Streit über den PflanzendrinkWie gesund ist Hafermilch im Vergleich zu Kuhmilch?
Was hat Oralsex mit Hafermilch zu tun? Eigentlich nichts, gleichzeitig aber eine Menge. „Eines der großen Rätsel unserer Zeit ist, dass es Menschen gibt, die Oralsex ekelhaft finden, aber völlig ungerührt so etwas Widerliches wie Hafermilch schlucken können“, echauffierte sich jüngst ein Autor der Tageszeitung „Die Welt“. Und damit nicht genug: „Falls es überhaupt Hafermilch ist und nicht verdünnter Tapetenkleister mit Kreidepulver – das könnte man diesen Leuten vermutlich auch andrehen, ohne dass sie den Unterschied bemerken würden.“ Eine feuilletonistische Hass-Tirade auf einen Getreidedrink – und seine Konsumenten gleich mit – zieht die Frage nach sich, warum eine einfache Milchalternative solche Emotionen wecken kann.
Zumal sich der Haferdrink mittlerweile längst als die Kuhmilchalternative etablieren konnte, auf die sich die meisten einigen können – ob Veganer oder nicht. Dafür sprechen die Verkaufszahlen: Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft steigt die Nachfrage von Milchersatzprodukten rasant. Hafermilch macht dabei mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes aus. Ob aus Klimaschutzgründen, wegen einer Laktoseunverträglichkeit oder für mehr Tierwohl: Für die Verbraucher und Verbraucherinnen gibt es offenbar viele gute Gründe, den Haferdrink der Kuhmilch vorzuziehen.
Streitthema Hafermilch: Was ist dran?
Je beliebter der Pflanzendrink allerdings wird, desto mehr Mythen und Abwehr scheint er auch zu provozieren. Erst im Sommer sorgte die Aussage der Biochemikerin Jessie Inchauspé gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), dass Hafermilch nicht gut für den Körper sei, für Aufsehen. Inchauspé warnte, dass die Milchalternative bei vielen Menschen zu einem starken Blutzuckeranstieg führe, anders als bei anderen Varianten auf Basis von Soja oder Mandeln. Das liege daran, dass Haferflocken an sich bereits viel Glukose enthalten. Bei so viel Aufregung ist ein nüchterner Blick auf die Fakten angebracht. Wie steht es also wirklich um die Hafermilch? Ein Überblick.
Ist Hafermilch gesund?
Zunächst gelte ganz grundlegend, dass Hafer ein wertvolles Grundprodukt sei, erklärt Astrid Donalies von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). „Es sollte im Rahmen einer vollwertigen Ernährung in Form von Vollkornhaferflocken oder Hafermehl vorkommen. Haferdrinks können grundsätzlich eine Alternative für Menschen sein, die den Kuhmilchverzehr reduzieren möchten oder müssen oder sich vegan ernähren möchten.“
Zu den gesundheitlichen Vorteilen der Haferdrinks zähle etwa, dass sie kalorien-, sowie fettärmer seien als Kuhmilch. Zudem sei Hafermilch cholesterinfrei. Hinzu komme, dass „der hohe Gehalt des wasserlöslichen Ballaststoffes ß-Glucan in Haferdrinks, sowie der höhere Anteil an ungesättigten Fettsäuren und wenig gesättigten Fettsäuren sich günstig auf den Fettstoffwechsel auswirkt.“ Abgesehen von Soja gebe es bisher allerdings nur sehr wenige Studien zur gesundheitlichen Wirkung von Pflanzendrinks.
Wie schneidet Hafermilch im Vergleich zu Kuhmilch ab?
Schon rein rechtlich darf Hafermilch offiziell gar nicht mehr so heißen. Denn laut EU-Gesetz ist die Bezeichnung „Milch“ Produkten vorbehalten, die von Tieren stammen. Viele Hersteller sind deshalb auf die Bezeichnung „Haferdrink“ ausgewichen.
Aber auch die Nährstoffzusammensetzung der pflanzlichen Alternative lässt sich nicht einfach eins zu eins mit dem tierischen Produkt vergleichen. Bei Kuhmilch handelt es sich primär schließlich um die Muttermilch für Kälber. Sie ist also ursprünglich dafür gedacht, den Tagesbedarf eines heranwachsenden Kalbs zu decken.
Kuhmilch hat zudem einen wesentlich höheren Proteingehalt als die Alternative aus Hafer. Diese besteht hingegen zum größten Teil aus Kohlenhydraten. „Außerdem hat Pflanzenprotein nicht die gleiche ernährungsphysiologische Qualität wie tierisches Protein“, betont die Ökotrophologin Donalies. Denn tierisches Eiweiß ist dem Menschen ähnlicher und kann daher besser vom Körper aufgenommen werden als pflanzliche Proteine.
Hinzu kommt, dass Kuhmilch als wertvoller Calciumlieferant gilt. „Wird der Kuhmilchkonsum vollständig durch die Pflanzendrinks ersetzt, dann sollte vor allem auf eine ausreichende Calciumzufuhr geachtet werden, die unter anderem auch durch angereicherte Produkte abgedeckt werden kann“, rät die Ernährungsexpertin und warnt: „Wer ganz allgemein Kuhmilch ohne das nötige Hintergrundwissen durch Pflanzendrinks ersetzt, riskiert eine Unterversorgung mit Calcium, Jod, Vitamin B12 und Riboflavin.“
Vielen Pflanzendrinks werden diese Nährstoffe aus diesem Grund künstlich zugesetzt. Für Menschen, die sich vegan ernähren oder kaum Milchprodukte zu sich nehmen, könne das sinnvoll sein, sagt Donalies. Je nach sonstiger Ernährungsweise könnten die Zusätze allerdings auch zu viel des Guten sein.
Zu beachten gilt auch, dass pflanzliche Bio-Drinks per Definition kein zugesetztes Calcium enthalten dürfen. Hier gelte es daher insbesondere auf andere gute Calciumquellen zu achten. Dazu zählen zum Beispiel Mineralwasser, Gemüse, wie Brokkoli, Grünkohl und Rucola, Nüsse, Hülsenfrüchte, Fleischersatz aus Soja oder Tofu.
Lassen Haferdrinks den Blutzuckerspiegel wirklich stark ansteigen?
Auch diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Denn letztendlich sei es für den Blutzuckeranstieg immer entscheidend, wie man den Haferdrink verzehre, erklärt Astrid Donalies. „Die in der Nahrung enthaltenen Kohlenhydrate haben direkten Einfluss auf den Blutzuckerspiegel. Je nachdem, welche Lebensmittel in welcher Menge und in welcher Kombination gegessen werden, steigt der Blutzuckerspiegel unterschiedlich stark und schnell.“ Damit aus Hafer ein Getreidedrink wird, werde er üblicherweise fermentiert. Das bedeutet, dass einzelne Enzyme hinzugefügt werden, die die enthaltene Stärke in die einzelnen Zuckermoleküle aufspalten. Deshalb enthalten Haferdrinks ohne Zuckerzusatz natürlicherweise Zucker.
„Wenn ich den Haferdrink auf nüchternen Magen zum Frühstück pur statt Milch trinke, kann es sein, dass dieser den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt“, so die Expertin. Es sei daher wichtig, den Drink möglichst abwechslungsreich zu kombinieren, also zum Beispiel nicht Haferflocken mit Haferdrink zu frühstücken, sondern im Müsli eine andere proteinreichere Milchalternative zu wählen. Denn: „Die Kombination mit anderen, zum Beispiel fetthaltigen, ballaststoffreichen oder eiweißreichen Lebensmitteln, verringert den Blutzuckeranstieg“, betont Donalies. „Wer also beispielsweise eine kleine Menge Hafermilch im Kaffee trinkt, muss keine Bedenken wegen eines erhöhten Blutzuckerspiegels haben.“
Worauf sollte man beim Kauf von Haferdrinks achten? Welche Inhaltsstoffe sollte man meiden?
Die Auswahl an Pflanzendrinks ist mittlerweile beinahe unüberschaubar. Alleine die Produktpalette an Haferdrinks bietet eine Fülle an Optionen. Zunächst sollte man je nach der eigenen Ernährungsform also schauen, ob ein Produkt mit zugesetzten Nährstoffen sinnvoll sein kann, um möglichen Mangelerscheinungen vorzubeugen.
Wer den Haferdrink gerne im Cappuccino trinkt, kann zu den sogenannten Baristaeditionen greifen. Die können laut Astrid Donalies unter Umständen aber verschiedene Zusatzstoffe enthalten, damit es schön schäumt. Auch der Fettgehalt könne bei den Baristadrinks höher sein. Generell gelte aber für alle Haferdrinks: „Es handelt sich um ein verarbeitetes Produkt. Ein Blick auf die Zutatenliste und Nährwertangaben hilft immer“, so die Expertin. So könnten je nach Produkt Aromen, Verdickungsmittel, Süßungsmittel oder Zucker enthalten sein. Auch Lein- oder Rapsöl würden manchmal zugefügt.
Wie lautet das Fazit?
Solange kein zusätzlicher Zucker zugesetzt wurde und auf die richtige Nährstoffkombination und -zufuhr geachtet wird, lässt sich also klar festhalten, dass Haferdrinks durchaus gesund sind. Mit Kuhmilch lässt sich der Milchersatz aber nur schwer vergleichen, da die Nährstoffzusammensetzung grundsätzlich unterschiedlich ist.
So können Haferdrinks nicht mit Protein oder Calcium dienen, außer letzteres ist künstlich zugesetzt. Dafür enthält Hafer viele Vitamine, Ballaststoffe, Mineralien und Antioxidantien. Kuhmilch lässt sich also nicht eins zu eins durch Haferdrinks ersetzen. Der Verzicht auf die tierische Milch muss dennoch nicht automatisch zu Mangelerscheinungen führen. Richtig kombiniert muss auch kein morgendlicher Blutzuckerschock befürchtet werden. Denn letztlich muss der Pflanzendrink im Kontext der gesamten Ernährung betrachtet werden.
Im Rahmen einer insgesamt ausgewogenen Ernährung spricht aus gesundheitlichen Gründen also nichts gegen den Haferdrink. Und was den Geschmack betrifft: Das muss letztlich ohnehin jeder und jede für sich selbst entscheiden.