„Papa heißt Nina“Was es für die Familie heißt, wenn der Vater plötzlich als Frau lebt
Letztens ist Nina wieder angespuckt worden, als sie in Lemgo (Ostwestfalen) mit Stöckelschuhen auf dem Weg zum Einkaufen war. Sie ging einfach weiter, als hätte sie nichts gemerkt. Natürlich spürte sie die abfälligen Blicke, aber das kennt sie ja schon. Andere werfen sogar Bierflaschen nach ihr. Oder stieren sie an, als wäre sie ein Alien. Eine Andere eben. Ein Mann in Frauenkleidern. So jedenfalls lästern sie.
Nina (45) ist transsexuell oder besser transident. So heißt es im Fachjargon. Oft wird es als Gefangenschaft im eigenen Körper beschrieben. Für die gelernte Mediengestalterin ist es eigentlich ganz einfach: Sie ist eine Frau. Nur leider mit dem falschen Geschlecht.
Coming-out: Warum die Wahrheit so lange brauchte
Bis vor sechs Jahren lebte sie ihre männliche Rolle. Denn für ihr Coming-out brauchte sie eine lange Zeit. Sie hatte auch viel zu verlieren. Eine Ehefrau und zwei Söhne. „Irgendwann konnte ich nicht mehr, wollte nur noch reinen Tisch machen“, sagt Nina. Sie gestand ihrer Ehefrau Jane alles. „Wir haben danach eine sehr schwere Zeit durchgemacht.“ Aber: Ihre Frau verließ sie nicht. „Wir haben beschlossen, sehr offen damit umzugehen – auch unseren Söhnen gegenüber.“
Ihre Kinder sind sechs und acht Jahre alt. Für sie war die gebürtige Österreicherin fortan Papa, aber auch Nina. Eine Frau Papa, die kocht und in der Elternvertretung an der Schule mitmischt. Zudem anfing, als freie Autorin ihren Blog „Fraupapa“ zu schreiben. Darin schildert sie, wie sie täglich mit Vorurteilen oder Anfeindungen zu kämpfen hat. „Viele können nach wie vor nicht damit umgehen“, sagt sie. Ihre Eltern beispielsweise. „Mein Vater redet seit meinem Coming-out nicht mehr mit mir.“ Ihre Mutter versuche, damit klarzukommen. Es gelinge ihr aber nicht immer.
„Ich wusste immer, dass ich ein Mädchen bin.“
Nina ist in einem österreichischen Dorf aufgewachsen. Dort hatte man nicht anders zu sein. „Ich wusste immer, dass ich ein Mädchen bin, habe mir Zöpfe geflochten und Schürzen umgebunden.“ Bis ihre Mutter sie ermahnte: „Du hast nun mal einen Penis, finde dich damit ab, wenn du nicht willst, dass alle über dich lachen.“ Nina, die vor zwei Jahren ihren Jungennamen Norbert beerdigte, fügte sich. „Ich habe meine männliche Rolle sehr gut gespielt.“ Ein wahres Alpha-Männchen sei sie gewesen.
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Wenn da nur nicht immer die Depressionen gewesen wären. Das Gefühl, ein falsches Leben zu führen – und das ewige Leugnen. „Es hat mich kaputt gemacht“, sagte sie. Und was war nach ihrem Coming-out der schwerste Schritt? „Öffentlich dazu zu stehen.“ Die Reaktionen, die sie bekam, bestätigten sie. „Ich bin aber nicht darüber verbittert. Was ich allerdings gar nicht leiden kann, wenn es im Beisein meiner Kinder ausgetragen wird.“ Oder man sie frage, wie sie das ihren Söhnen antun könne.
„Das habe ich immer wieder gehört.“ Dabei tue sie ihren Kindern nichts an. „Sollen sie mit Lügen aufwachsen. Ist das etwa besser?“ Am schlimmsten aber sei der Kampf mit der Krankenkasse. Nina: „Erwachsene Transmenschen dürfen nicht über ihren Körper bestimmen. Ärzte, Gutachter, Psychologen entscheiden, unter dem Deckmantel des Patientenschutzes, oft komplett gegen die Betroffenen.“
Eine Brusthaarentfernung beispielsweise bekommt sie derzeit nicht genehmigt. Und ob sie sich irgendwann einmal einer Geschlechtsumwandlung unterziehen kann, ist ebenso noch fraglich. „Manchmal verzweifle ich darüber“, sagt sie. Aber sie habe inzwischen Übung darin, anders zu sein und trotzdem zu überleben...