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Interview zum WeltkrebstagDen Krebs wegtrainieren – mit Motivation und Muskelkraft

Lesezeit 8 Minuten
ILLUSTRATION - Zum Themendienst-Bericht vom 10. Januar 2023: So sollte es laufen: Wer das erste Mal im Fitnessstudio ist, bekommt eine Einweisung von einem Trainer oder einer Trainerin.

Regelmäßige Bewegung und Sport senkt auch das Krebsrisiko.

Bewegung spielt bei der Vorbeugung und Behandlung eine große Rolle. Zwei Kölner Wissenschaftler haben den Zusammenhang erforscht. Ein Gespräch über die neuesten Erkenntnisse.

Wer Sport macht, hat gute Chancen, dem Krebs zu entgehen. Prof. Dr. Freerk Baumann und Dr. Thomas Elter leiten die AG Onkologische Bewegungsmedizin in Köln. Johannes Spätling sprach mit ihnen über die Wirkung von Bewegung bei Krebserkrankungen.

Warum ist Sport als Vorbeugung gegen Krebserkrankungen so wichtig?

Prof. Baumann: Bei regelmäßiger Bewegung und Sport lässt sich das Risiko der Entstehung von insgesamt sieben Krebserkrankungen entscheidend verringern: Brustkrebs, Dickdarmkrebs, Blasenkarzinome, Nierenkarzinome, Speiseröhrenkrebs, Magenkarzinome, Endometriome sowie Gebärmutterschleimhautkrebs. Das ist eine ganze Menge. Bereits im Kindesalter kann mit Sport- und Fitnessprogrammen dem Krebs vorgebeugt werden. Aber auch im hohen Alter ist noch nichts verloren. Je früher man vorbeugt, desto besser.

Prof. Dr. Freerk Baumann

Prof. Dr. Freerk Baumann

Kann also jede Art von Krebs einfach bekämpft werden, und ist Vorbeugung so einfach?

Dr. Elter: Es gibt nicht nur den einen Tumor, sondern Krebs ist eine sehr vielfältige Erkrankung

Manche Krebserkrankung entsteht durch Gendefekte - da hat der Sport weniger Einfluss drauf. Bei einem Großteil der Tumoren spielen jedoch chronische Entzündungen eine wichtige Rolle. Chronische entzündliche Prozesse führen dazu, dass die genetischen Reparaturmechanismen zunehmend ausgeknockt werden. Hier kommt der Sport ins Spiel, da er chronischen Entzündung entgegenwirkt. Darmkrebs beispielsweise kann durch chronische Entzündungen der Darmschleimhaut entstehen – wer zu viel Ungesundes isst, setzt sich diesem Risiko aus, wer Sport treibt, wirkt dem entgegen.

Wie genau kann man sich den positiven Effekt von Sport vorstellen?

Dr. Elter: Der Sport trägt dazu bei, die Zellalterung zu verlangsamen und unsere körpereigene genetische Tumorkontrolle aktiv zu halten. Durch Sport bleibt zum Beispiel die Muskulatur besser erhalten, deren Botenstoffe einen günstigen Einfluss auf den restlichen Körper haben.

Thomas Elter

Thomas Elter

Unser Immunsystem beschützt uns bis zum Alter von etwa 40 Jahren recht verlässlich vor Tumorerkrankung. Mit dem Alter wird dieser Schutz zunehmend schlechter und das Immunsystem erkennt mögliche Tumorzellen weniger gut – die Immunkontrolle, sozusagen die Polizisten des Körpers, nimmt also ab. Hier hilft der Sport umso mehr und kann die Immunfunktion eines zuvor untrainierten70-Jährigen sogar wieder- auf das Niveau eines 40-Jährigen bringen, die Immunpolizei des Körpers ist dann wieder einsatzbereit.

Können wir diese Immunpolizei gezielt einsetzen?

Prof. Baumann: Im Grunde haben wir tagtäglich Einfluss auf unsere immunologischen Reaktionen. Daher prüft das Centrum für Integrierte Onkologie Uniklinik Köln (CIO) die Effekte verschiedener Intensitäten auf unser Immunsystem. Ein Netz aus regelmäßiger körperlicher Aktivität sorgt für besseren Schutz gegen verschiedene Krebstypen – je enger, desto mehr Abwehrmöglichkeiten gibt es. Und beim Sport entsteht u.a. antioxidative Kapazität (Radikalenfänger) – so können wir Blocker gegen Freie Radikale entwickeln.

Wie genau könnte dieses Netz aussehen?

Prof. Baumann: Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt 3-5 Bewegungseinheiten in der Woche, daran halten sich allerdings gerade einmal 20 Prozent der Menschen in Deutschland. Nach unseren Erkenntnissen sollte man auf ca. 150 Minuten etwas anstrengende körperliche Aktivität pro Woche kommen, bei mindestens zwei bis drei Einheiten. Man kann die Aktivität aber auch weiter aufteilen, und bei kürzerer Dauer fünfmal oder täglich in der Woche Sport treiben. Das Wochenprogramm sollte mindestens zwei Ausdauereinheiten, zum Beispiel pro Trainingseinheit 50 Minuten joggen oder bei untrainierten Menschen mindestens zweimal 25 Minuten zügiges Spazierengehen bei 5 minütiger Pause. Dazu sollte mindestens eine Krafttrainingseinheit kommen, die den Körper intensiv beansprucht. Allgemein formuliert sollte man pro Tag mindestens 7000 Schritte gelaufen sein und – als klassische Empfehlung – möglichst oft die Treppe nehmen. Auch jeder kurze Transportweg muss zu Fuß gegangen werden.

Warum ist das Krafttraining so entscheidend?

Prof. Baumann: Muskeln sind praktisch Immunfabriken. Durch intensivere Krafttrainingsintervention erhalten wir einen höheren präventiven Effekt. Es muss aber wirklich anstrengend sein und die vielen großen Muskeln des Körpers müssen beansprucht werden. Wir generieren so einen gewünschten Stress, sodass sich das Immunsystem täglich anpasst. Eine Stunde pro Woche sollte es mindestens sein, eher noch mehr. Auch bei bereits aufgetretenen onkologischen Erkrankungen zeigten in einer Studie diejenigen Krebspatienten, die mindestens einmal pro Woche trainiert hatten, ein deutlich reduziertes Risiko für das Wiederauftreten der Erkrankung oder zur Sterblichkeit.

Der Sport hat also eine steuernde Funktion? Und wie sieht es mit den Körperfetten aus – sind diese die Hauptverantwortlichen für manche Erkrankung?

Prof. Elter: Sport & Aktivität unterstützt natürlich in der Vorbeugung einer Krebserkrankung und auch vieler anderer Erkrankungen, alleine schon durch den positiven Einfluss auf das Körpergewicht. Hierzu möchte ich noch ergänzen, dass auch die Körperfettverteilung relevant ist. Ausladende Hüften zum Beispiel sind unkritisch, aber das innere Fett, also die typische Wampe, führt zur chronischen Entzündung im Körper und dann im Verlauf sehr häufig zur Entwicklung von Diabetes. Fettleibigkeit in Kombination mit Diabetes, hohem Blutdruck und Nikotinabusus führt dann in der Regel zu einer deutlich verkürzten Lebenserwartung. Es geht aber nicht nur um die Lebensjahre an sich, sondern auch um die Qualität unseres Lebens.

Hilft der Sport auch dann noch, wenn der Krebs stark vorangeschritten ist?

Prof. Elter: Natürlich! Die gemeinsame Forschung mit Prof. Baumann begann in meiner Zeit als Arzt auf einer Leukämiestation. Eine Leukämietherapie dauert oft sehr lange und viele Patientinnen und Patienten verbringen ihre Zeit im ersten Jahr nach Diagnose fast durchgehend auf der Station. Junge Leute werden aus dem Leben herausgerissen und liegen dann fremdbestimmt in einem Doppelzimmer auf der Leukämiestation. Damals hörten sie immer wieder: Bloß keinen Sport machen, das ist zu gefährlich! Durch die starke Therapie und das Bewegungsverbot verließen nach Therapieende viele die Station so dünn wie Skelette und konnten erst in der Reha sehr langsam wieder fitter werden. Wir konnten mit unserer Arbeit zeigen, dass Aktivität diesen Patienten keinesfalls schadet. – Im Gegenteil: Die fitteren Patienten vertrugen die Therapien besser, zeigten weniger Nebenwirkungen und konnten sich viel schneller wieder von der Therapie erholen. Die Reha wurde durch unser Training sozusagen direkt in die Therapie inkludiert

2010 gründeten wir dann unsere Arbeitsgruppe „onkologische Bewegungsmedizin“ als Gemeinschaftsprojekt mit der Sporthochschule in Köln und eröffneten unser erstes Trainingszentrum in der Frauenklinik. Der Erfolg und Zuspruch waren phänomenal: Sport motiviert und unterstützt die Menschen während der Tumortherapie, sie bleiben körperlich fit und psychisch stabilisiert.

Ist das in schlimmen Erkrankungsfällen auch wirklich noch eine gute Nachricht – oder nur ein Hoffnungsschimmer?

Prof. Baumann: Tatsächlich eine gute Nachricht – selbst wenn wir spät oder krebserkrankt mit Bewegung und Sport, anfangen ist es nicht zu spät. Es gibt wahrscheinlich eine Reduktion des Sterberisikos. Man sollte nach der Diagnose zeitnah mit regelmäßiger körperlicher Aktivität beginnen. Man kann durch eine Bewegungstherapie noch viel mehr bewirken: Wir können gezielt medizinische Nebenwirkungen reduzieren und wir haben dazu eine zum Teil hohe Evidenz. Jedoch braucht es für jeden Patienten eine individuelle Bewegungstherapie, bestimmte Regenerationszeiten, die Alltagsaktivitäten müssen genau personalisiert werden.

Welche Hoffnungszeichen gehen insgesamt aus den neuesten Forschungserkenntnissen hervor?

Prof. Baumann: Durch einen gesunden Lebensstil können wir 40 Prozent aller Neuerkrankungen im Bereich Krebs vermeiden. Dazu gehört die richtige Ernährung, Schutz vor Sonneneinstrahlung[K-H1] , das Vermeiden von Giften wie Alkohol und Zigaretten sowie als wichtiger Faktor die Bewegung. Umgekehrt ist zu 6 Prozent der Bewegungsmangel die Ursache für neue Krebserkrankungen. Es gibt übrigens in diesem Zusammenhang keine falsche Sportart – alle sind sinnvoll.

Prof. Elter: Das beste Beispiel sind Erkenntnisse aus der Darmkrebs-Forschung: Durch Sport sinkt das Risiko, dass der Tumor nach der Entfernung durch eine Operation wieder ausbricht, um 25 bis 40 Prozent. Zum Vergleich: eine Chemotherapie senkt das Risiko nur um ca. 10%. Sport ist an dieser Stelle aber kein Ersatz der Chemotherapie, sondern die perfekte Ergänzung! Sport und Bewegung machen nicht nur gesünder, sondern auch lebensfroher und optimistischer sowie psychisch stabiler. Wir glauben beim Sport wieder an uns und blicken nach vorn. Unser Körper bedankt sich mit besserer Abwehr, besser vorbereiteten Körperzellen und der Mobilisierung unserer Immunpolizei.


Sport als Krebsvorsorge – aber wo und zu welchem Preis?

Noch bei weitem nicht alle Krankenkassen sind bereit, Sportangebote für Krebspatienten zu übernehmen. Privatpatienten können problemlos die präventiven Bewegungsangebote bei ihrer Krankenkasse abrechnen. Und auch die Beihilfe übernimmt die Kosten für die sportliche Art der Krebsvorsorge.

Die schlechte Nachricht: „Die spezielle Bewegungstherapie für Krebspatienten wird von den öffentlichen Kassen nicht übernommen, sondern nur allgemeine Bewegungstherapie. Aber das ist für uns weder wirksam noch sicher“, sagt Prof. Baumann. „Gerade onkologische Patienten brauchen geschulte Fachkräfte, die jedoch in Deutschland fehlen. Unsere Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie (OTT) im CIO Köln wird zunehmend von den Krankenkassen bezahlt. Von der Regelversorgung sind wir jedoch noch weit entfernt.“

Das Einzige, was von den Krankenkassen als spezielle Bewegungsintervention übernommen werde, sei der Reha-Sport und die dazugehörigen Krebssportgruppen. „Das ist aber keine Bewegungstherapie, sondern lediglich Nachsorge“, betont Baumann. Das individuell angeleitete Training, um an bestimmten Nebenwirkungen zu arbeiten, werde nur in IV-Verträgen der Integrierten Versorgung bezahlt. „Wir sind sozusagen noch im experimentellen Status und hoffen, dass die öffentlichen Kassen bald reagieren.“ Einige zeigten bereits großes Interesse.

Infos zur Sport- und Krebstherapeutensuche.