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Anton gut, Horst nichtWas macht einen Vornamen beliebt und was unbeliebt?

Lesezeit 8 Minuten
Ein Baby guckt staunend.

Wie wollt ihr mich nennen?! 

Ein Baby kommt auf die Welt, ein Vorname wird vergeben – und selbst der Kollege vom Freund der Familie hat eine Meinung dazu. Die Reaktionen reichen von „So heißen doch alle!“ bis zu „Was ist DAS denn für ein Name?!“ Später bilden Mitschüler Quatschlieder daraus oder man wird in die Kevin- oder Schantall-Schublade gesteckt, weil man eben so heißt und nicht anders. Eins ist auf jeden Fall sicher, Namen sind ganz und gar nicht Schall und Rauch. Das setzt Eltern auf Namenssuche ganz schön unter Druck. Ein Gespräch mit den Namensexperten Knud Bielefeld und Annemarie Lüning.

Emma, Ben und Paul – warum bleiben manche Namen so lange ganz oben in den Hitlisten?

Knud Bielefeld (B): Es stimmt, Namensmoden halten sich eine Weile. Etwa zehn bis 20 Jahre dauert es, bis ein Name in die Top Ten kommt und wieder rausfällt. Etwas weiter betrachtet ändern sich Namensfavoriten aber auch regelmäßig wieder. Vor 50 Jahren waren ganz andere Namen beliebt als heute. Es gibt immer wieder neue Vornamen, die in Deutschland noch nie dagewesen sind. Und manche Namensmoden kommen auch zurück. Heute sind viele beliebt, die vor 100 Jahren schon einmal angesagt waren.

Was macht die Namen aus, die heute so beliebt sind?

B: Man kann nicht sagen, dass alle etwas gemeinsam haben, denn jeder heute beliebte Name hat ja eine ganz individuelle Entwicklung genommen. Und doch ist es tendenziell zum Beispiel so, dass die Namen über die Jahrzehnte hinweg immer kürzer geworden sind. Das lässt sich auch statistisch belegen.

Annemarie Lüning (L): Von den 20 Namen, die gerade in der Top Ten stehen, sind die meisten zweisilbig. Das ist schon auffällig. Längere Namen finden sich in der Mehrzahl erst weiter unten.

Weshalb gibt es mehr kurze Jungen- als kurze Mädchennamen?

L: Schwer zu sagen. Vielleicht spielt da ein Geschlechterbild mit hinein. Man möchte bei Jungs dann eher etwas Knackiges und Zackiges haben wie Tom und bei Mädchen etwas Liebliches wie Rosalie.

Gefühlt hört man auch sehr viele Mädchennamen, die mit „a“ enden…

L: Ja, es gibt eben Vokale, die beliebter sind als andere. Namen mit „a“, „e“ und „i“ sind angesagt. Namen mit „u“ wie Ulf, Udo und Knud kommen eher nicht hoch. Auch Namen mit l-Lauten und so genannte „Lall-Namen“ wie Lilli und Lia, die auch schon ein kleines Kind aussprechen kann, treffen gerade den Geschmack von vielen Leuten.

Warum erfahren manche ältere Namen wie Paul und Anton ein Comeback, und andere wie Horst oder Heinz nicht?

Knud Bielefeld

Knud Bielefeld (54 Jahre) ist einer der bekanntesten Namensexperten in Deutschland. Jedes Jahr wertet er Geburtsmeldungen aus und stellt auf seiner Seite beliebte-vornamen.de die häufigsten Babynamen in Hitlisten vor.

B: Es gibt tatsächlich auch Namen, die nicht mehr in Mode kommen. Kinder von heute heißen nicht Waldemar oder Theoderich. Speziell bei Horst gibt es ein so genanntes Konsonanten-Cluster, also eine Ansammlung von Konsonanten in einem Wort, und solche Namen sind grundsätzlich eher unbeliebt.

Vor allem aber suchen Eltern von heute einen Namen, der ihnen frisch vorkommt. Und das sind eben nicht die Namen, die noch in der eigenen oder vorangegangenen Generation vorkommen. Ich nenne meinen Sohn ja nicht Thorsten oder Michael, wie meine ehemaligen Klassenkameraden.

Aber irgendwann heißen dann die Babys wieder Claudia, Michael und Petra?

B: Ich denke ja, wahrscheinlich so in 30 bis 40 Jahren. Dann kennen die zukünftigen Mütter und Väter wohl kaum jemanden mehr aus der Generation, die diese Namen heute tragen, sie haben keine Assoziationen mehr zu Michael oder Silke. Deshalb kann es gut sein, dass diese Namen wieder verwendet werden. Ob sie wirklich aufgegriffen werden, das hängt allerdings von den Namensmoden der Zukunft ab.

L: Genau. In 40 Jahren werden sicher nicht alle Stefan heißen. Es gibt ja viele Einflüsse für Namenstrends.

Durch was werden Namensmoden zum Beispiel beeinflusst?

Annemarie Lüning

Annemarie Lüning (50 Jahre) ist hauptberuflich Redakteurin und schreibt seit vielen Jahren über das Thema Vornamen. Zusammen mit Knud Bielefeld hat sie mehrere Namensbücher veröffentlicht.

L: Es gibt Einflüsse aus dem Ausland und natürlich aus der Kulturszene und den Medien. Ich denke an den Namen Smilla, den es eigentlich in Deutschland nicht gab. Er wurde extra für das Buch „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ erfunden und danach auch als Vorname hier bekannt. Fernsehserien wie „Game of Thrones“ oder „Modern Family“ prägen den Geschmack, vor allem bei jüngeren Eltern. Welche Sendungen Eltern bei der Namensgebung inspirieren, das kann man vorher aber natürlich schlecht vorhersehen.

Seit einiger Zeit werden auch gerne Namen aus Astrid Lindgrens Büchern vergeben, die die jetzige Elterngeneration total geprägt hat. Sie verbindet damit eine Kindheits-Idylle, die sie gerne weitergeben würde, nach dem Motto: „Wäre es nicht schön, wenn unsere Kinder aufwachsen könnten wie in Bullerbü – unbeeinflusst von Klimakatastrophe und Corona?“

Wie ist es mit den Namen von Politikern und Sportlern?

B: Bei Sportlern gibt es das. Jemand wie Mats Hummels hat den bereits bekannten Namen Mats sicher noch beliebter gemacht. Und Noah gibt es in Deutschland zum Beispiel, seit Boris Becker damals seinen Sohn so genannt hat. Inzwischen ist der Name auf Nummer eins geklettert. Politiker sind meistens etwas älter, deshalb sind die Namen nicht so in aller Munde.

Warum stürzen manche Namen denn in der Gunst plötzlich ab?

B: Auf einmal abgestürzt seit letztem Jahr ist zum Beispiel der Name Greta. Viele Eltern wollten eben nicht, dass ihr Kind mit Greta Thunberg, also diesem berühmten Namensvorbild, assoziiert wird. Auch der Name Alexa ist gefallen, nachdem das berühmte Spracherkennungsgerät aufkam. In letzter Zeit gibt es immer mehr Werbung für eine Matratze namens Emma – ich bin gespannt, ob das den Namen verdrängen wird.

Sie haben ein neues Buch über norddeutsche Namen geschrieben und sagen, die sind auch für den Rest der Republik wegweisend…

Buchtipp

Cover des Buches „So will ich heißen!“

In ihrem neuen Buch „So will ich heißen! Das norddeutsche Namensbuch“ stellen Knud Bielefeld und Annemarie Lüning 172 Vornamen vor, die im Norden besonders beliebt sind.

B: Ja, es ist oft so, dass sich Namen von Norden nach Süden ausbreiten. Ich habe ein paar Statistik-Experimente gemacht und beobachtet, dass Vornamen häufig in Norddeutschland neu etabliert werden. Finn zum Beispiel ist zuerst in Schleswig-Holstein aufgetaucht und jetzt überall bekannt. Im Norden hat man natürlich mehr Bezugspunkte zu friesischen oder skandinavischen Namen und die sind sehr vielfältig und bei Eltern generell beliebt – anders als etwa bayerische Namen wie Xaver oder Korbinian, die sich kaum verbreiten.

Sind Eltern bei der Namensgebung eigentlich kreativer geworden in den letzten 50 Jahren?

B: Heute scheint es ein Trend zu sein, einen möglichst individuellen Namen haben zu wollen. Ich wurde auch schon gefragt, ob es möglich wäre, den Vornamen des Kindes zu schützen, damit ihn niemand anderer verwenden darf. Viele Eltern spüren den Druck des Freundeskreises, ihre Individualität ausleben zu müssen. Einige denken sich tatsächlich einen neuen Namen aus, basteln zwei Namen zusammen oder verändern die Rechtschreibung. Dabei macht es einen Namen nicht unüblicher oder besser, wenn er anders geschrieben wird.

Ich finde, ein Kindername ist nichts, woran sich die Eltern kreativ ausleben sollten. Im Vordergrund stehen sollte, wie das Kind mit diesem Namen zurechtkommt. Es lebt sein ganzes Leben damit. Und die meisten Kinder sind mit ihrem ausgefallenen Namen gar nicht glücklich. Sie wollen sich einordnen und an ihr Umfeld anpassen.

L: Ich finde es immer gut, wenn der Name gut zu verstehen und zu schreiben ist und das Kind ihn nicht immer buchstabieren muss. Persönlich finde ich es auch schöner, wenn man das Geschlecht sofort erkennen kann. Manche Eltern vergeben aber auch mit Absicht einen neutralen Namen, weil sie nicht wissen, wie ihr Kind sich einmal orientieren wird, im Sinne eines dritten Geschlechts.

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Welche Namen gehen rechtlich gar nicht, gibt es da Richtlinien?

B: Es gibt kein Gesetz, jede Standesbeamtin und jeder Standesbeamte kann selbst entscheiden, ob ein Name zugelassen wird. Allerdings gibt es die Dienstanweisung, dass der Name auch als solcher erkennbar sein sollte. Es wird aber immer leichter, neue Namen zu etablieren. Wenn irgendwo auf der Welt ein Vorname vergeben wird, hat man ein Anrecht darauf, diesen auch in Deutschland zu vergeben. Namen, die hier nur als Männername bekannt waren, können auch als Mädchennamen verwendet werden, wenn sie in einem anderen Kulturraum als solche vorkommen – selbst wenn sie ganz anders ausgesprochen oder geschrieben werden. Das macht die Namensvielfalt noch größer.

Namen sind ja bekanntlich Geschmackssache und deshalb auch oft ein Auslöser für Streit…

L: Absolut. Es gibt keinen Namen, der allen gefällt. Im Netz gibt es verschiedene Lager. Die einen feiern amerikanische Namen, die anderen finden traditionelle altdeutsche Namen super. Beide Gruppen verstehen sich nicht besonders gut, in den Foren gehen die Leute teilweise richtig aufeinander los. Deshalb ist mein Tipp bei der Namenssuche im Internet, erst einmal zu schauen, welchen Tenor die Gruppen haben, sonst erfährt man womöglich riesigen Gegenwind. Grundsätzlich finde ich es aber hilfreich, sich über die Bedeutung eines Namens zu informieren und Meinungen zu den eigenen Lieblingsnamen im persönlichen Umfeld einzuholen.

Wie groß ist dabei der Einfluss der älteren Familienmitglieder?

B: In einigen Familien ist es heute noch Tradition, dass der Name der Vorfahren, Großeltern oder Paten immer in die nächste Generation weitergegeben wird, manchmal auch als Zweitname. Die meisten werdenden Eltern sind aber frei von solchen Einflüssen und beziehen ihre Familie bei der Namenssuche auch gar nicht ein.

L: Das hat auch Gründe. Die heutige Großeltern-Generation findet es oft befremdlich, dass kleine Kinder wieder Namen aus der Urgroßeltern-Generation tragen. Als meine Mutter einmal mit meiner Tochter beim Kinderturnen war, hat sie nur noch gestaunt über die kleinen Gretas und Paulas. Sie sagte: „Wenn wir so geheißen hätten, das wäre eine Strafe gewesen!“