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Thrombosen, Nierenversagen, SchlaganfälleDas Coronavirus schädigt viele Organe

Lesezeit 5 Minuten
Verstopfte Arterie Getty Images

Durch  Blutgerinnsel verstopfte Gefäße haben Mediziner gehäuft bei Covid-19-Patienten festgestellt. 

  1. Immer häufiger berichten Mediziner, dass das neuartige Coronavirus neben der Lunge auch weitere Organe schädigen kann.
  2. Nach neuen Erkenntnissen gibt es neben der Atemnot daher weitere Komplikationen, die zu einem schweren oder tödlichen Verlauf führen.
  3. Und auch bei jüngeren Patienten kann Covid-19 Schlaganfälle verursachen.

Köln – Eigentlich sprach bei der Frau alles für ein gefährliches Herzproblem. Das Organ pumpte nur noch mit halber Kraft, was die massive Müdigkeit der 53-Jährigen erklärte. Die Zacken auf ihrem EKG ähnelten denen eines Infarktpatienten, erinnerten sich italienische Notfallmediziner Ende März in der Fachzeitung Jama Cardiology. Auch das viele Troponin in den Blutproben fanden sie besorgniserregend. Das Protein taucht in derart großen Mengen eigentlich nur im Kreislauf auf, wenn es durch die kaputten Wände von leckenden Herzmuskelzellen nach außen dringt. Im Prinzip ein Krankheitsbild, wie es Mediziner täglich erleben. Dass es der Bericht trotzdem in die hochangesehene Fachzeitung schaffte, hatte einen einfachen Grund. Bei näherem Hinsehen fanden sich keine verstopften Herzkranzgefäße, dafür jedoch im Rachenabstrich das Coronavirus.

Kann Covid-19 neben der Lunge auch weitere Organe befallen?

In der Zwischenzeit hat es noch mehr solcher Berichte gegeben: Bei etwa jedem fünften schwer erkrankten Infizierten lassen die Troponinwerte die Alarmglocken schellen, weiß man seitdem. Wahrscheinlich weil das Virus auch in die Herzmuskeln dringt und dort zu einer Entzündung führt, vermuteten die Autoren des ursprünglichen Beitrags von der Uniklinik Brescia.

Eine plausible Erklärung wäre zur Hand: Die Struktur, an die der Erreger andockt und über die er in Zellen eindringt, gibt es nicht nur reichlich in Lunge und Atemwegen, sondern eben auch in Herzmuskelzellen. Hier hilft der sogenannte ACE2-Rezeptor ebenfalls dabei, den Blutdruck zu regulieren. Er ist aber auch mehr oder weniger in jedem anderen Organ zu finden. Auf Leber- und Darmwänden, dem Inneren von Blutgefäßen, sogar im Gehirn scheint der ACE2-Rezeptor eine Rolle zu spielen. Das lädt zu wilden Spekulationen ein: Kann der Erreger womöglich nicht nur in der Lunge, sondern an vielen anderen Stellen im Körper dem Menschen gefährlich werden?

Dass weniger Lungenerkrankungen, sondern Übergewicht, Diabetes und Bluthochdruck für einen unglücklichen Verlauf prädestinieren, deutet ebenfalls in diese Richtung. Und leider auch zunehmend die Erfahrung der Intensivmediziner. Denen mangelt es zum Beispiel vielerorts nicht nur an Beatmungsmaschinen, zunehmend werden auch die Dialysegeräte knapp. Mehr als die Hälfte der Infizierten auf der Intensivstation entwickeln ein akutes Nierenversagen, schätzt Roland Francis, der stellvertretende Direktor der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin an der Charitè. Auf Nierenzellen sind ebenfalls reichlich ACE2-Rezeptoren vorhanden.

Häufige Symptome: Nierenversagen und Thrombosen

Aber es gibt auch eine alternative Erklärung: Störungen der Nierenfunktion zählen zu den potenziellen Nebenwirkungen jeder Intensivtherapie. Flüssigkeitsverluste und Medikamente, die für die Nieren schlecht verträglich sein können wie einige Antibiotika, addieren sich oft zu einer toxischen Mischung, die die Organfunktion zusammenbrechen lässt. Zum Glück meist nur vorübergehend. Dies gilt im Besonderen, wenn Abwehrzellen den Körper mit ihren Botenstoffen überschwemmen. Solche Zytokinstürme lassen Gerinnungssystem, Gefäße und Blutzellen verrücktspielen. Bei Covid-19 sind sie überdurchschnittlich häufig, das Immunsystem reagiert auf diesen Erreger ganz besonders sensibel.

In der Fachzeitung Annals of internal medicine berichteten Hamburger Pathologen vergangene Woche über eine Autopsie von zwölf Covid-19-Verstorbenen. Tatsächlich fanden sie Virusspuren in Niere, Herz und Leber. Was ihnen aber vor allem ins Auge sprang, waren die massiven Blutgerinnsel in den Beinvenen. Die entdeckten sie bei mehr als der Hälfte der Patienten.

„Thromboseneigung sicherlich das auffälligste Problem“

Thrombosen und durch Blutgerinnsel verstopfte Gefäße seien zwar nicht ungewöhnlich bei schwerkranken Intensivpatienten, aber längst nicht so häufig und in vergleichbaren Dimensionen wie bei Covid-19-Fällen, sagt Paul Biever, der Covid-Koordinator der Intensivstationen der Uniklinik Freiburg.

Dass Gerinnsel regelmäßig die Blutfilter der künstlichen Lunge verstopfen, ist für ihn ebenfalls eine neue Erfahrung. Bei einem von drei schwerkranken Corona-Patienten lösen sich solche Thromben und werden in die Lunge ausgeschwemmt. Lungeninfarkt oder -embolie nennt sich die lebensgefährliche Komplikation, durch die manchmal ganze Abschnitte funktionsunfähig werden. Thromben wurden aber auch schon in den Nieren und in anderen Organen von Covid-19-Opfern entdeckt. Dort können sie ebenfalls die Blutzufuhr abschnüren und so zum Ersticken von Gewebe führen.

Sogar junge Patienten erleben Schlaganfälle

Gerinnsel finden sich manchmal sogar im Gehirn. So erklärt man sich inzwischen die ungewöhnliche Beobachtung, dass manche Corona-Infizierte im ungewöhnlich jungen Alter Schlaganfälle erleben.

Die Gründe, warum der Erreger im Blut so ein Chaos anrichtet, sind noch nicht geklärt. Möglicherweise ist auch dies eine Folge der Überreaktion der Abwehrzellen. Gerinnungs- und Immunsystem sind eng miteinander verzahnt. Im Rahmen einer Sepsis, wenn Erreger ins Blut vordringen, sind solche Koagulopathien, wie sie der Fachmann nennt, gerade bei bakteriellen Infektionen deshalb eine gefürchtete Komplikation. Bei SARS-CoV-2 kommt womöglich dazu, vermuten Experten, dass der Erreger durch eine Attacke auf die Gefäßwandzellen auch indirekt die Bildung von Thromben anstößt.

Thrombose-Medikamente könnten Überlebenschancen verdoppeln

Zwar mangelt es nicht an Medikamenten, die das Zusammenpappen der Blutplättchen hemmen können. Sie verdoppeln laut einer neuen Studie die Überlebenschancen von schwerkranken Infizierten. Sogar mit Lyse-Arzneimitteln unter anderem aus der Schlaganfalltherapie wird experimentiert, sie lösen bereits entstandene Gerinnsel wieder auf. Nur riskiert man mit all dem auch Nebenwirkungen wie Blutungen in Lunge oder Nervensystem und darf sie deshalb nur vorsichtig einsetzen. Die Thromboseneigung, sagt Francis, sei bei den Patienten – abgesehen von der Luftnot –- sicherlich das auffälligste Problem.

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Andere Organe bereiten den Medizinern weniger Schwierigkeiten. Durchfall – der Erreger wurde inzwischen auch in Darmzellen entdeckt – sei zwar bei Coronapatienten nicht selten, erzählt Dawid Staudacher, der zusammen mit Biever auf den Intensivstationen der Freiburger Klinik um das Leben der Kranken kämpft, aber das gelte für viele Intensivpatienten. „Das stellt uns vor keine große Herausforderung.“ Die Leber erledigt ebenfalls mehr oder weniger ungestört ihre Funktion. Für den Verdacht, dass die Viren direkt im Gehirn verheerend wirken, fanden sich ebenfalls bislang keine Belege.

Weitestgehend Entwarnung für das Herz

In Hinblick auf das Herz hat die Medizin nach dem ersten Schreck inzwischen weitestgehend Entwarnung gegeben. Manchmal müsse man zwar Medikamente geben, um den Blutdruck der Patienten zu stabilisieren, berichtet der Berliner Roland Francis, „aber wir sehen nicht, dass die Infektion sich negativ auf die Herzleistung auswirken würde.“ Auch Rhythmusstörungen haben die beiden Internisten Staudacher und Biever kaum beobachten können. Der hohe Troponinwert scheint also nicht zu bedeuten, dass das Virus im großen Umfang Herzmuskelzellen schädigt. Zudem ist der auch bei vielen anderen Erkrankungen zu sehen. „Wir lernen fast täglich etwas Neues über den Erreger“, sagen Paul Biever und Dawid Staudacher.