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Influenza-VirenGrippe-Ansteckung ist zu vermeiden

Lesezeit 7 Minuten

Die Grippewelle ist 2013 besonders heftig (Symbolbild)

Herr Tabori, viele Menschen sind im Moment erkältet oder haben eine Grippe - was hat die Kälte damit zu tun?

Kälte ist nie die Ursache einer Infektion. Aber bei niedrigen Temperaturen konzentriert der Körper das Blut im Zentrum, um möglichst wenig Wärme zu verlieren. Die Durchblutung, zum Beispiel der Hände, Füße, aber auch der Nasenschleimhaut wird gedrosselt - und weniger Blut bedeutet auch, dass zum Beispiel weniger Abwehrzellen und Antikörper zur Verfügung stehen. Eindringende Keime haben deshalb größere Chancen, sich festzusetzen und zu vermehren. Hinzu kommt noch, dass die Luft im Winter trockener ist - kalte Luft kann weniger Feuchtigkeit aufnehmen. Wird sie in Räumen mit der Heizung aufgewärmt, trocknet sie die Nasenschleimhaut noch weiter aus. Dadurch wird die noch anfälliger für Infekte.

Haben kalte Temperaturen auch einen Einfluss auf die Erreger?

Keime bleiben in der Kälte länger aktiv. Influenza-Viren, die Erreger der echten Grippe, sind bei warmen Temperaturen nur wenige Stunden infektiös - dagegen sind sie bei null Grad über Tage und bei unter null Grad sogar Wochen oder Monate ansteckend.

Unser eigenes Verhalten hat also gar keinen Einfluss?

Doch: Im Winter sind wir weniger draußen, wir lüften weniger. Mehr Menschen in geschlossenen Räumen bedeutet: eine höhere Konzentration von infizierten Menschen auf engem Raum. Und je mehr Menschen infiziert sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich ansteckt.

Wie steckt man sich an?

Stellen Sie sich eine volle Straßenbahn vor - viele Menschen husten und niesen. Es gibt erstens die Möglichkeit, dass Tröpfchen, die dadurch in die Luft geschleudert werden, auf den Schleimhäuten anderer Menschen landen. Diese Tröpfchen können eineinhalb bis höchstens zwei Meter weit fliegen. Doch das ist die Ausnahme. Ich schätze mal, dass neun von zehn Infektionen über die Hände weitergereicht werden. Im Beispiel mit der Straßenbahn: Die Infizierten husten oder niesen sich in die Hand, fassen einen Griff an, an dem sich kurz darauf der nächste Fahrgast festhält. Der fährt sich mit den Fingern an die Lippen, Augen oder die Nase - und schon kann er sich angesteckt haben.

Das heißt, der wichtigste Infektionsschutz ist die Handhygiene?

Absolut - unsere Finger sind die zehn besten Gründe für konsequente Handhygiene. Wenn Sie etwa nach der Straßenbahnfahrt nach Hause kommen, sollten Sie sich als erstes die Hände waschen. Wenn Sie erst das Brot auspacken, das Sie gekauft haben, bringen Sie die Keime natürlich auch darauf. Immer, wenn man etwas angefasst hat, was infektiös sein könnte, sollte man sich die Hände waschen. Wenn man mit Leuten zu tun hat, die eine Erkältung haben, sollte man Abstand halten und nach dem Kontakt die Hände waschen.

Der US-Mikrobiologe Charles Gerba rät in seinem Buch "The Germ Freaks Guide to outwitting Colds and Flu" ("Handbuch des Bakterien-Begeisterten zur Überlistung von Erkältung und Grippe")Türgriffe und Wasserhähne nur mit einem Papiertuch oder dem Jackenärmel anzufassen. Ist das ein plausibler Ratschlag?

Es ist leicht nachvollziehbar, dass diese Maßnahmen etwas bringen können. Ich ziehe es auch vor, die Tür einer öffentlichen Toilette mit der Schulter aufzudrücken, die Klinke mit einem Papier in der Hand anzufassen oder sie mit dem Ellbogen zu öffnen. Man sollte nur nicht anfangen zwanghaft zu werden.

Man wird schon ein bisschen seltsam angeschaut, wenn man so durchs Leben geht...

Die Leute können gerne komisch gucken - so lange das, was man tut, um eine Infektion zu vermeiden, vernünftig ist. Keime am Ellbogen sind viel ungefährlicher als an den Händen - wir berühren mit der Armbeuge selten das Gesicht und wir essen auch nicht mit ihr. Es ist also sehr vernünftig, den Ellbogen zum Öffnen von Türklinken im öffentlichen Raum zu benutzen. Man sollte es aber nicht so weit treiben, dass man sich nicht mehr mit Freude durch die Welt bewegt, weil man ständig Angst vor Keimen hat.

Welche Ängste sind übertrieben?

Viele Leute fürchten sich davor, sich auf eine Klobrille zu setzen. Das ist im Gegensatz zum Händewaschen nach dem Toilettengang völlig unbedeutend. Untersuchungen haben gezeigt, dass nicht extrem viele Keime auf Klobrillen zu finden sind. Aber selbst, wenn man eine kontaminierte erwischt hätte: Man hat nur mit den Oberschenkeln Kontakt - und die berühren normalerweise nicht unsere Nahrung oder die Schleimhäuten des Mund-Nasen-Rachen-Raumes. Natürlich, wenn man etwas nicht anfassen muss im öffentlichen Raum, sollte man es bleiben lassen. Auf der Rolltreppe muss man sich nicht am Handlauf festhalten, wenn man gut zu Fuß ist. Aber sich in der Straßenbahn oder im Bus nicht festzuhalten, um dann hinzuknallen und sich dabei eine Beule zu holen oder eine Platzwunde - da weiß ich nicht, ob das wirklich vernünftig ist. Es hilft, wenn man einigermaßen darüber Bescheid weiß wie ein Infektionskeim an seine Zielzelle kommt. Das sind die Schleimhäute in Mund, Nase und den Atemwegen, sowohl bei Erkältungs- als auch bei Durchfallerregern.

Raten Sie, während einer Erkältung auf Küsse zu verzichten?

Wenn der Partner eine Atemwegsinfektion hat, muss man sich dessen bewusst sein, dass mit einem Kuss Viren und Bakterien übertragen werden.

Hilft es die Luft anzuhalten, wenn jemand niest, um sich vor einer Tröpfcheninfektion zu schützen?

Die Tröpfchen sind so groß, dass sie eine Flugbahn beschreiben - sie sind ja sogar für das menschliche Auge sichtbar, wenn jemand niest. Man atmet sie gewöhnlich nicht ein, sondern sie treffen auf unsere Schleimhäute oder auf eine Fläche, die wir anschließend berühren. Den Mund kann man noch fest verschließen, aber die Nase kann man nicht aktiv verschließen.

Da hilft nur, sich auf den Boden zu werfen oder sich abzuwenden?

Sich abzuwenden ist nicht schlecht, wenn jemand einem aufs Hinterhaupt niest, ist die Gefahr geringer, ganz klar physikalisch nachvollziehbar. Auf den Boden werfen halte ich allerdings für übertrieben: Da hat man dann auch noch die Keime vom Fußboden an den Händen. Außerdem könnte dieses Verhalten als sozial auffällig interpretiert werden. . .

Ist es am Ende schädlich fürs Immunsystem, wenn man jeder Infektion aus dem Weg geht?

Die Gefahr besteht nicht. Selbst bei der besten Hygiene werden Sie es nicht schaffen, Keime völlig aus Ihrem Leben zu verbannen. Ihr Immunsystem hat also in jedem Fall genug zu tun.

Sie meinen, man bekommt kleine Mengen Bakterien und Viren sowieso immer ab und das reicht, um sich dagegen zu immunisieren?

Genau. Nur in der Erziehung kann das ein Problem sein: Wenn man Kinder zu stark abschirmt, mit ständigem Desinfizieren und übertriebener Sauberkeit etwa, kann ihr unfertiges Immunsystem nicht richtig geschult werden. Man geht davon aus, dass dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass diese Kinder später Allergien und Asthma entwickeln.

Wie sollte man sich verhalten, wenn man selbst erkältet ist oder eine Grippe hat?

Dann kann man am meisten bewirken. Zum einen, indem man in ein Papiertaschentuch niest - und das nach Gebrauch sofort wegwirft. Mit den Papiertaschentüchern, die man Tage und Wochen in der Hosentasche mitschleppt, bis nur noch ein großes Loch, weiß umrahmt, übrig ist, schmiert man sich ja permanent irgendwelche Keime an Hände, Gesicht und Nase.

Was aber, wenn man kein Taschentuch zur Hand hat und niesen muss?

Nicht in die Hand niesen! Wenn man kein Taschentuch hat, dann in die Ellenbeuge. Man braucht sich das nur auszumalen. Jemand niest sich in die Hand und zwei Minuten später reicht er sie jemandem zur Begrüßung - eine hochkonzentrierte Dosis an Keimen, das ist quasi ein biologischer Anschlag. Ganz wichtig auch: Wenn man krank ist, nicht den Held der Arbeit spielen.

Was meinen Sie damit?

Den Kollegen, der mit einer Erkältung zur Arbeit fährt, damit jeder sieht, dass er eine rote Nase hat - und der so die Infektionserreger unterwegs und an seinem Arbeitsplatz verteilt. Wenn man einen grippalen Infekt hat: zu Hause bleiben, am Arbeitsplatz anrufen, sich auf jeden Fall erstmal auszukurieren, um bitte schön nicht andere Menschen anzustecken. Wir alle würden eine Menge Infektionen vermeiden, wenn diejenigen, die Keime ausscheiden, diesbezüglich etwas mehr Verantwortung zeigen würden und zu hause blieben. Und man tut auch etwas für die Gemeinschaft, wenn man sich im Herbst gegen Grippe impfen lässt. Jeder, der sich selbst schützt, trägt dazu bei, dass der Erreger sich nicht weiter verbreiten kann, so dass auch die Ungeimpften dadurch geschützt sind.