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Boom durch CoronaWas ein Waldkindergarten anders macht als eine normale Kita

Lesezeit 4 Minuten
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Im Waldkindergarten findet die Morgenrunde auf Baumstämmen statt.

Morgenrunde oben auf dem Hügel: Die Fläche ist bedeckt von herabgefallenen Blättern. Ungeduldig wippen die Kinder auf Baumstämmen, die ihnen als Sitz dienen. Die Erzieherin begrüßt alle im Kreis und möchte eine Geschichte vorlesen. „Habt ihr Lust?“ Ein lautes „Ja!“ hallt zwischen Vogelgezwitscher durch den Wald.

In Waldkindergärten wie hier im hessischen Büdingen verbringen Kinder immens viel Zeit in der Natur, deutschlandweit werden solche Einrichtungen immer beliebter – gerade auch in Corona-Zeiten.

Gespannt lauschen die Kleinen jetzt der Geschichte. Einige Kinder sind neu im Waldkindergarten namens „Die Frischlinge“, neugierig schauen sie in die Gesichter der anderen.

Kinder gewöhnen sich schnell an den Wald

„Zur Eingewöhnung darf die Familie auch zum Schnuppern kommen“, erzählt Leiterin Jutta Schaffert. Aber die Kinder gewöhnten sich schnell an die Umgebung. Nach dem Ende des Morgenkreises folgen letzte Anweisungen, kurz danach springen alle Kinder von ihren Sitzen und verteilen sich im Wald – das Herumtollen kann beginnen.

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Auch eine Wippe darf im Waldkindergarten natürlich nicht fehlen.

Schaffert kennt den Waldkindergarten seit dessen Gründung 2001. Er entstand, wie die meisten, aus einer Eltern-Initiative. Die einstige Krankenschwester und Mutter von drei Kindern entschied sich, dem Kindergarten treu zu bleiben und machte eine Ausbildung zur Erzieherin. Seit 2012 ist die 56-Jährige Teil des Teams.

Knapp 500 neue Waldkindergärten in vier Jahren

Das Konzept der Waldkindergärten stammt aus Skandinavien, vor allem Dänemark gilt als Vorreiter. Bundesweit existieren laut Bundesverband der Natur- und Waldkindergärten in Deutschland (BvNW) etwa 2000 derartige Einrichtungen, vor vier Jahren waren es noch etwa 500 weniger. In Hessen sind nach Angaben des Sozialministeriums von circa 4500 Kitas rund 160 Wald- oder Naturkindergärten.

Bei den Frischlingen betreuen mindestens zwei Fachkräfte sowie eine Praktikantin die Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Das ist jedoch nur das Minimum. „Also im Grunde genommen wäre viel mehr Personal sinnvoll und wünschenswert“, sagt Gisela Stoll-Krohn, Vorsitzende des Landesverbandes der Natur- und Waldkindergärten in Hessen. Hochqualifizierte Waldpädagogen müssten es nicht zwingend sein. Eine zusätzliche Fachkraft genüge, um die Gruppe zu stärken.

Umweltschutz lernen und Immunsystem stärken

Das Besondere an den Waldkindergärten: Die Kinder sind bei jeder Wetterlage an der frischen Luft. Das stärkt auch das Immunsystem. Zweimal die Woche wandert die Gruppe durch den Wald. Die Kinder lieben es Schaffert zufolge, Tipis aus herumliegenden Ästen zu bauen. Die Erzieherinnen bringen den Kids auch nahe, ihre Umwelt sauber zu halten. Deshalb wird Müll, der herumliegt, aufgesammelt. Das machen sie mehrmals im Jahr auch bei Saubermach-Aktionen.

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Für die Rücksäcke, aber auch für Material und schlechtes Wetter gibt es einen roten Bauwagen.

Nur bei Sturm- oder Gewitterwarnungen zieht sich die Gruppe in ihre kleine Hütte zurück. Das ist bei den Frischlingen ein umfunktionierter roter Waggon. Dort finden sich Wechselklamotten, Spiele, Bastelsachen und Bücher. „Ansonsten sind wir bei Wind und Wetter draußen“, erklärt Schaffert. „Auch im Winter, dann allerdings nicht ganz so lange.“ Viel braucht es dafür nicht: warme Kleidung, wetterfeste Schuhe, Mütze und Schal für die kalte Jahreszeit.

Rote Kiste statt Dixi-Klo

Abseits der spielenden Kinder liegt eine kleine rote Kiste mit Loch. Sie dient den Kindern als eine Art Toilette. Eltern hätten eine mobile Toilettenkabine gefordert, berichtet Schaffert schmunzelnd. Der Kompromiss mit dem kleinen Kasten bietet nun den Mädchen die Möglichkeit, sich hinzusetzen, wenn es mal drückt.

Über 15 Jahre sei es auch ohne Toilette gegangen. „Wir haben dann weiter hinten im Wald noch was Ähnliches versteckt, wo für das große Geschäft Löcher in die Erde gebuddelt werden.“ Gegen Dixi-Klos sprach Schaffert zufolge auch, dass ein öffentlicher Wildpark in der Nähe sei, der im Sommer viele Menschen anziehe. Bei gutem Wetter sei die Gefahr zu groß, dass etwa betrunkene Teenager ein solches Klo verwüsteten oder umstießen. Daher habe man sich dagegen entschieden.

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Die Kinder spielen grundsätzlich mit allem, was der Wald hergibt. Einige basteln Mandalas aus Blättern, Stöcken und Steinen, andere bedienen sich an Werkzeugen. Es gebe auch abgerundete Schnitzmesser. Auch Säge und Hammer dürfen benutzt werden. Wichtig sei, dass die Kinder aus ihren Fehlern lernten.

Das Schlimmste in 20 Jahren: ein Armbruch

Grundsätzlich geschehen im Wald in der Regel sehr wenige Unfälle, wie der Bundesverband der Natur- und Waldkindergärten auf seiner Website betont. Dank der vielen Bewegung in der freien Natur würden Kinder in ihrer Motorik sicherer und lernten Herausforderungen besser einzuschätzen. „Sie gehen sicherer über unebenen Boden und stolpern nicht über jede Wurzel“, so der Verband. Zudem werde die Wahrnehmung der Kinder durch die besonderen Gegebenheiten des Waldes besser und sie lernten, ihre eigenen Grenzen selbst einzuschätzen.

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Geklettert wird im Waldkindergarten alleine.

Klettern bei den Büdinger Frischlingen Kinder auf einen Baum, tun sie dies alleine. „Nur so lernen sie, wie es geht“, sagt Schaffert. Das Schlimmste in 20 Jahren sei ein gebrochener Arm gewesen. Schaffert sagt, Eltern schickten ihre Kinder ganz bewusst in Waldkindergärten.

Inzwischen haben sich die Kinder gemütlich hingesetzt. Sie essen - und lauschen dem Zwitschern der Vögel und dem Rauschen der Blätter. (dpa)