Keine Diagnose, aber ein IndizWas die Linien in der Handfläche zu bedeuten haben

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Eine gebeugte Hand, in der Falten zu erkennen sind

Linien in der Handfläche: Magnus Heier erklärt, was sie verraten – und was nicht.

Die Linien in der Handfläche als Indiz für Charakterzüge? Wissenschaftlich ist das Unsinn. Trotzdem ist eine genaue Betrachtung interessant.

Die Linien oder Furchen in der Handfläche sind keine Alterserscheinung, im Gegenteil: Schon Föten haben lange vor der Geburt diese Linien. Sie sind wie eine Art Fingerabdruck. Deren Analyse hat eine Jahrtausende alte Tradition und ist noch immer nicht völlig vergessen – soll doch etwa die Kopf-, die Lebens- oder auch die Herzlinie ein Indiz für bestimmte Charakterzüge sein. Oder etwas über die Zukunft des Menschen verraten. Oder gar über ein vergangenes Leben. Wissenschaftlich ist das Unsinn: Es gibt keinerlei Beweis oder auch nur Hinweis, dass diese Linien irgendetwas über den Menschen aussagen.

Magnus Heier

Magnus Heier

ist Autor und Neurologe und schreibt die wöchentliche Medizinkolumne „Aus der Praxis“. ...

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Mit einer Ausnahme: der Vier-Finger-Furche. Aber die ist selten. Haben Sie eine? Schauen Sie auf ihre Handinnenflächen, die „Handteller“. Beugen Sie die Hand so, dass deren Falten sichtbarer werden. Nun werden Sie mit großer Wahrscheinlichkeit zwei „Hauptfalten“ sehen – eine von innen, eine von außen, die sich in der Mitte der Handfläche aber nicht treffen. Vielleicht führt eine dünne Linie sie zusammen, aber die Hauptlinien führen auseinander. Meist.

Keine Diagnose, maximal ein Indiz

Bei mir ist das anders: Die Falte geht durch, zumindest in der linken Hand. Eine Zufallsentdeckung im Medizinstudium, vorher war es mir nicht aufgefallen. Wenn ich die vier Finger links maximal beuge, bedecken die Fingerspitzen genau diese Falte. Was heute neutral „Vier-Finger-Furche“ heißt, nannte man früher auch Affenfurche. Weil viele Tiere mit Greifhänden, vor allem eben auch Affen, an beiden Händen genau diese durchgehende Linie haben.

Aber nicht der Mensch – oder eben nur in Ausnahmefällen. Etwa bei Personen mit einer Trisomie, einer Verdreifachung eines Chromosoms, das normalerweise zweimal vorkommt. Vor allem beim Down-Syndrom, der Trisomie 21 (das 21. Chromosom liegt dreimal vor, in jeder Körperzelle). Bei dieser oder anderen, selteneren Trisomien haben die Betroffenen meist die genannte durchgezogene Handlinie – an einer oder an beiden Händen. Sie kann also ein Hinweis auf verschiedene Genveränderungen sein. Reicht aber als Diagnose ausdrücklich nicht aus, maximal als ein Indiz!

Vier-Finger-Furche in der Regel kein Hinweis auf irgendetwas

Aber: Meist ist sie überhaupt kein Hinweis auf irgendetwas. Sie tritt nämlich auch bei Menschen ohne jede genetische oder sonstige Veränderung auf. Meist bei Jungen, seltener bei Mädchen. In beiden Gruppen selten. Ich hatte schon im Studium gelernt, dass etwa vier Prozent aller Menschen diese Furche haben – es kursieren aber auch andere Zahlen. In fast allen Fällen hat die durchgezogene Furche also keinerlei Krankheitswert. Das weiß aber nicht jeder, noch nicht einmal jeder Arzt. Ein empörter Vater hat mir erzählt, dass der Gynäkologe bei der Geburt seines Sohnes plötzlich vom Down-Syndrom sprach. Weil dieser eine Vier-Finger-Furche hatte. Das war korrekt beobachtet, aber falsch interpretiert.

Meine persönliche Vier-Finger-Furche ist einfach eine bedeutungslose Kuriosität. Ein wunderbarer Start für jeden Small-Talk. Eine ungewöhnliche Variante. Kein Hinweis auf irgendetwas, aber eine beneidenswerte Seltenheit.