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Moderater SchnullergebrauchWarum das Nuckeln für Babys auch Vorteile bringen kann

Lesezeit 4 Minuten
Ein Kleinkind greift nach einem Schnuller.

Beim Spielen oder Vorlesen ist kein Schnuller nötig.

Es gibt viele Argumente gegen Nuckel. Nicht alle stimmen, sagt eine Erziehungsexpertin. Sie empfiehlt, den Schnuller feinfühlig einzusetzen und erklärt, warum Druck beim Abgewöhnen problematisch ist.

Angeblich sind sie fatal für die Zahnstellung, können die Stillbeziehung empfindlich stören und die Sprachentwicklung negativ beeinflussen. Wollen sich Eltern im Internet über Schnuller schlaumachen, finden sie vor allem eines: Argumente gegen die kleinen Sauger.

Es sei in den vergangenen Jahren ein bisschen Mode geworden, Schnuller zu verteufeln, beobachtet auch die Erziehungsexpertin und Buchautorin Nora Imlau („Mein kompetentes Baby“, „Bindung ohne Burnout“). Doch müssen sich Mütter und Väter ernsthaft sorgen, wenn ihr Kind gerne schnullert? Immerhin haben Generationen von Eltern ihren Nachwuchs doch genauso beruhigt.

Seit den 50er Jahren landen Schnuller in vielen Babymündern, das deutsche Patent für die Sauger wurde nach Angaben der Mapa GmbH aus Niedersachsen, zu der auch die Fläschchen- und Nuckelmarke Nuk gehört, am 10. Juni 1949 eingereicht. Ihre Funktion: die Kleinsten regulieren.

„Neugeborene und auch ältere Babys haben ein starkes Saugbedürfnis“, erklärt Imlau. Das könne man an der Brust befriedigen, das Kind also stillen, wenn es Hunger habe – aber eben auch, wenn es keinen Hunger habe. „Bei einem stark saugbedürftigen Kind kann das für die Frau bedeuten, es zehn Stunden am Tag an der Brust zu haben.“ Manchen Müttern gehe es damit gut, sagt Imlau. „Doch für andere ist es total valide, ihren Kindern als zusätzliche Regulationshilfe einen Schnuller zur Verfügung zu stellen.“

Schnuller zur Schlafsicherheit

Zudem werde in Deutschland ganz offiziell die Gabe eines Schnullers empfohlen, um dem plötzlichen Kindstod (SIDS, kurz für Sudden Infant Death Syndrome) vorzubeugen. „Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt: Nuckeln in der Nacht ist ein Schutzfaktor, damit Kinder nicht in den ganz tiefen Schlaf fallen, wo sie Schlafapnöen haben können, die als Risikofaktor für SIDS gelten“, erläutert Imlau. Zwar werde darüber viel diskutiert – laut einigen Menschen habe Stillen diese schützende Wirkung ebenso –, trotzdem komme in den aktuellen Nuckel-Diskussionen häufig zu kurz, dass es diese offizielle Empfehlung zur Schlafsicherheit nun einmal gebe.

Was wohl daran liegen dürfte, dass die Debatten vor allem in sozialen Netzwerken aufgeladen sind. „Dort kursieren einige falsche Vorurteile. Etwa darüber, dass Schnuller schädlich seien und den Weg für orale Süchte bahnen würden. Aber dafür gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg“, ordnet die Erziehungsexpertin ein.

Exzessives Schnullern erhöht Risiko für Mittelohrentzündung

Kinder, die einen Schnuller in moderatem Maße nutzten, hätten auch keine Schwierigkeiten mit der Sprachentwicklung. „Das Einzige, was man weiß: Kinder, die exzessiv schnullern, haben eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Mittelohrentzündungen. Darauf muss man ein Auge haben.“

Moderater Einsatz heißt Imlau zufolge, dass die Kleinen keinen Nuckel brauchen, wenn sie gut reguliert sind, etwa beim Spielen oder Vorlesen – aber noch darauf angewiesen sind, wenn sie sich wehgetan haben, müde oder an einem unbekannten Ort sind. „Bei einem solchen Gebrauch gibt es keine Evidenz dafür, dass das irgendwie schädlich wäre. Es gibt allerdings ein paar Kinder, die den Schnuller als einziges Regulationsinstrument annehmen und ihn wirklich 24 Stunden am Tag im Mund haben. Das kann zu Problemen führen.“

Sorgt der Schnuller für Probleme beim Stillen?

Dennoch sind manche Eltern unsicher, steht Schnullern doch unter anderem im Ruf, die Stillbeziehung zu stören. „Wenn Kinder in den ersten Wochen nach Stillbeginn die ganze Zeit schnullern, wenden sie danach möglicherweise an der Brust zum Beispiel ein falsches Saugmuster an“, erklärt Imlau dazu. Deshalb gebe es gute Gründe dafür, den Nuckel mit Bedacht, nicht sofort nach der Geburt und eben nur begrenzt einzusetzen.

Der Rat: den Schnuller „feinfühlig und bindungsorientiert“ geben. „Das geht, indem ich erkenne: Mein Kind hat gerade ein Bedürfnis, es möchte saugen, also bekommt es den Schnuller. Spuckt es ihn wieder aus, stecke ich ihn nicht sofort wieder rein, sondern schaue: Hat es genug genuckelt, braucht es etwas anderes?“ Es sei eine Frage der Dosierung und Handhabung.

Auch, wenn es um potenzielle Zahnfehlstellungen gehe. Denn „ja, wenn ein Kind extrem viel schnullert, kann der sogenannte lutschoffene Biss entstehen“, sagt Imlau. Das könne dazu führen, dass die bleibenden Zähne anders wachsen und die Kinder eventuell später eine Zahnspange brauchen. „Aber erstens kann das passieren, es muss aber nicht. Und zweitens sind Kinder mehr als ihre Zähne. Sie sind Wesen, die Gewohnheiten ausprägen, die ihnen emotionale Sicherheit geben.“

Seelisches Wohlergehen wichtiger als Zahnfehlstellung

Deshalb hält sie es für problematisch, wenn Mediziner den Familien nach den ersten Lebensmonaten Druck machen, den Schnuller abzugewöhnen – den Kindern also jene Regulationshilfe wegzunehmen, an die man sie zuvor gewöhnt hat. „Das ist psychologisch schwierig. Ich persönlich – auch als Mutter von vier Kindern, die zum Teil geschnullert haben – würde immer das seelische Wohlergehen meines Kindes im Hier und Jetzt höher priorisieren als eine mögliche Zahnfehlstellung.“

Das heiße aber nicht, dass man den Schnuller nicht behutsam ersetzen könne. „Also ihn immer mal wieder vergessen, nicht dabeihaben und stattdessen zu fragen: Wollen wir kuscheln, soll ich dir etwas vorsingen?“, rät Imlau. (dpa/tmn)