Comedian Nicole Jäger„Satte Frauen sind am schönsten“
Köln – Nicole Jäger ist Autorin und Comedian. Mit uns sprach sie über den Unsinn von einseitigen Diäten, Schönheitsidealen und wallenden Gewändern.
Frau Jäger, in Ihrem ersten Buch ging es um das Abnehmen, in Ihrem zweiten (Nicole Jäger: „Nicht direkt perfekt“) geht es um die Weiblichkeit – hört der Kampf gegen den Körper nie auf?
Nicole Jäger: Ich war erst die Dicke, dann die Dicke, die abnimmt. Dann habe ich mich gefragt, was es eigentlich heißt, eine Frau zu sein. Ob da nicht noch mehr ist als die Zahl auf der Waage. Viele Frauen denken: „So lange ich nicht perfekt bin, darf ich mich nicht wohlfühlen“. Wir verbieten uns alles mögliche, weil wir nicht gut genug sind. Aber es geht darum, auch den Ist-Zustand zu mögen – mit Schwangerschaftsstreifen, Cellulite, dicken Oberschenkeln, hässlichen Knien oder Füßen. Sonst werden wir immer unglücklicher. Und verschieben das Glücklichsein auf den St. Nimmerleinstag.
Sie haben sich von mehr als 300 Kilo Körpergewicht auf 156 Kilo reduziert. Wie empfinden Sie es, wenn deutlich schlankere Frauen sich nicht direkt perfekt oder gar hässlich finden?
Jäger: Vollkommen gerechtfertigt! Ich finde, das Körpergefühl ist eine komplett individuelle Angelegenheit. Nur weil ich so viele Macken habe, müssen die Macken der anderen ja nicht weniger wichtig sein. Das eigene Problem ist eben immer am wichtigsten.
Sie nehmen seit fast zehn Jahren kontinuierlich ab. Gestartet sind Sie bei mehr als 300 Kilo.
Jäger: Und es ist immer noch nicht leicht, ich bin immer noch essgestört, habe immer noch Rückfälle, aber es geht. Ich mache Krafttraining, und ich schwimme und mache Aquagymnastik, das macht bei meinem Gewicht am meisten Sinn. Und ich fühle mich jetzt schon oft wie eine Elfe! Es sind ja nur noch 156 Kilo.
Sie gehen mit neumodischen Ess-Trends – von vegan bis low carb – hart ins Gericht. Was stört Sie an der bewussten Auseinandersetzung mit der Ernährung?
Jäger: Gar nichts. Ich finde es super, wenn man sich auseinandersetzt, Aber das Weglassen kompletter Lebensmittelgruppen, wie es bei low carb etwa mit den Kohlenhydraten passiert, halte ich für Humbug. Alles, was man radikal macht, fliegt uns doch am Ende um die Ohren. Wer will denn schon sein ganzes Leben auf Nudeln verzichten? Außerdem ist das Essen an sich fast schon zur Religion geworden. Ich finde, es ist besser, den Umgang mit Essen und auch mit Alkohol zu lernen. Unser Leben bietet eine Zeitspanne von 70 bis 90 Jahren. Die sollten wir nicht mit Gurkendips und Magerquark vertun. Und: Die schönsten Frauen sind zufriedene und satte Frauen.
Sie entsprechen gängigen Schönheitsidealen NICHT. Was raten Sie anderen, die nicht so selbstbewusst mit ihren vermeintlichen Makeln umgehen?
Jäger: Mein Aufruf ist: Raus aus der Komfortzone, egal wie muckelig es da ist, dort werde ich keine Abenteuer erleben. Dazu gehört leider ein bisschen Mut. Und die Fähigkeit, sich nicht nur auf das zu konzentrieren, was nicht perfekt an einem ist. Es gibt sicher viele andere Dinge, die gut sind. Egal wie der Körper ist, jede hat ein Recht auf Weiblichkeit und sollte sich trauen, diese auch auszuleben und sogar zu genießen.
Ihr Buch ist ein flammender Appell, sich nicht von Vorurteilen und Minderwertigkeitskomplexen klein machen zu lassen. Wieso sind gerade wir Frauen dafür so anfällig?
Jäger: Im Gegensatz zu Männern werden wir dazu erzogen, uns selbst zu hassen. Mädchen sollen schmal, adrett, zurückhaltend und nett sein. Sind sie das nicht, werden sie verurteilt. Das geht so weiter bis ins Erwachsenen-Alter. Wir beurteilen Leute doch den ganzen Tag nach Kriterien wie „Mag ich deine Haare? Mag ich deine Schuhe? Mag ich deine Klamotten?“. Wenn von der Antwort der Wert eines Menschen abhängt, dann ist das traurig.
Wir Frauen sind ganz schön streng miteinander.
Jäger: Ja, und ich sag Ihnen, was das Schlimmste ist: Blicke. Es gibt nichts, was vernichtender sein kann. Ich selbst habe viele Blicke gespürt. Und die meisten waren von Frauen. Nichts ist so schlimm für das Selbstwertgefühl wie die Blicke einer Frau. Wir reden so viel von Männern, aber die sind gar nicht das Problem. Ich kenne viele Frauen, die Angst vor den Blicken und Meinungen anderer haben – in den meisten Fällen anderer weiblicher Menschen.
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Jetzt mal praktische Lebenshilfe bitte: Wie soll sich eine dicke Frau denn nun kleiden? Im Wallewallekleid, mit oder ohne Querstreifen, schwarz oder doch Animal-Print?
Jäger: Wenn sich jemand im Leoparden- Jumpsuit wohlfühlt, soll er ihn gerne anziehen. Ich persönlich finde viele Kleidungsstücke, die für Dicke gemacht sind, eine Beleidigung: Im Zebrastreifen-Bigshirt fühle ich mich jedenfalls nicht wohl. Viele Klamotten für Dicke sollen einfach nur verhüllen. Aber: Ein wallendes Gewand ist immer an der dicksten Stelle am weitesten. Wenn ich das anziehe, sehe ich aus wie eine Litfaßsäule, weil meine dickste Stelle mein Hintern ist. Ich habe aber eine Sanduhr-Figur und möchte diese auch betonen. Deshalb ziehe ich immer eng anliegende Kleider an, auch in weiß, das angeblich aufträgt. Und immer mit Dekolleté. Und dass meine Lieblingsfarben schwarz und blau sind, hängt mit meinen Wurzeln in der Gothic-Szene zusammen. Nicht damit, dass ich denke, schwarz macht schlank…
Auch was Ihre Haare angeht, bekennen Sie mutig „Ich trage Perücke“ – wie kam es dazu?
Jäger: Meine Haare waren immer sehr fein und dünn. Durch die Gewichtsprobleme kam mein Hormonhaushalt durcheinander, ich hatte es mit der Schilddrüse, die Haare fielen aus. Dann kam noch ein finaler Friseur-Unfall mit Farbe hinzu. Schließlich rasierte ich mir alle Haare ab und kaufte mir Perücken. Seitdem habe ich die blonden, langen, gewellten Haare, die ich immer haben wollte. Und ruinieren tue ich mich für eine Kunsthaarperücke auch nicht. Die gibt es schon für 45 Euro, meine Friseurbesuche waren teurer.
Sie schreiben „Ich mag das Wort »Weib« sehr“ – was macht ein Weib aus?
Jäger: Für mich ist das der einzige Begriff, der das Phänomen Frau in seiner Ganzheitlichkeit erfasst. Es geht sowohl um Körper als auch um Seele und wie ich mich wahrnehme in meiner Welt. Ich kann zwar Nägel in die Wand schlagen, aber ich will es nicht. Ich fühle mich total als Frau und möchte Männer anhimmeln dürfen. Ich bin emotional, habe PMS, Hormonschwankungen und weine, wenn ich Hundebaby-Videos sehe. Mich persönlich hat das Weibsein weit nach vorne gebracht. Für mich heißt es: Ich bin nicht nur fett, sondern auch Frau.
Sie sehen sich durchaus als Feministin, selbst wenn das Wort „nach Spielverderber und großen bunten Ohrringen, einseitig getragen, nach ganz viel schlechter Laune und nächtlichen Problemgesprächen bei einem Becher Kamillentee“ klingt. Glauben Sie, dass junge Frauen heute einen Schnellkurs in Feminismus dringend brauchen?
Jäger: Ich finde ja. Frau sein heißt nicht, der bessere Mann zu sein. Du kannst von Truckerfahrerin bis Mutter Teresa heute alles werden, Du musst dich nur bewusst damit auseinandersetzen und deine eigene Entscheidung treffen. Du kannst auch das Heimchen am Herd sein, wenn du das wirklich willst. Aber Mädchen müssen sich selber finden. Und es gibt mehr als Einhorn und Elsa. Auch Jungs sollen rosa tragen dürfen, aber am Ende dürfen Frauen Superwoman oder Piratin sein. Du bestimmst selber – auch über den Aussehen.
Gibt es etwas, das Sie Heidi Klum immer schon mal sagen wollten?
Jäger: Eigentlich nicht. Ich fand die #Not-Heidis-Girl-Kampagne gut, wo sich die unperfekten Mädchen gezeigt haben. Denn mit Ihrer Sendung wäre alles gut, wenn nur klar wäre: Das ist eine Show. Das ist Fernsehen, nicht die Realität. Man sollte die Sendung einfach umbenennen in „Germanys Next Hasse-Dich-selbst-für-Deinen-Körper-Model“. Aber so denken die Mädels vor dem TV-Gerät: Du bist nicht gut genug und alle anderen Mädchen, die sich auf Instagram posten, sind schöner. Stimmt nicht, die kennen nur die Filterfunktion ihrer Bildbearbeitung.
Welche Frau würden Sie gerne mal treffen?
Jäger: Angela Merkel und die Queen. Mit beiden würde ich gerne mal Gin trinkend auf dem Sofa sitzen und fragen: Wie haltet ihr das aus, ihr zu sein? Und steht die Queen auch vor dem Spiegel und denkt „Ich habe hässliche Knie“? Und sitzt Angela Merkel jemals heulend auf dem Badewannenrand, weil der Seehofer wieder fies zu ihr war? Oder denkt sie nur darüber nach, welchen Hosenanzug sie für ihre nächste Reise zu Donald Trump einpacken soll?