Eine tödliche Gewalttat unter Kindern, das macht sprachlos. Die Kölner Psychologin Elisabeth Raffauf erklärt, wie man seinen eigenen Kindern eine solche Tat erklärt.
Psychologin Elisabeth RaffaufSo können Sie mit Ihren Kindern über die Tötung in Freudenberg sprechen
Mit Blick auf die tödliche Gewalttat in Freudenberg: Wie sollen Eltern mit ihren Kindern über etwas sprechen, wofür sie womöglich selbst keine Worte haben?
Eltern müssen ihre Kinder mit einem solchen Thema ja nicht überfallen oder es ihnen extra auf die Nase binden. Aber sie sollten darauf achten, ob ihre Kinder etwas mitbekommen haben. Ich habe zum Beispiel von einem Achtjährigen gehört, der zu dem Fall etwas im Bus auf einem Info-Screen gelesen hat. Und da ist es natürlich gut, wenn Eltern behutsam nachfragen: Hast du davon gehört? Möchtest du mit uns darüber sprechen? Und dann können die Kinder selbst entscheiden, ob sie das möchten oder nicht.
Sie würden also eher proaktiv vorgehen?
Ich sage es mal so: Wenn man weiß, dass die Kinder mit ihren Sorgen sowieso zu einem kommen, dann nicht. Wenn Eltern aber wissen, dass das eigene Kind eher zurückhaltend ist mit solchen Fragen, dann ist es sicher ratsam, das Thema anzusprechen. Man hat ja auch ein Gespür für sein Kind. Und dafür, was es so mitbekommt. Wichtig ist, dass Eltern sich grundsätzlich gesprächsbereit zeigen. Genauso wichtig ist es, Kindern das Gespräch nicht aufzuzwingen. Da brauchen Eltern ein bisschen Feingefühl.
Würden Sie je nach Alter der Kinder einen Unterschied machen?
Natürlich redet man mit einem Fünfjährigen anders als mit einer Zwölfjährigen. Aber vielleicht geht es ja in erster Linie auch gar nicht darum, selbst zu reden. Sondern darum, den Kindern zuzuhören. Möglicherweise interessieren die sich ja für ganz andere Aspekte als die Erwachsenen. Der erwähnte Achtjährige zum Beispiel hat sich gar nicht so sehr mit der Frage beschäftigt, wer die mutmaßlichen Täterinnen sind. Sondern er wollte ganz konkrete Fakten wissen: Wo ist das passiert und wie ist es passiert?
Nun handelt es sich um eine sehr drastische Tat, das Opfer hatte mehrere Stichwunden und ist verblutet. Sollten Eltern solche Details überhaupt erwähnen?
Da gilt: So wenig detailliert wie möglich und gleichzeitig so ausführlich wie nötig. Das Mädchen ist wahrscheinlich erstochen worden. Das würde ich deswegen auch erwähnen, wenn die Kinder fragen. Wenn Kinder nicht danach fragen, würde ich es weglassen. Eltern sollten sich also immer überlegen: Welche Informationen braucht mein Kind, um mit einer Sache umgehen zu können. So ein Nachfragen der Kinder, das ist ja in erster Linie auch der Wunsch nach Sicherheit.
Sollte man Kinder vor den Details zu einer solchen Tat womöglich sogar schützen?
Na ja, das ist heutzutage ja sehr schwierig. Deswegen ist es ja so wichtig, dass Eltern in einem guten Kontakt mit ihren Kindern sind. Dass die Kinder wissen: Wenn mich etwas beschäftigt, dann kann ich damit zu meinen Eltern gehen. Und werde dann in meinen Ängsten auch ernst genommen. Zunächst ist es ja auch so, dass die Kinder hören müssen: Das ist eine Sache, die ist wirklich schockierend. Sie macht alle Menschen fassungslos, auch die Erwachsenen. Damit signalisieren Sie einem Kind, dass sein Gefühl richtig ist, dass andere dieses Gefühl auch haben und man seine Sorgen teilen kann.
Das heißt, Eltern sollten ganz offen mit ihrer eigenen Fassungslosigkeit umgehen, anstatt sie vor den Kindern zu verbergen?
Sie sollten jetzt nicht vor ihren Kindern zusammenbrechen. Aber die eigenen Gefühle in Worte zu fassen, ist ein guter Weg. Weil das Kindern signalisiert, dass sie nicht alleine sind. Und natürlich können Erwachsene auch sagen: Mir fehlen da einfach auch die Worte.
Bleibt die Frage, welche Worte überhaupt angemessen sind gegenüber einem Kind, das möglicherweise von so etwas wie Mord bislang gar keine Vorstellung hatte. Vor allem nicht unter Gleichaltrigen.
Man sollte nichts verniedlichen oder seine Stimmlage verändern. Aber möglicherweise spricht man anders detailliert. Kindgerecht im Sinne von: Was können Kinder denn verstehen?
Dennoch werden Kinder Angst davor haben, dass so etwas ihren eigenen Freunden oder sogar ihnen selbst passiert.
Ja, und deswegen ist es wichtig, Kindern zu erklären, dass so etwas wie in Freudenberg nur ganz, ganz selten passiert. Gleichzeitig sollten Eltern zurückfragen, wo die konkreten Sorgen ihrer Kinder liegen. Haben sie womöglich selbst Erfahrung mit Mobbing oder Gewaltandrohungen gemacht, haben sie vielleicht sogar schon Gewalt erfahren? Haben Sie Gewalt in Videospielen gesehen, oder wurden ihnen gewaltsame Videos auf das Handy geschickt? Damit sind Kinder heutzutage häufig schon in einem sehr jungen Alter konfrontiert.
Und dann?
Geht es erst mal darum zu verstehen, diese Gefühlswelt sehr ernst zu nehmen, sie nicht abzutun oder sich darüber lustig zu machen. Das ist die Basis für Vertrauen.
Ist das nicht selbstverständlich?
Na ja, es gibt unter Lehrerinnen und Lehrern häufig die Tendenz, den Kindern zu sagen: Löst das mal untereinander. Und ein Stück weit ist das auch richtig, wenn es um kleinere Streitigkeiten geht. Aber wenn es um so etwas wie Mobbing geht, dann ist es ganz wichtig, die Kinder damit nicht allein zu lassen. Weil Mobbing etwas Dauerhaftes, etwas Wiederkehrendes ist. Kinder denken häufig, dass alles noch schlimmer wird, wenn sie etwas sagen. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wenn sie nichts sagen, wird es schlimmer.
Auch Kinder werden sich fragen, wie andere Kinder zu so einer Tat fähig sein können.
Wir wissen nicht, was in diesem konkreten Fall zu der Tat geführt hat. Man kann aber davon ausgehen, dass hinter einer solchen Tat starke Gefühle stecken, wie Aggression, Wut, Hass, Eifersucht oder Neid. Und dass Kinder nicht gelernt haben, wie man mit diesen starken Gefühlen umgeht, wie man sich selbst regulieren kann. Möglicherweise haben die Mädchen selbst gelernt, dass nur Gewalt hilft, wenn sie wütend sind. Oder sie haben diese Gewalt erlebt.
Das ist ein sehr erwachsener Blick auf mögliche Ursachen einer Gewalttat. Muss man das Kindern überhaupt erklären?
Ja, so etwas kann man Kindern sehr gut erklären! Man kann ein Kind zum Beispiel fragen, was es denn selbst über den Umgang mit Wut gelernt hat oder wie es in der eigenen Familie läuft. Und man kann ihnen erklären, dass es auch Erwachsene gibt, die zuschlagen, die ihre Wut nicht in Worte fassen können. Weil das die Realität ist.
Was sollten Eltern tun, wenn sie merken, dass die Sorgen und Ängste bei ihren eigenen Kindern nicht mehr verschwinden?
Dann muss man schauen, was das Kind braucht. Benötigt es vielleicht erst mal Begleitung, zum Beispiel auf dem Weg zur Schule? Das kann besonders dann der Fall sein, wenn ein Kind selbst Demütigungen, Angriffe oder Drohungen durch Gleichaltrige erlebt hat. Man muss also immer im Blick haben, was konkret im Alltag helfen würde. Und danach dann handeln.