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Nicht im StraßenverkehrAn welchem Ort Kleinkinder größten Gefahren ausgesetzt sind

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Ist das Unglück passiert, sind die Kinder oft untröstlich - Eltern sollten die lauernden Risiken kennen. (Symbolbild)

Berlin – Für Kinder ist die Küche wie ein Zauberkasten. Da gibt es Dinge zu entdecken, mit denen überraschende und meist leckere Sachen entstehen. Spannend sind die hintersten Ecken im Schrank. Dazu muss man ihn nur ausräumen.

Eltern unterschätzen Risiken in der Küche

Und die ulkigen Maschinen erst. Die eine rührt von alleine, in der anderen blubbert es. Man muss nur auf den Knopf drücken. Und dieser Brummkasten erst, der alles klein haut, was Papa so reinstopft. „Das kann ich auch!“, denkt sich so mancher Zwerg und ahnt gar nicht, in welche Gefahr er sich dabei mitunter begibt. Eltern unterschätzen dieses Risiko allerdings ebenso oft.

„Geht es um Gefahren, denkt man zuerst immer an den Straßenverkehr. Oder man hat die Vorstellung, dass seinem eigenen Kind etwas angetan werden könnte. Aber dass die größten Gefahren zu Hause lauern, hat man gar nicht im Blick“, sagt Susann Rüthrich, die Vorsitzende der Kinderkommission des Deutschen Bundestages.

Rüthrich kennt viele Szenarien, die schnell schlimme Folgen haben können. Etwa eine heiße Tasse, die sich über dem Hochstuhl ergießt, weil man sich nur einen kurzen Augenblick weggedreht hat. Oder die scharfen Messer, die ein Kind nicht sieht, wenn es von unten in die Besteckschublade greift. „Schlimme Folgen können auch Chemikalien auslösen, die so bunt aussehen wie Spielzeug oder Bonbons.“

Zwei Drittel aller Unfälle von Kleinkindern passieren im Haushalt

Laut einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) „Mehr Sicherheit für Kinder“ sagen 64 Prozent der Eltern, dass das eigene Kind in der eigenen Wohnung nicht gefährdet sei. Aus Sicht von Stefanie Märzheuser ist das jedoch eine Fehleinschätzung. „Die Studienlage zeigt, dass knapp zwei Drittel der Unfälle von Kleinkindern im häuslichen Umfeld passieren“, erklärt die Kinderchirurgin von der Charité Berlin.

Der Wasserkocher sei eine der höllischen Gefahren in der Küche. „Meist erreicht das Kind das Kabel. Wenn es daran zieht, fällt der Kocher vom Küchentisch, und der Inhalt übergießt das Kind“, erklärt Märzheuser. Das Kabel der Maschine sollte darum immer nach hinten weg geführt werden und nicht herunterhängen.

Nicht viel besser sieht es beim Backofen aus. Bei modernen Modellen werde zwar die Tür nicht mehr heiß, aber bei älteren Modellen drohen Verbrennungen. Und natürlich auch, wenn das Kind es schafft, die Tür zu öffnen. Heiß ist nicht nur die Röhre, sondern auch Auflauf oder Braten. Türsperrriegel könnten zumindest das Öffnen verhindern.

Verbrennungen als große Gefahr in der Küche

Gar nicht sehen, wohin sie fassen, können kleine Kinder bei der Herdplatte. Das Schlimme daran sei, so Märzheuser, dass Kinder bis zum fünften Lebensjahr kaum in der Lage sind, zu registrieren, dass etwas heiß ist und dass sie das Händchen sofort wegzuziehen müssten. „Diese Verknüpfung im Denken kommt erst später“, klärt die Expertin auf. Deshalb ihr Rat: „Nur die hinteren Herdplatten benutzen und den Stiel der Pfanne immer nach hinten drehen. So kann sich das Kind nicht damit übergießen.“

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An einem Modell einer überdimensionierten Küche bekommen Erwachsene eine ganz neue Perspektive auf die Küche - nämlich die von Kindern.

Generell sollten Gefäße mit heißer Flüssigkeit nie am Rand des Tisches oder der Arbeitsplatte stehen. „Der Inhalt einer Tasse reicht aus, 20 Prozent der Körperoberfläche zu verbrühen“, sagt Märzheuser. „Damit landet das Kind nicht nur in der Rettungsstelle, sondern auf der Intensivstation.“ Kinderhaut reagiere empfindlicher als die von Erwachsenen. Schon eine Temperatur von 80 Grad genüge, um schwerwiegende Verletzungen zu verursachen.

Um solche Unfälle auszuschließen, hat Andreas Kalbitz im eigenen Haushalt und dem der Großeltern Tischdeckenverbot erteilt. „Unser Kind ist 16 Monate alt und zieht an allem“, sagt der Geschäftsführer der BAG. Er merke nun auch, wie wichtig Kindersicherungen für alle Steckdosen sind, erzählt er. „Es ist erstaunlich, was für einen Reiz Steckdosen ausüben. Die werden immer wieder mit den Händchen - wenn möglich noch nass - oder einer Nadel untersucht.“ Wie ein Stromschlag endet, mag er sich gar nicht ausdenken.

Gefahrenquellen mit Kindern entdecken

Nicht nur die Steckdose selbst, sondern auch die Schnur einer Steckdosenleiste auf dem Boden birgt Gefahr - Kinder können leicht darüber stolpern. Spritzwasser und Fett auf dem Boden wiederum sorgen für Rutschgefahr. Oft brechen sich laut Märzheuser die Kleinen bei Stürzen den Ellenbogen. Dadurch seien gleich drei große Nerven betroffen, die die Hand koordinieren, so die Chirurgin.

Weit weg und an abschließbare Orte sollten in der Küche eines Kinderhaushalts Dinge wie Spülmaschinenpads oder Reinigungsmittel verschwinden - es drohen schlimmste Verätzungen der Speiseröhre. Dem Vorwurf, dass etwa Waschmittel-Pods und -Caps blöderweise so bunt und attraktiv aussehen, kann sich die Medizinerin aber nicht anschließen. „Kinder stecken in einer bestimmten Altersgruppe alles in den Mund - völlig egal, wie es aussieht“, sagt sie.

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Die Hüllen seien sicherheitshalber aus sehr bitteren Stoffen hergestellt. „Dadurch spucken die Kinder, die darauf herumkauen, schnell alles wieder aus“, so Märzheuser. Dennoch seien Hautreizungen oder Erbrechen nicht ausgeschlossen.

Weil es nicht immer beim Kind ankommt, nur über Gefahren zu reden, bestärkt sie Eltern, schon von klein auf mit dem Nachwuchs Gefahren auszuprobieren. Das geht etwa durch gemeinsames Schneiden mit dem Messer oder dem Umfüllen von heißen Flüssigkeiten. Stets unter Aufsicht. „Wir sollten aus Kindern Sicherheitsexperten machen, aber keine ängstlichen Schisser.“ (dpa/tmn)