AboAbonnieren

Selbstliebe„Kinder werden stark, wenn Eltern ihre eigenen Bedürfnisse ernst nehmen“

Lesezeit 7 Minuten
Neuer Inhalt

Glückliche Mutter, glückliche Kinder. 

KölnFrau Lutum, beginnen wir mit den Erwachsenen. Sie arbeiten als Coach und Heilpraktikerin für Psychotherapie. Zu Ihnen kommen viele Menschen, die Probleme mit dem Selbstwertgefühl haben. Warum denken so viele Menschen, dass sie nicht gut genug sind?Ellen Lutum: Wir leben in einer Optimierungsgesellschaft und werden ganz oft nur darauf aufmerksam gemacht, was nicht gut läuft. Selten hören wir: ‚Das macht du super.‘ Zudem haben wir alle Prägungen aus unserer Kindheit und Jugend, die auch im Erwachsenenalter noch da sind. Das spüren wir, wenn wir erfahren, dass es bei anderen nicht gut ankommt, wie wir sind. Wir bekommen dann das Gefühl, dass wir nicht richtig sind. Dieses Gefühl prägt uns und legt sich über unsere Fähigkeiten.

Neuer Inhalt

Ellen Lutum arbeitet als Coach und Heilpraktikerin für Psychotherapie in Stadtlohn, ist verheiratet und hat drei Töchter.  

Ist die Generation der heutigen Eltern davon noch stärker betroffen, weil ihre eigenen Eltern und Großeltern noch nicht so wertschätzend mit ihnen umgegangen sind und das Gesellschaftsbild anders war?Definitiv. Unsere Eltern haben wiederum von ihren Eltern noch einmal eine ganz andere Erziehung erlebt. Vor allem das Mann-Frau-Bild war damals noch ein ganz anderes. Frauen durften nicht viel. Das hat auch unsere Eltern sehr geprägt.

Heißt das, dass insbesondere Frauen Probleme damit haben, sich selbst anzunehmen?Ich möchte mir nicht anmaßen, das zu beurteilen. Männer haben auch ihre Päckchen zu tragen, sie sind nur anders. Männer gehen anders um mit ihrem Körper, Erfolgen oder Misserfolgen. Frauen spielen ihr Können oft herunter und sagen: ‚Ach, ist doch nichts Besonderes.‘ Männer präsentieren sich anders und geben eher noch ein bisschen an statt sich klein zu reden. Ich habe aber das Gefühl, dass unsere Generation jetzt einsieht, dass es so nicht sein muss und dass die Prägungen sich langsam verändern.

Für mehr Selbstbewusstsein vor allem bei Frauen muss man schon früh anfangen. Was können Eltern tun, damit ihre Kinder sich selbst gut und richtig finden?Eltern sollten ihren Kindern genau das vorleben. Wenn Mütter in meine Praxis kommen und sich wünschen, dass ihre Tochter selbstbewusst wird, sage ich ihnen immer, dass sie dafür ebenfalls selbstbewusst sein müssen. Wenn ich möchte, dass meine Tochter mit sich und ihrem Körper zufrieden ist, kann das nur gelingen, wenn ich als Mutter nicht ständig vor dem Spiegel stehe, an mir rummäkele und mich selbst nicht mag. Das funktioniert nicht.

Das könnte Sie auch interessieren:

Sie schreiben in Ihrem Buch Sei die Liebe deines Lebens, dass Eltern unbedingt auf ihre eigenen Bedürfnisse achten müssen, damit Kinder das auch lernen. Das ist aber vor allem mit kleinen Kindern nicht so einfach. Zudem haben vor allem Mütter immer die Sorge, egoistisch zu sein, wenn sie Zeit für sich wollen.Und das ist der größte Irrglaube überhaupt. Denn was passiert denn, wenn ich mich nicht um mich selbst kümmere und wenn ich auch meinen Kindern gegenüber nicht zugeben kann, dass ich Zeit für mich brauche? Dann gebe ich etwas, obwohl mein inneres Gefühl gar nicht dazu passt. Und das spüren Kinder. Wenn wir wollen, dass Kinder offen und ehrlich über ihre Bedürfnisse sprechen, dann müssen und dürfen wir das auch tun.

Wie macht man das konkret? Die Wohnung versinkt im Chaos, das Geschirr steht herum und die Wäsche müsste auch gefaltet werden. Soll man das einfach ausblenden?Ich selbst habe mir das genauso beigebracht. Ich habe mich selbst immer hinten angestellt und gedacht: ‚Wenn alles fertig ist, dann setze ich mich hin.‘ Es ist aber nie alles fertig. Ich versuche mittlerweile, auf mich zu achten und mich auszuruhen, wenn ich müde bin und zu essen, wenn ich hungrig bin. Denn sonst bin ich nicht in meiner Kraft. Das bedeutet zum Beispiel, dass ich die Spülmaschine nicht ausräume, wenn ich lieber schlafen will. Ich habe aufgehört, die Spülmaschine höher zu werten als mich selbst. Das war schwer.

Tipps zum Weiterlesen

Ellen Lutum: Sei die Liebe deines Lebens. Schritt für Schritt zu dir, 210 Seiten, 9,99 Euro

Julia Tomuschat: Finde die Liebe, die dir als Kind gefehlt hat. Wie wir uns selbst die Sehnsucht nach elterlicher Liebe erfüllen, GU Verlag, 192 Seiten, 17,99 Euro

Paula Lambert: Geh schon mal in dich, das Glück kommt dann nach. Wie du deine innere Schönheit entdeckst und dabei nach außen strahlen kannst, Heyne Verlag, 269 Seiten, 9,99 Euro

Sarah Crosby: Fünf Minuten Coaching. Der Kickstart für ein glückliches und erfülltes Leben, Südwest Verlag, 270 Seiten, 20 Euro

Verena König: Bin ich traumatisiert? Wie wir die immer gleichen Problemschleifen verlassen, GU Verlag, 256 Seiten, 18,99 Euro

Wie haben Ihre drei Töchter darauf reagiert?Sie haben dadurch ebenfalls gelernt, ihre Bedürfnisse frei zu äußern. Sie sind offener und freier geworden, sie nehmen sich ernst. Am wichtigsten finde ich aber, dass meine Kinder wissen, dass sie nicht dafür sorgen müssen, dass es mir gut geht.

Kinder und Jugendliche stellen sich heute vor allem körperlich extrem in Frage. Wie können Eltern da gegenwirken?Bleiben Sie dran! Es ist sehr wichtig, mit den Kindern im Gespräch zu bleiben. Richten Sie gemeinsam mit den Kindern den Fokus darauf, was an ihnen alles toll ist. Sagen Sie ihnen, dass an ihnen alles super ist und dass es egal ist, was andere sagen. Fragen Sie, was die Kinder im Internet machen und was sie sich anschauen. Wie vergleichen sie sich mit anderen? Achten Sie darauf, ob sie vernünftig essen und wie viel Sport sie treiben. Fragen Sie, warum sie das machen. Wollen sie jemandem nacheifern? Halten Sie unbedingt einen Raum offen, wo sie sich anvertrauen können.

Was kann man tun, wenn alles gute Zureden nicht hilft? Wenn jemand einfach alles blöd an sich findet und Dinge wie Größe und Augenfarbe ablehnt, die nicht zu ändern sind?Auch hier hilft das stetige Dranbleiben. Man sollte den Kindern erlauben, dass sie so denken dürfen. Es ist ihr gutes Recht, dass sie etwas an sich doof finden. Man könnte zum Beispiel sagen: ‚Ich kann verstehen, dass du dich in diesem Moment unwohl fühlst. Aber ich finde es wunderbar wie du bist. Du darfst so sein wie du bist.‘ Wenn wir die negativen Gefühle der Kinder immer nur herunter reden, nehmen wir sie nicht ernst und nicht an. Es ist ein schmaler Grat, diese Bedenken anzunehmen und die Kinder trotzdem zu bestärken.

Die meisten Eltern sind ihren Kindern heutzutage sehr wohlwollend gegenüber und bestärken sie in ihrem Tun und Sein. Warum glauben manche trotzdem, dass sie nicht gut genug sind? Woher kommen diese Selbstzweifel?Meiner Meinung nach zu einem sehr großen Teil aus unserem veralteten Schulsystem, das zu sehr auf Leistung setzt. Auch Erzieherinnen und Lehrerinnen haben einen sehr starken Einfluss auf unsere Kinder. Wir sind uns oft über die Macht unserer Worte nicht bewusst und sollten immer bedenken, was sie bei jemand anderem auslösen können. Ist es wirklich so schwierig, in der positiven Verstärkung zu bleiben? Müssen wir immer darauf schauen, was nicht gut ist?

Man kann also nicht genug loben?Ich glaube nicht, dass zu viel Lob möglich ist. Wir dürfen das, was gut klappt, noch viel mehr in unseren Fokus rücken. Wenn wir nur auf das schauen, was nicht gut funktioniert und nach Anerkennung hecheln, dann sind wir in einem dauernden Mangelgefühl. Diese Anerkennung muss uns jemand von außen geben. Wenn ich mir diese Bestätigung selbst geben kann, weil ich es so gelernt habe, dann bin ich nicht mehr im Mangel, sondern in Liebe und Zuneigung. Und genauso gehe ich dann auch mit Mitmenschen um. Nichts ist so anziehend, so sexy und so sympathisch wie jemand, der mit sich im Reinen ist. Und das dürfen wir unseren Kindern auch vermitteln.