Herzstillstand, KreislaufkollapsWie gefährlich ist Marathon laufen wirklich?
Köln – Die Bilder sind eindrücklich und kommen fast bei jedem Marathon überall auf der Welt vor: Läufer, die sich mit letzter Kraft – so scheint es – über die Ziellinie schleppen und dann zusammenbrechen. Zugegeben: Nach Spaß an der Bewegung sieht das nicht aus. Der Laie fragt sich folgerichtig: Kann das noch gesund sein? Und jeder Nicht-Läufer fühlt sich bestätigt: Jawohl, Sport ist Mord… oder?
Auch ich werde regelmäßig mit diesen Vorurteilen konfrontiert. In unserer Redaktion bin ich ein Exot: Ich laufe regelmäßig. Sieben oder acht Marathons habe ich in den letzten Jahren erfolgreich beendet. Ich bin nicht schnell, aber ich komme an. Und ich bin überzeugt, dass die regelmäßige Bewegung mir gut tut.
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Ob Marathonlaufen gefährlich ist, lässt sich nicht pauschal sondern am ehesten individuell beantworten, erklärt mir Prof. Hans-Georg Predel, Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln. Er ist Lauf-Experte und erklärt: Es kommt auf viele andere Faktoren an. Neben dem allgemeinen Gesundheits- und Trainingszustand sind beispielsweise die Intensität, mit der der Marathon gelaufen wird, oder die Flüssigkeits- und Energiezufuhr von Bedeutung. Aber auch das Wetter am Wettkampftag spielt eine Rolle.
Zusammen gehen wir die einzelnen Körperregionen, die beim Marathon und in der Vorbereitung beansprucht und trainiert werden, durch.
Lesen Sie auf den folgenden zwei Seiten, wie sich ein Lauf über 42 Kilometer auf den Körper auswirkt.
Gelenke, Muskeln und Kreislauf
Die Gelenke
„Wer viel läuft, hat Kniebeschwerden“ so heißt es doch immer. Doch ich habe bisher keine Probleme damit. Klar, wenn die Trainingsintensität gesteigert wird, merke ich das auch in den Knien. Aber schon bei der nächsten Einheit wird es besser, Sehnen und Gelenke scheinen sich an die Belastung zu gewöhnen. Prof. Predel wirft allerdings ein: „Sehnen, Bänder und Gelenke werden in der Regel durch den Marathon und lange Laufzeiten beansprucht, was häufig zu chronischen Beschwerden führt. Besonders deutlich wird das bei Menschen, die im Alter mit hohen Übergewicht laufen. Natürlich können auch akute Verletzungen auftreten. Aber diese sind im Vergleich zu den chronischen Folgen eher selten.“
Die Muskeln
Jeder Marathonläufer kennt kleine Zerrungen oder Krämpfe in den Muskeln. Das ist unangenehm, aber kein Grund zur Panik. „Akute muskuläre Probleme im Sinne von Verhärtungen und Krämpfen sind ein Problem, aber kein gravierendes.“ Sein Tipp lautet: Wer einen Muskelkrampf während des Laufes hat, der sollte zunächst anhalten, den betroffenen Muskel vorsichtig dehnen und anschließend versuchen, langsam weiterzugehen. Außerdem wichtig: Flüssigkeit und vor allem Magnesium. Das wirke zwar nicht direkt, im Idealfall nehme man das prophylaktisch vor einem Lauf ein, damit es dann wirke.
Der Kreislauf
Wie man die Belastung kreislauftechnisch wegsteckt, kommt immer auf die Tagesform, das Wetter und auch auf die Intensität an. Idealerweise kennt ein geübter Läufer seinen Körper und merkt, wann es zu viel ist. Erfahrene Sportler essen und trinken während eines Laufes. Denn sie wissen: Man muss dem Körper Energie zuführen, wenn man Leistung von ihm erwartet. „Viele Neulinge unterschätzen den energetischen Aufwand, den ein Marathonlauf nach sich zieht. Um Energie für den Lauf, der drei, vier Stunden dauert, muss der Körper Zucker, Kohlenhydrate und Fette verbrennen. Zuckervorräte sind sehr schnell verbraucht und müssen während des Laufes adäquat aufgefüllt werden“, weiß der Sportmediziner. Ist das nicht der Fall, führt es zu massiver Unterzuckerung, der Körper streikt.
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Zurück zu den Läufern, die mit letzter Kraft ins Ziel robben. Ein Grund dafür: Sie haben nicht richtig trainiert. Denn, so Predel: „Ein Trainingseffekt der langen Läufe ist, dass der Körper lernt, zur Energiegewinnung auf Fette zurückzugreifen. Denn Fette haben wir fast unbegrenzt – auch wenn wir sehr schlank sind – zumindest für einen Marathon zur Verfügung.“
Auch der Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt spielt eine wichtige Rolle. „Sehr viele Unfälle, die wir in den letzten Jahren gesehen haben, waren das Ergebnis zu hoher Flüssigkeitsverluste – aber auch falscher Flüssigkeitszufuhr.“ In der Regel sind bei Laufveranstaltungen alle sieben Kilometer Versorgungsstände mit Wasser, später auch Cola oder spezielle Sportlerdrinks, aufgebaut. Das Angebot sollte man immer wahrnehmen, auch wenn man noch keinen Durst verspürt. Denn wenn man während eines Laufes Durst verspürt, ist es meist schon zu spät: wir sind bereits weniger leistungsfähig.
Herz, Füße und Gehirn
Das Herz
Ich habe mal einen Kardiologen sagen hören, er könne am Herz eines Menschen sehen, wie oft dieser in seinem Leben bereits einen Marathon gelaufen sei. So vernarbt sei das Gewebe. Wow, dachte ich mir. Ich war bis dahin überzeugt, dass ich gerade mein Herz beim Laufen trainiere, es wächst doch schließlich mit dem Training und sorgt für eine verbesserte Durchblutung meines Körpers. Prof. Predel erklärt mir, was der Kardiologe vermutlich sagen wollte: „Menschen in jüngerem Alter entwickeln bei entsprechendem Training ein sogenanntes 'Sportherz'. In höherem Alter – so ab 45 oder 50 Jahren – die intensiv Ausdauersport betrieben, können sich Umbauprozesse am Herzen entwickeln. Das führt dazu, dass der Herzmuskel nicht mehr ganz so elastisch ist und sogar Herzrhythmusstörungen entwickeln kann.“ In der Regel sei das Marathonlaufen aber kein Problem für unser Herz, jedoch sollte man regelmäßig beim Arzt für einen routinemäßigen Check-Up vorstellig werden. Besonders vor einem Groß-Projekt wie einem Marathon.
Und die Läufer, die jedes Jahr bei Marathonveranstaltungen durch einen plötzlichen Kreislaufstillstand ums Leben kommen? „Der plötzliche Herzstillstand ist sehr selten, aber es passiert“, sagt Prof. Predel. Er erklärt mir: Bei vielen tausend Marathonveranstaltungen gehen jährlich Millionen Teilnehmer an den Start. Dass bei dieser hohen Anzahl ein medizinischer Notfall wie ein plötzlicher Herzstillstand vorkomme, sei statistisch gesehen, normal. Selbst wenn diese Millionen Teilnehmer nur herumstünden, würde es passieren. „Wenn so etwas bei einem Marathon passiert, dann wird das natürlich direkt mit der Laufveranstaltung in Bezug gesetzt.
Die Füße
Blaue Fußnägel, Hornhaut und Blasen: Auch wenn Läuferfüße niemals schön sind, so können sie doch gesund sein. Wer auf gutes Schuhwerk achtet, die Schuhe möglichst oft wechselt und seine Füße regelmäßig pflegt, der steckt auch einen Marathon und eine dazugehörige Vorbereitung locker weg. Wunden verheilen, Medaillen sind für immer. Zumindest so lange man sie nicht verlegt oder sie beim Umzug verloren gehen.
Das Gehirn
Körperliche Aktivität tut unserem Gehirn immer gut. Besonders unsere Psyche, aber auch unsere Kognition wird geschult und trainiert. Training an der frischen Luft erholt unseren Geist, für mich sind die Laufeinheiten in der Natur wie ein Mini-Urlaub vom Alltag, Stress und dem Job. Zu intensive Belastungen während eines Laufes jedoch können unsere Koordination und unsere Wahrnehmung akut beeinträchtigen. „Hocherschöpfende und andauernde Belastungen können zu einer sogenannten Erschöpfungsdepression führen, die allerdings voll reversibel ist“, so Prof. Predel. Das heißt, man bleibt danach nicht dauer-depressiv, es kann aber vorübergehend zu Stimmungstiefs kommen. Das komme aber eher selten vor.
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Viel wichtiger sind aber die positiven Effekte auf das Hirn. Viele Läufer kennen dieses Glücksgefühl, das sich während eines Laufs einstellen kann – ein sogenanntes „Runners High“. Man hat das Gefühl zu schweben und ewig weiterlaufen zu können. Grund dafür ist ein Schutzmechanismus des Körpers: Er produziert Endorphine. Voraus geht eine besondere Belastung, eine Schmerzgrenze, über die man hinausläuft. Der Körper reagiert und bildet Endorphine, die wiederum wie ein Rausch wirken.
Wer den Marathon genießen kann, lebt gesund
Wie lautet also das Fazit des Sportmediziners Predel? „Es überwiegen eindeutig die Vorteile des Marathonlaufens.“ Vor allem, wenn das Ziel des Marathons Menschen dazu bewege, regelmäßig zu trainieren. Wenn Menschen lernen, auf ihren Körper zu hören, ist das eine gute Sache.“ Das gelte auch für Amateur-Läufer, die ihren Körper nur submaximal belasten sollten. Submaximal bedeutet hier, dass der Läufer nicht ganz bis zur körperlichen Belastungsgrenze anstrengt. Wer sich im Training richtig vorbereitet und eine ärztliche Voruntersuchung macht, ist für eine Belastung wie einen Marathon gut gewappnet, so sein Fazit. Falscher Ehrgeiz ist jedoch fehl am Platz: „So lange man den Marathon genießen kann, so lange ist der Marathon auch gesund.
Ich habe mir in diesem Herbst unter anderem den Köln-Marathon als Trainingsziel gesetzt. Und ich werde mir Prof. Predels Tipps zu Herzen nehmen und die 42 Kilometer gemütlich herunter zuckeln. Auch Prof. Predel ist begeistert: „Der Köln-Marathon ist doch viel zu schön, als dass man ihn in möglichst kurzer Zeit bewältigt.“