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In Sachen LiebeIch habe einen Rassisten in der Familie – Wie kann ich damit umgehen?

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mann sitzt neben einer Frau auf einer Couch

Wer beim Familientreffen neben einem Rassisten sitzt, möchte vielleicht etwas sagen – aber auch den Familienfrieden nicht gefährden.

Wer auf extreme Positionen reagieren will, begibt sich in ein Spannungsfeld. Carolina Gerstenberg erklärt, wie das klappt.

In der Familie meines Mannes ist ein AfD-Wähler, der aus seiner Parteipräferenz und aus seinen Ansichten – zum Beispiel über Flüchtlinge, Ausländer usw. – kein Hehl macht. Das ist zum Teil blanker Rassismus und für mich kaum auszuhalten. Trotzdem bin ich „um des lieben Friedens willen“ still, auch weil ich weiß, dass meine Schwiegereltern keinen Streit über Politik haben wollen. Halten Sie das für richtig? Manchmal komme ich mir inzwischen feige vor. Manchmal denke ich aber auch, ich sollte einfach wegbleiben.Anja, 40 Jahre

Auf Familienzusammenkünften kann es zu politischen Diskussionen kommen. Differenzen sind keine Seltenheit, vor allem wenn es um kontroverse Themen geht. Vertritt ein Familienmitglied offen rassistische Ansichten und identifiziert sich stark mit einer Partei, die wegen ihrer Positionen zu Flüchtlingen und Ausländern oft im Zentrum solcher Debatten steht, kann das für die Angehörigen emotional sehr belastend sein. Die Frage, wie man in solchen Situationen reagieren sollte, ist komplex – sie bewegt sich genau in dem Spannungsfeld zwischen persönlicher Integrität und familiärem Frieden, das Sie beschreiben.

Konfliktvermeidung als Strategie?

Es ist nachvollziehbar, dass Sie aus Rücksicht auf den Familienfrieden versuchen, politische Diskussionen zu vermeiden. In vielen Familien werden solche Themen bewusst umgangen, da man befürchtet, dass sie die Harmonie stören und Beziehungen langfristig belasten könnten. Gerade bei heiklen Themen wie Migration oder Integration besteht die Gefahr, dass Gespräche eskalieren, wenn extremere Ansichten vertreten werden. Es liegt also nahe, sich zurückzuhalten, insbesondere wenn Sie spüren, dass auch andere Familienmitglieder, wie Ihre Schwiegereltern, kein Interesse an politischem Streit haben.

Das Schweigen mag wie ein Kompromiss wirken, um die familiäre Einheit zu wahren. Doch wenn dabei das Gefühl aufkommt, eigene Werte zu unterdrücken, kann dies auf Dauer belastend sein. Es ist nur allzu menschlich, sich in solchen Momenten „feige“ zu fühlen, wenn man es unterlässt, problematischen Ansichten zu widersprechen, obwohl sie einem gegen den Strich gehen.

Der Preis des Schweigens

Politische Meinungen sind tief mit unseren moralischen Überzeugungen verknüpft. Wenn Sie still bleiben, obwohl Sie im Inneren heftig gegen die geäußerten Ansichten ankämpfen, kann das langfristig an Ihrem Selbstwertgefühl nagen. Sie fühlen sich dann vielleicht nicht nur „feige“, sondern beginnen, Ihren eigenen moralischen Kompass infrage zu stellen. Zudem könnte Ihr Schweigen auch als stillschweigende Zustimmung wahrgenommen werden und Ihren inneren Konflikt verstärken.

Gibt es Alternativen?

Eine offene Konfrontation muss nicht immer die Folge sein. Manchmal reichen schon kleine, ruhige Einwürfe, um zu zeigen, dass Sie anderer Meinung sind, ohne den Familienfrieden zu gefährden. Bei klar rassistischen Äußerungen könnten Sie beispielsweise sachlich entgegnen: „Ich sehe das anders, weil...“ oder „Ich denke, wir sollten uns da genauer informieren, bevor wir Urteile fällen.“ Solche Bemerkungen können signalisieren, dass es auch andere Perspektiven gibt, ohne den anderen anzugreifen. Wichtig ist dabei, ruhig und respektvoll zu bleiben, auch wenn das Gegenüber provokant auftritt. Das Ziel ist nicht, jemanden um jeden Preis zu überzeugen, sondern klarzustellen, dass es alternative Ansichten gibt. So könnten sich auch andere Familienmitglieder ermutigt fühlen, ihre Meinungen zu äußern.

Die Entscheidung fernzubleiben

Es bleibt die Möglichkeit, Familienfeiern ganz zu meiden. Wenn Sie innerlich stark belastet sind und merken, dass Schweigen für Sie keine Option mehr ist, könnte ein Rückzug kurzfristig sinnvoll sein. Allerdings ist dies keine langfristige Lösung, wenn Ihnen die Beziehung zur Familie Ihres Partners wichtig ist.

Es gibt kein universelles Rezept für den Umgang mit politischen Konflikten auf Familienfeiern. Wichtig ist, dass Sie für sich selbst abwägen, wo Ihre persönliche Grenze verläuft: Wie viel Harmonie ist Ihnen wichtig? Und wann ist der Punkt erreicht, an dem Sie das Gefühl haben, sich selbst zu verraten? Eine kluge, ruhige Kommunikation kann hilfreich sein. Aber wenn Sie merken, dass das nicht ausreicht, sollten Sie auch den Mut haben, sich abzugrenzen – im Sinne Ihres eigenen Wohlbefindens.


Leserfragen

Unser Team von Expertinnen und Experten beantwortet Ihre Fragen in der Zeitung und online: die Psychotherapeuten Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner, die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald, Sexualberaterin Gitta Arntzen sowie der Urologe Volker Wittkamp. Ihre Zuschriften werden anonymisiert weitergegeben. Schicken Sie Ihre Frage an: in-sachen-liebe@dumont.de