele Jahre als Leiterin Verwaltung/Service bei der Lebenshilfe gearbeitet. Aber manchmal gibt es im Leben Momente, in denen man spürt: Jetzt ist es besser zu gehen. Bei mir war das mit 50 so. Auf dem Weg in etwas Neues fiel mir eine winzige Anzeige ins Auge: „Masseurinnen gesucht – wir bilden aus“. „Ach“, dachte ich, „das ist doch mal was ganz anderes“. Aber dann folgte für mich erst einmal eine Art Kulturschock, als ich merkte: Es ging um Tantra-Massagen.
Kulturschock?
Ja, bei „Tantra“ schwangen lange Vorstellungen von Pornografie oder Prostitution mit. Inzwischen hat sich durch die Gründung des Tantramassageverbands, mit seriösen und verständlichen Informationen in den Medien und der kompetenten Arbeit in den Praxen sowie in Seminaren das Bild in der Öffentlichkeit verändert. Für mich war die Erfahrung mit der Tantramassage und ihrem Hintergrund eine „poetische Hinwendung“ zur Sexualität von Frauen und Männern, kompetent, achtsam und respektvoll. Ein weiterer wichtiger Baustein meiner Ausbildung ist das „Sexocorporel“ von Yves Desjardins.
Was ist das?
Ein therapeutischer Ansatz, der Menschen befähigt, ihre Sexualität in den verschiedenen Phasen ihres Lebens lebendig und lustvoll zu genießen. Basis beider Konzepte ist die Wertschätzung des menschlichen Körpers und das Wissen um seine sexuellen Reaktionen und feinen Signale.
Was macht eine Sexualberaterin genau?
Neben wesentlichen Informationen über die sexuellen Funktionsweisen des männlichen und weiblichen Körpers geht es darum, aufmerksam und spielerisch den eigenen intimen Bereich vorbehaltlos zu erforschen und auf seine feinen sinnlichen Signale zu achten.
Da gibt es Nachholbedarf?
Ja, Sexualität ist im öffentlichen Raum überall präsent. Das vermittelt den Eindruck, als wäre Sexualität ein völlig normales Thema, und alle kennten sich aus. Tatsächlich ist es nach wie vor ein schambesetztes, tabuisiertes Thema. Es fehlt oft an seriösen Informationen und körperlicher Kompetenz. Übrigens besonders bei Frauen.
Warum?
Sexualität wurde immer reguliert und reglementiert – besonders aber die weibliche Sexualität. Es ist nicht selbstverständlich, dass Frauen von ihrer Lust sprechen und eigene Bedürfnisse äußern. Was mag ich? Was brauche ich für meine sexuelle Erfüllung? Und wie komme ich da hin? Bis heute lernen Frauen das nicht ohne Weiteres. Das hat zum Teil ganz banale Ursachen.
Sagen Sie eine!
Das männliche Geschlecht ist anatomisch leichter zugänglich. Der Mann kann seinen Penis jederzeit sehen, anfassen und tut das mehrmals täglich auf der Toilette. Bei der Frau dagegen ist die Vulva mit der Klitoris unter den Lippen verborgen, und die Vagina befindet sich im Körperinneren. Es gibt nichts Verletzlicheres, als in einen Körper hineinzugleiten. Es ist Teil des sexuellen Lernens, die Vagina erotisch zu wahrzunehmen. Das braucht positiven Zuspruch, Hinführung, Übung, Erfahrung. Aber genau das ist oft zwiespältig, ambivalent. Frauen, die sexuell aktiv sind, müssen damit rechnen, als Schlampe tituliert zu werden. Übrigens, Frauen beleidigt und demütigt man meistens sexuell.
Teil Ihrer Beratung ist also das „Behandeln“ – im buchstäblichen Sinn.
Zu mir kommen Männer mit Themen wie Erektionsstörung, frühzeitiger Ejakulation, Lustlosigkeit. Frauen leiden oft daran, keine Lust und keinen Orgasmus zu erleben, Schmerzen beim Verkehr zu empfinden, sich in ihrem Körper nicht wohlzufühlen, insbesondere nach Erfahrungen von sexualisierter Gewalt. In der Beratung loten wir gemeinsam das Ziel aus. Dann schlage ich verschiedene Übungen für die körperliche und sinnliche Wahrnehmung vor. In den meisten therapeutischen Berufen ist das Berühren im intimen Bereich strikt untersagt. Bei meiner Arbeit gehört es dazu, wenn es darum geht, eine körperliche Erfahrung zu machen, die anders nicht möglich ist.
Viele behaupten: Sex entsteht im Kopf.
Stimmt nur nicht, jedenfalls nicht so ausschließlich! Schließlich hätten wir keinen Sex ohne unseren Körper. Viele sexuelle Signale entstehen über den Körper und werden dann an unser Gehirn weitergeleitet. Dort treffen wir die Entscheidung, was wir mit diesen Signalen anfangen.
Wie setzen Sie Beziehung und Sex ins Verhältnis?
Indem ich Fragen zur sexuellen Kompetenz beider Partner stelle. Viele Beziehungsprobleme scheitern an der Unfähigkeit, eigene Bedürfnisse zu verstehen, sie nachvollziehbar anzusprechen und dann gemeinsam umzusetzen.
Wie kann eine auf das Wort beschränkte Kolumne Ihrem Herangehen dann überhaupt gerecht werden?
Zunächst ist es wichtig, sexuelle Themen seriös und konkret anzusprechen, damit sie „in der Welt sind“, um dann Interesse zu wecken und die Hoffnung zu vermitteln, dass Sexualität lernbar ist. Wir sind unseren bisherigen – womöglich unglücklichen – Erfahrungen nicht ausgeliefert. Das finde ich tröstlich.
Das Gespräch führte Joachim Frank
Frauengruppe für Information, Austausch, Unterstützung: Unsere Kolumnistin Gitta Arntzen bietet Frauen, die einen entspannten, offenen Erfahrungsaustausch zu Themen der Sexualität suchen, regelmäßige, zweiwöchig stattfindende Treffen an. Dauer: jeweils zweieinhalb Stunden. Ort: Ebertplatz 9, 50670 Köln. Teilnahmegebühr: 25 Euro. | Starttermin ist Donnerstag, 14. März, um 19 Uhr. Vorherige Anmeldung erbeten per Mail info@sexualberatung-und-seminare.de oder telefonisch 0177/7226604 | Weitere Informationen: sexualberatung-und-seminare.de