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Krisenchat.de„Jugendliche in einer Krise erreicht man eher über Whatsapp als Telefon“

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Jugendliche können ihre Sorgen per Chat mitteilen und erhalten Hilfe. 

Köln – In einer Krise weiß man oft nicht, wohin man sich wenden soll. Alles erscheint unerträglich und es gibt scheinbar niemanden, der einem helfen kann. Vor allem viele Jugendliche haben niemanden, mit dem sie wirklich offen reden können. Dabei haben gerade junge Menschen oft besonders schwerwiegende Sorgen. Eine erste unkomplizierte Anlaufstelle finden sie beim Krisenchat, an den sie sich rund um die Uhr kostenlos per Whatsapp oder SMS wenden können. Der Dienst wurde im ersten Corona-Lockdown im April 2020 gegründet und kann sich seitdem vor Anfragen kaum retten.

Viele trauen sich nicht, bei Problemen Rat zu suchen

„Junge Menschen brauchen einen Ort, wo sie unkompliziert Hilfe finden. Die Dunkelziffer ist hoch, viele trauen sich nicht, sich mit ihren Problemen irgendwo zu melden, schon gar nicht am Telefon. Die Hemmschwellen sind zu groß. Das führt aber dazu, dass die Probleme nur noch schlimmer werden. Per Chat ist es für die Jugendlichen einfacher“, ist Kai Lanz überzeugt, einer der Gründer von Krisenchat.

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Kai Lanz hat Krisenchat mitgegründet. 

Wie groß das Problem der Dunkelziffer ist, hat er bereits in seiner Schulzeit am Berliner Canisius-Kolleg gemerkt. Im Jahr 2010 war durch den Brief eines ehemaligen Schülers aufgedeckt worden, dass in den 1970er- und 1980er-Jahren zahlreiche Schüler der Jesuitenschule sexuell missbraucht worden waren. „Zum Teil haben die Betroffenen erst 40 Jahre später zum ersten Mal darüber geredet. Darüber haben wir an der Schule viel gesprochen. Und ich habe mir gedacht: Es muss einfache Möglichkeiten geben, um sich Hilfe zu holen“, erinnert sich Lanz.

Die Beratung findet rund um die Uhr statt

Er gründet zunächst das Portal „Exclamo“, an das Schülerinnen und Schüler sich mit Problemen wenden konnten. In der Corona-Zeit ist daraus Krisenchat als Weiterentwicklung dieses Angebotes entstanden: Die Probleme im Lockdown wurden einfach so groß, dass schnellere und umfassendere Hilfe nötig wurde.

Veranstaltungstipp

„F wie Familie: Hilfe! Krisen im Kindes- und Jugendlichenalter“, 25. Oktober 2022

Eigentlich gibt es kaum ein Lebensalter ohne „Lebensherausforderungen“ – ein freundlicheres Wort für „Krisen“. Was macht es Eltern und Jugendlichen so schwer, die Jugendzeit so gelassen wie möglich zu gestalten? Oder anders gefragt: Was sind die typischen Probleme in der Adoleszenz für beide Seiten? Wachstum ist sowohl physisch als auch psychisch oft von Schmerzen begleitet und nicht alle Reaktionen von Kindern und Jugendlichen sind für Eltern nachvollziehbar (gleiches gilt natürlich auch umgekehrt). Wo gibt es Gefahrenquellen und wie könnte man sie frühzeitig entdecken? Welche hilfreichen Haltungen wären für Eltern sinnvoll und wie können sie in den Phasen der notwendigen Abnabelung den Kontakt zu ihren Kindern ausreichend bewahren?

Referenten: Dr. phil. Christiane Jendrich (Systemische Familientherapeutin)Dr. med. Stefan Battel (Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie)

studio dumont (Breite Str. 72, 50667 Köln)

19 Uhr (Einlass: ab 18 Uhr)

Eintritt: 16 Euro

Eintrittskarten sind erhältlich über www.koelnticket.de, für Abonnenten unter www.Forumblau/Tickets zum Sonderpreis von 13 Euro.

Im Chat können sich junge Menschen bis zum Alter von 25 Jahren rund um die Uhr mit ihren Problemen an professionelle Beraterinnen und Berater wenden. Mehr als 400 Helfer beantworten jeden Tag und jede Nacht Fragen, die meisten sind Psychotherapeuten für Kinder und Jugendliche, Psychologen oder Sozialpädagogen und arbeiten von zuhause aus, der Großteil davon ehrenamtlich. Sie sind in verschiedene Schichten eingeteilt, vor allem abends und nachts gibt es besonders viel Bedarf. „Die Beratung findet rund um die Uhr statt. Man kann einem 14-jährigen Mädchen, das sich nachts um drei mit Suizidgedanken meldet, nicht sagen, dass es am Donnerstag um 15 Uhr eine Sprechstunde gibt oder dass in acht Monaten ein Therapieplatz frei wird“, erklärt Lanz das Konzept.

Die meisten Nutzerinnen und Nutzer kennen das Angebot von Tiktok und Instagram. Die Beratungen finden per Whatsapp oder SMS statt, seit einiger Zeit gibt es auf Telegram auch Angebote auf Ukrainisch und Russisch. Eine Sitzung dauert im Durchschnitt 45 bis 60 Minuten und sollte am Stück durchgeführt werden. Es ist nicht so gedacht, dass man sich immer mal wieder mit einer Nachricht meldet und dazwischen abtaucht. „Wir sehen uns als akute Krisenberatung. Wir wollen im Moment helfen, den Menschen aber auch Werkzeuge an die Hand geben, damit sie wissen, wie sie in Zukunft mit schwierigen Situationen umgehen können. Wir sind kein langfristiges Angebot mit regelmäßigen Terminen und wollen auch nicht, dass Bindungen aufgebaut werden“, erklärt Lanz. Wer nicht chatten möchte, findet in der sogenannten Oase auf der Homepage Artikel zu häufigen Problemen, die Jugendliche haben, zum Beispiel depressive Verstimmungen, Mobbing, Stress oder Dauerstreit mit den Eltern.

Hier finden Jugendliche Hilfe

Über den Krisenchat können Jugendliche sich rund um die Uhr kostenlos, unkompliziert und anonym per Chat am Handy mit psychologischen Beraterinnen und Beratern austauschen: www.krisenchat.de

Auch die Telefonseelsorge bietet eine Beratung per Mail, Telefon, Chat oder vor Ort: 0800-1110111 oder 0800-1110222 (kostenlose Nummern): www.telefonseelsorge.de

Hilfe gibt es auch bei der Nummer gegen Kummer, für Kinder und Jugendliche unter 116111, für Eltern unter 0800/1110550, anonym und kostenlos: www.nummergegenkummer.de

Das häufigste Problem ist eine depressive Symptomatik

Am häufigsten melden sich Teenager bei Krisenchat, es waren aber auch schon Zehnjährige darunter. Der häufigste Grund für eine Kontaktaufnahme ist eine depressive Symptomatik, verbunden mit Suizidalität und non-suizidalem Selbstverletzungsverhalten. Auch Ängste, familiäre Konflikte, Liebeskummer und Stress mit Freunden werden als Gründe genannt, „eben alles, was junge Menschen als Krisen bezeichnen. Wir wollen alles ernst nehmen und auch für alle da sein“, sagt Lanz. Schwierig wird es, wenn die familiären Konflikte so groß sind, dass das Kindeswohl durch physische oder psychische Gewalt gefährdet ist. Für diese Fälle gibt es ein Sozialteam mit Kinderschutzfachkräften, die genau dafür ausgebildet sind. Diese übernehmen dann die Chats von den Ehrenamtlichen und begleiten die Jugendlichen enger. Ins echte Leben eingreifen tun sie aber nicht. „Wir versuchen, keine externen Stellen einzuschalten, denn dadurch macht man die Situation oft nur noch schlimmer. Das Thema ist sehr sensibel. Wir möchten die Jugendlichen dazu ermutigen, sich selbst Hilfe zu suchen“, erklärt Lanz.

Auch der Schutz der Daten ist den Betreibern sehr wichtig, um das Vertrauen nicht zu missbrauchen. Lanz: „Alle Datenschutzrichtlinien werden eingehalten. Wir kennen nur die Telefonnummer der Person, die uns schreibt, die brauchen wir für die Verarbeitung, die sehen die Beraterinnen und Berater aber nicht. Ansonsten haben wir nur die Informationen, die uns die Menschen geben. Sie können uns im Chat ihren echten Namen nennen oder einen ausgedachten.“

Die Nachfrage ist mit 4000 Beratungen pro Monat groß

Die Nachfrage in den Chats ist so hoch, dass die Berater manchmal die Anfragen nach Dringlichkeit sortieren müssen, um allen gerecht zu werden. Etwa 4000 Online-Dialoge werden pro Monat über Krisenchat geführt. „Daran sieht man, dass es wirklich genau so etwas wie Krisenchat braucht. Deshalb suchen wir auch noch weitere Unterstützer im Ehrenamt und auch finanziell, damit wir die Kapazitäten weiter ausbauen können“, sagt Lanz. Alle Informationen dazu, wie Sie den Krisenchat unterstützen können, finden Sie unter www.krisenchat.de/mitmachen.