AboAbonnieren

Väter im Gefängnis„Ich bleibe immer ihr Papa – das hat nichts mit meiner Tat zu tun“

Lesezeit 7 Minuten
Der Gefangene Adam R. sitzt im Wohnbereich der Väter-WG an der JVA Siegburg.

Couch, Kicker und der FC: Adam R. sitzt im Wohnbereich der Väter-WG an der JVA Siegburg – ein solches Programm ist einmalig in NRW.

Trotz seiner langen Haft will Adam R. aktiv am Leben seiner vier Kinder teilhaben. An der JVA Siegburg werden Väter wie er besonders unterstützt.

„Am schlimmsten ist es an ihren Geburtstagen, dann vermisse ich meine Kinder besonders“, sagt Adam R. (Name von der Redaktion geändert). „Ich habe auch ihre ersten Schritte und Worte verpasst und werde nicht zu ihrer Einschulung gehen können. Aber sie sind meine Kinder, ich bleibe immer ihr Papa – und das hat nichts mit meiner Tat zu tun.“

Nachdenklich senkt der 37-Jährige den Kopf. Es fällt ihm nicht leicht. Doch man spürt auch, dass er gerne erzählen will: Wie es ist, ein vierfacher Vater in Haft zu sein. Wie es sich anfühlt, wenn einen hohe Mauern von der Familie trennen. Und wie er hierhergekommen ist, in die Abteilung VE8, die Väter-Wohngruppe der Justizvollzugsanstalt Siegburg.

In der Väter-WG üben die Inhaftierten soziale Situationen

Wir sitzen an einem großen Tisch am Ende eines langen, weiten Flurs, der den Bewohnern als Treffpunkt dient. Sofort fällt das Netz ins Auge, das an der Decke gespannt ist – darin liegen bunte Papierschiffchen mit Namen, gebastelt von Kindern, deren Väter hier einsitzen. Im Hintergrund steht eine Tischtennisplatte, es gibt ein Wohnzimmer mit Couch und TV und eine kleine Küche. Erst auf den zweiten Blick erkennt man die Haftraumtüren, von denen einige bunt bemalt sind. Anders als im Regelvollzug stehen sie hier viele Stunden am Tag offen. Die Inhaftierten dürfen sich freier bewegen und sollen Zeit in der Gruppe verbringen, fast wie in einer ganz normalen WG.

Ein Netz mit selbst gebastelten bunten Papierschiffchen mit Kindernamen

Über dem Tisch der Väter-WG schweben die Basteleien der Kinder.

Gerade bewegt sich hier allerdings noch nicht viel, die Bewohner sind bei der Arbeit in den Werkstätten, das ist im Rahmen des Väter-Programms Pflicht. „Wenn nachmittags alle zurück sind, kochen wir zusammen, unterhalten uns oder spielen Playstation, wir teilen alles“, erzählt Adam R. Er ist einer von neun Vätern, die derzeit hier leben. „Die Bewohner können soziale Kompetenzen lernen und trainieren“, sagt Gaby Steinborn-Reif, die Leiterin des Sozialdienstes und Abteilungsleiterin der JVA. „Die WG bietet ein reales Lernfeld für familiäre Situationen.“

Als eine von sechs Familien-Schwerpunktzentren des Landes NRW fördert die JVA Siegburg durch verschiedene familiensensible Maßnahmen die Bindung zwischen Inhaftierten und ihren Kindern. Die Wohngruppe für inhaftierte Väter ist sogar einmalig im Land. Aufgenommen werden Gefangene, die mindestens ein minderjähriges Kind haben, bereits mehrere Monate in Haft sind und deutsche Sprachkenntnisse besitzen. „Die Schwere des Vergehens spielt grundsätzlich keine Rolle, ausgenommen sind Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Und es darf in der Haft zu keinen Disziplinarmaßnahmen gekommen sein“, sagt Steinborn-Reif, „wir wählen sorgfältig aus.“

Die Glastüre am Eingang der Väter-Abteilung VE8 der JVA Siegburg.

Die Väter-Abteilung ist nach außen hin geschlossen, drinnen aber sollen sich die Inhaftierten so frei wie möglich bewegen dürfen und in der Gruppe sein.

Seine Tochter hat Adam R. erst beim Besuch in der JVA kennengelernt

Adam R. lebt schon seit elf Monaten in der WG. Wegen Drogenhandels in großem Stil wurde er zu knapp zehn Jahren Haft verurteilt. Drei Jahre hat er bereits hinter sich. „Damals bei meiner Verhaftung war mein Sohn ein Baby und meine Frau im sechsten Monat schwanger mit meiner Tochter“, berichtet er, „da meine Immobilien verpfändet wurden, musste sie die Wohnung im Kreis Offenbach verlassen und zu ihrer Familie ins Rheinland ziehen.“ Jetzt lebe sie in Kerpen. Um seine Kinder sehen zu können, habe er sich heimatnah verlegen lassen. „Wegen Corona konnte ich meine Tochter trotzdem erst mit 20 Monaten kennenlernen.“ Jetzt aber kämen die beiden Kleinen wöchentlich zu Besuch. „Wenn sie die Mauer sehen, wissen sie, dass es zu Papa geht.“

Der große Tisch im Flur der Väter-Abteilung

Am großen Tisch im Flur der Väter-Abteilung wird oft zusammen gegessen.

Im Besuchsraum sind die Wände gepflastert mit bunten Ausmalbildern, am Ende des Raums ist eine kleine Spielecke. An runden Tischen sitzen Familien zusammen. Es ist überraschend ruhig. Statt der regulären zwei Stunden dürfen Kinder in NRW ihre Väter vier Stunden im Monat in der regulären Besuchszeit treffen, das ist gesetzlich verankert. In Siegburg besteht auch die Möglichkeit von Langzeitbesuch, bei dem Inhaftierte und Angehörige mehrere Stunden ohne Beaufsichtigung ungestört in einem speziell ausgestatteten Besuchsraum verbringen dürfen. Es gibt Spielzeug und einen Wickeltisch. „Fast alle aus der Vätergruppe haben regelmäßig Langzeitbesuch“, sagt Steinborn-Reif. Auch häufigere Telefonate seien möglich. „Meine beiden Töchter aus erster Ehe sind 11 und 13 Jahre alt und leben in Rumänien“, erzählt Adam R., „wir stehen uns sehr nah und telefonieren regelmäßig.“ Auch seine Frau könne anrufen, wenn die Kleinen seine Stimme hören wollten.

Blick in einen der Besuchsräume an der JVA Siegburg

Blick in einen der gerade noch leeren Besuchsräume an der JVA Siegburg

Kurse sollen Väter für die Zeit nach der Haft vorbereiten

Durch die besonderen Behandlungsangebote werden die Männer der Väter-Wohngruppe in ihrer persönlichen Entwicklung unterstützt und auf die Zeit nach der Haft vorbereitet. Die Teilnahme ist verpflichtend. Neben der Einzelfallhilfe durch Sozialarbeiter und Psychologen werden unter anderem Kurse zum Thema Verhütung, Erste-Hilfe für Kinder und ein Haushalts-Crash-Training angeboten. „Besonders wichtig ist auch das soziale Training, in dem die Inhaftierten sozial akzeptierte Verhaltensweisen kennenlernen und in Rollenspielen an konkreten Situationen trainieren, zum Beispiel das erste Wiedersehen mit dem Kind oder ein Gespräch mit dem Jugendamt“, erklärt Gaby Steinborn-Reif.

Die Kurse seien für die Männer eine Herausforderung. Manche hätten verfestigte Rollenbilder oder unrealistische Vorstellungen von der wahren Lebensrealität der Kinder. „Sie denken, mit einem Teddy und einmal Kino wäre die Beziehung zum Kind repariert.“ Nicht immer gelinge es deshalb, dass Väter dauerhaft einen guten Kontakt zu ihrem Kind aufbauten.

In einem Langzeitbesuchsraum der JVA stehen Sofas und ein Kinderstuhl und es liegen Spielsachen herum.

Im Langzeitbesuchsraum dürfen Inhaftierte und nahe Angehörige ungestört Zeit miteinander verbringen.

Eine Vater-Kind-Beziehung in wöchentlichen Dosen

Adam R. freut sich jede Woche sehr auf den Besuch seiner Kinder. „Wir malen dann zusammen, die Beamten drucken die Lieblingsmalvorlagen für meine Kleinen aus“, erzählt er. Die Atmosphäre sei positiv und freundlich. „So menschlich wie hier habe ich es in keiner anderen Einrichtung erlebt. Ich finde es schön, wie gut meine Familie bei den Besuchen behandelt wird.“ Bald gebe es auch zum ersten Mal ein großes Familienfest in der Sporthalle, auf das er sich freue.

Und doch ist und bleibt es eben keine normale Situation. „Bei den Besuchen echte Nähe herzustellen, ist schwierig, schließlich kannten mich die Kinder anfangs nur von Fotos“, sagt Adam R. Er versuche einfach, Zeit mit ihnen zu verbringen und langsam eine Bindung aufzubauen. „Eine richtig gute Beziehung ist aus dem Gefängnis heraus nicht möglich, doch es entwickelt sich zumindest gesund.“ Man brauche aber viel Geduld. „Ich möchte den Kindern keinen Druck machen, deshalb nehme ich sie nicht auf den Schoß“, sagt er, „für mich ist das schmerzhaft, aber da muss ich durch.“

Gaby Steinborn-Reif, Leiterin des Sozialdienstes an der JVA Siegburg

Gaby Steinborn-Reif ist Leiterin des Sozialdienstes an der JVA Siegburg.

Viele Väter fragen sich: Soll ich den Kindern von der Tat erzählen?

Jedes Jahr in den Sommerferien besuchten ihn auch seine älteren Töchter. „Es ist nicht einfach für sie.“ Gerade die Größere mache sich oft Sorgen um ihn. „Ich rede es nicht schön, aber ich versuche, sie zu schützen – das ist schließlich die Regel Nummer eins als Vater.“ Warum er im Gefängnis sei, habe er ihnen nicht verraten. „Da musste ich sie belügen. Ich will nicht, dass ihnen in der Schule gesagt wird: Dein Vater ist ein Gangster!“ Stattdessen habe er ihnen erzählt, er sei mit dem Telefon in der Hand Auto gefahren und habe jemanden verletzt. „Dann denken sie daran, beim Fahren nie das Handy zu benutzen.“ Gaby Steinborn-Reif sieht das skeptisch. „Das hält jede Familie anders, doch ich persönlich finde, Kinder sollten in der Regel und altersentsprechend wissen, was passiert ist. Denn wenn ich sie über Jahre anlüge, dann ist das Vertrauen nachhaltig geschädigt.“

Wie das Leben für Adam R. und seine Kinder in Freiheit aussehen wird, das kann sich erst in einigen Jahren zeigen. „Am Anfang habe ich die Wochen gezählt, jetzt zähle ich die jährlichen Ramadane in Haft“, sagt er traurig, „aber ich habe ein mentales Schutzschild aufgebaut, um nicht kaputtzugehen.“ Der Austausch mit seiner Frau gebe ihm Kraft. „Ich kann ihr nicht genug dafür danken, dass sie trotz allem zu mir steht.“ Sie redeten viel mehr als früher. „Ich bin hier drin viel offener geworden, unsere Beziehung ist stärker als vorher.“ Und er habe auch Pläne für die Zukunft. „Ich hole gerade den Hauptschulabschluss nach und will mich als Garten- und Landschaftsbauer selbständig machen.“

Heute blicke er anders auf seine Tat und sein früheres Leben. „Was bringt mir der Reichtum, wo ich doch die besten Zeiten meiner Kinder verloren habe?“, sagt er nachdrücklich. „Diese Entfernung von der Familie ist kein Geld der Welt wert. Das habe ich erst verstanden, als ich es verloren hatte.“