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Viel Urlaub, ständig krankEhrliche Antworten von Lehrern auf 7 typische Vorurteile

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Lehrer haben doch echt ein laues Leben. Oder? In der Corona-Krise 2020 sind die Vorurteile gegenüber Lehrkräften wieder lauter geworden. 

  1. 12 Wochen Urlaub, freie Nachmittage, aber ständig krank: Vorurteile über Lehrerinnen und Lehrer gibt es viele.
  2. Wir haben acht Lehrer aus Köln und der Region mit klassischen Vorurteilen über ihren Beruf konfrontiert.
  3. Hier lesen Sie die anonymen, aber dafür sehr ehrlichen Antworten.

Köln – Als „faule Säcke“ hatte Gerhard Schröder Lehrerinnen und Lehrer vor vielen Jahren einmal bezeichnet – und damit all jenen aus der Seele gesprochen, die Lehrer für ihre Verbeamtung und die vielen Ferien beneiden. Und seit Beginn der Corona-Pandemie gibt es wieder vermehrt Kritik an Lehrkräften und ihrem Verhalten im Distanz-Unterricht. Doch haben Lehrer wirklich einen so entspannten, sicheren und gut bezahlten Job? Wir haben Lehrerinnen und Lehrer mit klassischen Vorurteilen konfrontiert – und sehr ehrliche Antworten bekommen. Im Übrigen: Sein Zitat hat der Altkanzler im Sommer diesen Jahres relativiert.

„Ihr habt ja nur Ferien – ich hätte auch gerne 12 Wochen Urlaub im Jahr.“

Lehrerin, Gesamtschule: Wenn das so ist, hättest du ja auch Lehrer/in werden können. Irgendwas hat dich aber offensichtlich davon abgehalten. Denk mal darüber nach!

Lehrerin, Grundschule: Mindestens vier Wochen der Ferien müssen für Nach- und Vorbereitung abgezogen werden. Hinzu kommen Präsenzzeiten in der Schule,etwa die letzte Woche der Sommerferien. Außerdem benötigt man Zeit, um den Klassenraum aufzuräumen und zu putzen (ja, das mache ich selbst!), Materialien zu sortieren und so weiter.

Lehrer, Gymnasium: In den weiterführenden Schulen ist ein Großteil der „Ferien“ (außer im Sommer) von Korrekturarbeiten geprägt. Da viele Arbeiten vor Beginn der Ferien geschrieben werden, nimmt man die Stapel mit in die Ferien. Ein erfahrener Kollege braucht für einen Oberstufenkurs mit 20 Schülern etwa 20 Stunden, um die Klausuren zu korrigieren.

„Von wegen Nine-to-Five-Job: Lehrer haben doch jeden Nachmittag frei.“

Lehrer, Gymnasium: An meiner Schule, die im „gebundenen Ganztag“ ist, beginnt der Unterrichtstag um 8 Uhr. Die letzte Stunde endet (natürlich nicht immer und für alle) um 16.20 Uhr. Vor- und Nachbereitung sowie Korrekturarbeiten müssen also im Anschluss an den Schultag zu Hause stattfinden.

Lehrer, Realschule: Ich habe häufig nachmittags frei, aber ich fange jeden Tag um 7 Uhr an. Wenn man ab 8 Uhr sechs Unterrichtsstunden am Stück hat, weiß man, was man getan hat. Ich empfehle allen Neidern mal 30 Kinder 45 Minuten lang sinnvoll zu beschäftigen – da wären einige überfordert. Die Vor- und Nachbereitung erfolgt dann übrigens abends oder am Wochenende, wenn andere nicht mal an ihren Job denken.

„Am Nachmittag Unterricht vorbereiten? Ihr unterrichtet doch jedes Jahr nach Schema F.“

Lehrer, Gymnasium: Das wäre schön. Tatsächlich ändern sich die Vorgaben ständig. Immer wenn man gerade meint, man habe dieses „Schema F“ gefunden, werden Vorgaben und Curricula aus den vielfältigsten Gründen geändert.

Lehrerin, Grundschule: Ja es gibt Unterrichtsmaterial, das man wiederverwenden kann, doch gerade in der Grundschule muss das Material immer wieder auf die individuellen Fähigkeiten der Kinder angepasst werden.

Lehrer, Gymnasium: Ich verweise auf die Internetseite „Standardsicherung.nrw“. Da kann man die inhaltlichen Vorgaben für die ZP 10 und die Abiturprüfungen der kommenden drei Jahrgänge bestaunen. Ich muss jedes Mal neu überlegen und sortieren, welcher Stoff in welchem Umfang in einem Jahrgang durchgenommen werden soll. Vorgabenkonform natürlich.

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„A11, A12, A13: Als Beamte bekommt ihr ein gutes Gehalt, das regelmäßig ansteigt. Wisst ihr, wie es ist, ums Geld zu feilschen?“

Lehrerin, Gesamtschule: Nein, das weiß ich nicht. Aber wisst ihr, wie es ist, einen extrem anstrengenden Job zu machen, der gesellschaftlich nicht geschätzt wird?

Lehrer, Gymnasium: Oh, doch. Mag sein, dass halbwegs Ruhe ist, wenn man die Stelle einmal hat. Aber sie zu bekommen, ist harte Arbeit.

Lehrerin, Grundschule: Nein. Aber: Ich habe wie meine Kollegen vom Gymnasium fünf Jahre studiert und Referendariat gemacht. Trotzdem bekomme ich weniger Geld.

Lehrer Gymnasium: Wir bekommen ein hohes Einstiegsgehalt, danach stagniert es vor sich hin. Fehlender Leistungsbezug der Bezahlung nervt auf Dauer.

„In der freien Wirtschaft gibt es fast nur befristete Verträge – ihr habt einen Job auf Lebenszeit. Da kann man sich auch mal krank schreiben lassen.“

Lehrerin, Hauptschule: Lehrer sind öfter krank als andere Berufsgruppen. Das ist auf die Art unserer Arbeit zurückzuführen. Insbesondere an Brennpunktschulen sind wir als Lehrpersonen immer an der Front, müssen zu hundert Prozent präsent sein, kämpfen mit bürokratischen Hürden, werden von Schülern oder Eltern bedroht, entweder mit dem Anwalt oder körperlich und psychisch. Diese Konflikte, aber auch die Probleme der Schüler nimmt man oft mit nach Hause, hat also nie wirklich frei. Da lässt der Burnout nicht lange auf sich warten.

Lehrerin, Grundschule: Ich lasse mich nur krankschreiben, wenn es mir wirklich schlecht geht. Dann sitze ich zu Hause und habe ein schlechtes Gewissen gegenüber meiner Klasse und den Kolleginnen. Deswegen bereite ich Vertretungsunterricht vor und versuche so gut es geht zu helfen.

„Während des Lockdowns haben Eltern eure Arbeit übernommen. Ihr hattet frei und habt nur ein paar Arbeitsblätter rumgeschickt.“

Lehrerin, Grundschule: Ich kann nicht abstreiten, dass ich in der Zeit der Schulschließung etwas länger geschlafen habe. Trotzdem gab es viel zu tun: Material vorbereiten und rumschicken, einmal pro Woche mit allen Eltern und Kindern telefonieren. Außerdem habe ich Lern-Videos gedreht.

Lehrer, Gymnasium: Es gab ein paar schwarze Schafe. Aber davon abgesehen: An einigen Schulen war die digitale Ausstattung bereits gut, an anderen nicht. Es sollte aber alles sofort in Vollversion, Highspeed und selbstverständlich zum Nulltarif aus dem Hut gezaubert werden.

Lehrer, Gymnasium: Ich möchte diesen Vorwurf an ein paar Eltern zurückgeben: Wir als Schule übernehmen zu oft die Erziehungsarbeit der Eltern, weil diese ihren Kindern keine Sicherheit, Stabilität und Orientierung bieten.

„Viele Frauen werden Lehrerin, weil sich das gut mit Familie vereinbaren lässt: Junge Lehrerinnen arbeiten, bis sie verbeamtet sind und bekommen dann Kinder.“

Lehrerin, Hauptschule: Und das ist richtig so! Vielleicht sollte sich die freie Wirtschaft mal ein Beispiel am Beamtentum nehmen. Die Vereinbarung von Familie und Beruf sollte in allen Sparten so unkompliziert funktionieren wie im Lehrerberuf.

Lehrer, Gymnasium: Wenn Frau Abitur gemacht, studiert, ein Referendariat absolviert, eventuell noch als Vertretungskraft unterrichtet und dann eine verbeamtete Stelle bekommen hat, ist sie meist in einem Alter, in dem es zur Familiengründung kommt. Das ist jetzt aber keine neue Erkenntnis, oder?

Lehrerin, Grundschule: Das ist schlicht diskriminierend gegenüber Frauen im Berufsleben. Eine weise Kollegin über 70 sagte einmal zu mir: „Wenn du im Rahmen von Schule versuchst, den richtigen Zeitpunkt für eine Schwangerschaft zu planen, wirst du nie schwanger.“