Schon der Versuch, etwas zu lernen, stärkt das Gehirn. Das funktioniert bis ins hohe Alter. Unser Kolumnist erklärt, wie.
Wenn schon die Tagesschau zu lang istSo trainieren Sie Ihr Gehirn auch im Alter und halten es fit
Sie hieß Rita Levi-Montalcini. Sie wurde 1909 in Turin in eine jüdische Familie geboren. Zu einer Zeit, in der Frauen in der Wissenschaft keine Chance hatten. Und Juden unter zunehmender Verfolgung litten. Levi-Montalcini hatte keine Chance – und nutzte sie trotzdem.
Am Ende ihres sehr langen Lebens hatte sie ein unbestrittenes Dogma der Neurologie zerschlagen: Man war sich sicher, dass sich das Gehirn ab 18, 20, spätestens 25 Jahren nicht mehr umbauen könne. Levi-Montalcini aber identifizierte einen Nervenwachstumsfaktor, der verletzten Nerven beim Wachsen hilft. Und wies nach, dass auch das ältere Gehirn sich verändern kann.
Jonglieren an der Bettkante
Das ist unter Wissenschaftlern zwar längst akzeptierte Meinung. Aber das alte und falsche Dogma ist leider noch immer weit verbreitet. Man kann das Gegenteil allerdings leicht beweisen. Eine in Studien beliebte Fähigkeit ist das Jonglieren. Kaum einer kann drei oder vier Bälle dauerhaft in der Luft halten. Aber man kann es lernen, und zwar erstaunlich schnell.
Stellen Sie sich an eine Bettkante und versuchen Sie, zunächst zwei, dann drei Bälle in der Luft zu halten. Das Bett hindert Sie, den Bällen nach vorne zu folgen (der Anfänger wirft sie immer ein bisschen zu weit weg). Und erleichtert das Aufheben in Kniehöhe. Jonglieren ist erlernbar.
Aber das ist nicht das Entscheidende. In der Lernphase tut sich nämlich im Gehirn Erstaunliches: Schon nach wenigen Wochen Training lassen sich Veränderung im Gehirn nachweisen. Und zwar in der weißen Substanz (das sind die hauchdünnen Verbindungen zwischen den Neuronen) wie auch in der grauen Substanz (das sind die Nervenzellen selbst).
Schon der Versuch, etwas zu lernen, stärkt das Gehirn
Diese Veränderungen sind auch dann zu beobachten, wenn der Proband beim Jonglieren scheitert. Schon der Versuch, etwas zu lernen, stärkt offensichtlich das Gehirn und seine Verbindungen. Und das gilt für alle anderen Betätigungen ebenfalls: Konzentration lässt sich genauso trainieren wie Weitsprung, das Tippen mit zehn Fingern auf der Tastatur genauso wie ein Marathon.
Das Gehirn ist zwar kein Muskel, aber trainierbar. Leider ist die andere Seite der Medaille, dass Fähigkeiten auch verlernt werden können. Die Konzentration leidet, wenn man, statt längere Bücher zu lesen oder kluge Filme zu gucken, sich nur noch auf Sekundenclips auf Facebook oder kurze Posts beschränkt.
Gehirn so vielfältig wie möglich beschäftigen – am besten durch Kommunikation
Wenn schon die Tagesschau zu lang ist oder ein Fußballspiel, wenn parallel auf dem Handy gescrollt wird– dann wird das Gehirn nicht nur die Fähigkeit zur Konzentration reduzieren, es wird auch ganz konkret Nervenverbindungen abbauen. Einfach, weil es viel zu viel Energie kosten würde, Gehirnsubstanz, die nicht gebraucht wird, zu behalten.
Wer sein Gehirn jung halten will, muss es nutzen. So vielfältig wie möglich. Die vielfältigste Beschäftigung ist übrigens die Kommunikation. Wer mit Menschen redet oder streitet, singt oder flirtet, trainiert das ganze Gehirn. Rita Levi-Montalcini übrigens war auch mit 100 Jahren noch in ihrem Labor. Und starb schließlich mit 103.