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In Sachen LiebePatchwork-Familie – Werde ich vernachlässigt oder bin ich zu verklemmt?

Lesezeit 4 Minuten
Vater spielt mit zwei Kindern auf der Couch

Der neue Freund versucht, alle in eine Patchwork-Familie zu integrieren. Doch was ist, wenn man sich dabei unwohl fühlt?

In Patchwork-Familien müssen viele Perspektiven, Ansprüche und Bedürfnisse berücksichtigt werden. Katharina Grünewald erklärt, wie das geht.

Ich bin seit einem Jahr mit meinem Freund (46) zusammen und ich liebe ihn sehr. Er hat, wie ich, zwei Kinder im Teenageralter aus einer vorhergehenden Ehe. Bei ihm wohnen die Kinder im Elternhaus, und die Eltern wechseln sich dort wochenweise ab. Für die kinderfreien Wochen hat er ein WG-Zimmer, arbeitet dann sehr viel, und wir sehen uns, wenn es geht. Seine Ex ist in den kinderfreien Wochen bei ihrem neuen Partner in Frankfurt, der in den anderen Wochen manchmal auch mitkommt. Alle verstehen sich gut und verbringen auch Abende miteinander („für die Kinder“). Ich bin immer eingeladen, fühle mich aber zunehmend unwohl. Mein Freund meint, ich sei zu verklemmt, so gehe Patchwork eben. Ist das so? Nadine, 43

Sie beschreiben eine anspruchsvolle (Patchwork-)Familiensituation mit vielen unterschiedlichen Perspektiven, Ansprüchen, Bedürfnissen und einer hochkomplexen Gefühls-Gemengelage.

Katharina Grünewald

Katharina Grünewald

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Wie Sie ja auch schreiben, gibt es verschiedene Modelle in der Patchwork-Organisation:

1. Das Residenzmodell: Die Kinder haben bei einem Elternteil ihren Lebensmittelpunkt und sind in der Regel jedes zweite Wochenende beim anderen Elternteil.

2. Das Wechselmodell: Die Kinder pendeln regelmäßig zwischen Mama zu Papa hin und her.

3. Das Nestmodell: Die Kinder wohnen weiter im Elternhaus, und die Eltern wechseln sich dort wochenweise ab – so wie es Ihr Freund und seine Ex-Frau praktizieren.

Jedes Modell braucht bestimmte Bedingungen, damit es gelingen kann. Beim Nestmodell sind dies unter anderem eine gute Kommunikation und Wertschätzung der Eltern füreinander, damit das „Nest“ liebevoll bleibt. Das scheint bei Ihrem Freund der Fall zu sein.

In das alte Nest einsteigen? Da ist ein „Verklemmtsein“ genau richtig

Meiner Erfahrung nach ist dieses Modell eine gute Möglichkeit für das alte Familiensystem, sich langsam zu differenzieren und achtsam auseinanderzuentwickeln. Die Kinder bleiben im gewohnten Umfeld, erfahren dort Sicherheit und Beständigkeit mit jeweils einem Elternteil.Entstehen aber in den Außenstellen neue „Liebesnester“, gehen also die Elternteile jeweils neue feste Beziehungen ein, ist die Gefahr groß, dass die Energie für das alte Nest geringer wird. Die Schmetterlinge im Bauch und die Sehnsucht, bei dem oder der Liebsten zu sein, beflügeln dann oftmals den Impuls, das Nest aufzulösen und die Kinder mit in die neue Liebe zu integrieren.

Wie Sie es beschreiben, bleibt die Energie Ihres Partners aber zum größten Teil im alten Haus, und genau das spüren Sie. Wahrscheinlich fühlen Sie nicht die frohflackernde Liebe einer neuen Beziehung. Das kann ich gut verstehen, schließlich will man als Geliebte Zeit und Freiraum mitgestalten, vielleicht selbst ein „Patchworknest“ bauen und sich nicht an die Kinder des Freundes oder gar die Liebe der Ex anpassen müssen. Da ist ein „Verklemmtsein“, wie Ihr Freund es nennt, sehr richtig, wenn es darum geht, in dieses alte Nest mit einzusteigen. Wie gehen Sie nun als neues Patchworkpaar gut damit um?

Drei Schritte: So meistern Sie die Patchwork-Situation

1. Raus aus der Klemme: Ihre Perspektive braucht Raum und Berechtigung! Die Herausforderung wird es sein, es so in Ihrer Beziehung zu behandeln, dass es kein Vorwurf oder gar Angriff für Ihren Freund bedeutet. Sondern einfach Ihre Befindlichkeit. Was brauchen Sie, um sich als Geliebte auch im Kreise der Kinder sicher zu fühlen?

2. Perspektivwechsel: Wie ist die Perspektive Ihres Freundes? Wie fühlt er sich? Wo ist er vielleicht in seinem Schuldgefühl seinen Kindern gegenüber gefangen? Was braucht er, um verantwortungsvoll den Schritt in Ihre neue Liebe gehen zu können? Und seine Kinder dabei sicher zu führen?

3. Verbunden bleiben: Wichtig in Ihrem Patchworkprozess ist es nun, die Perspektive des/der anderen mitzufühlen und als Paar verbunden zu bleiben, ohne die eigene Position aufzugeben. Das ist die hohe Kunst. Wenn das gelingt, wächst Ihre Basis für ein neues Zuhause. Und schrittweise wird sich die Situation verändern.

Das Nestmodell ist eine Übergangslösung. Vielleicht überlegen Sie gemeinsam, welche Schritte für Sie als neue Patchworkfamilie möglich sind. Dabei sind kleine Schritte und provisorische Lösungen unabdingbar. Nutzen Sie die Familienintelligenz und beziehen Sie Ihre Kinder mit ein! Sie als Paar brauchen viel Mitgefühl, Großzügigkeit und Geduld. Und die Kinder profitieren von Ihrem Prozess: Sie lernen, wie wichtig Befindlichkeiten für eine Liebe sind und wie durch einen liebevollen Umgang damit eine gute Grundlage für eine ganze Familie entstehen kann.


Unser Experten-Team beantwortet Ihre Fragen in der Zeitung: die Psychotherapeuten Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner, die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald, Sexualberaterin Gitta Arntzen sowie der Urologe Volker Wittkamp. Ihre Zuschriften werden anonymisiert weitergegeben. Schicken Sie Ihre Frage an: in-sachen-liebe@dumont.de.