Bestechung, FlehenWas verzweifelte Eltern tun, um eine Hebamme zu bekommen
- Manche Frauen bekommen auf der Suche nach einer Hebamme 80 Absagen, weiß Simone Logar.
- Logar ist selbst Hebamme und zweite Vorsitzende im Berliner Hebammenverband.
- Sie berichtet, wie dramatisch die Situation für Schwangere mittlerweile ist.
Köln – Nach zehn Stunden Dienst geht Maja zum ersten Mal auf die Toilette. Die zwei Liter Spezi melden sich, die sie zum Wachbleiben getrunken hatte. Sieben Geburten liegen hinter der Hebamme – in einer einzigen Nachtschicht.
„Der Mangel an Hebammen spitzt sich in allen Bundesländern zu“
„Wie schlimm, wie gefährlich, dass wir unter diesen Bedingungen arbeiten mussten!“, schreibt Maja Böhler in ihrem Buch „Die Wehenschreiberin“. Was, wenn sie bei all dem Hin- und Hergerenne etwas Wichtiges übersehen hätte? Oder ihr die Frauen nicht den „Gefallen“ getan hätten, nacheinander und nicht alle gleichzeitig ihre Kinder zu bekommen?
Diese Szene ist keine Ausnahme. „Der Mangel an Hebammen spitzt sich in allen Bundesländern zu“, sagt Simone Logar, selbst Hebamme und zweite Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes.
Die Geburtenrate in Deutschland steigt, gleichzeitig werden Geburtsstationen geschlossen, das Gesundheitssystem wird zentralisiert, es gibt immer weniger Orte, an denen Frauen gebären können. Hinzu kommt der Spardruck der Kliniken.
Sieben Geburten in einer Nachtschicht? Böhlers Krankenhaus spart sich eine Rufbereitschaft. Das heißt, es holt nicht noch zusätzliches Personal dazu, wenn es doch mal zu mehr als den ein bis zwei Geburten kommt, die statistisch gesehen pro Schicht anstehen. So wird auch das Personal eingeteilt – oft ist das viel zu wenig.
120 Geburten pro Hebamme im Jahr
„Als Hebamme kommt man da an seine Grenzen“, so Logar. Orientiere man sich am europäischen Ausland, kämen 30 bis 40 Geburten pro Jahr auf eine Hebamme. „Hier in Deutschland sind es im Schnitt 90 Geburten pro Hebamme im Jahr“, sagt Logar. „In manchen Kliniken sogar 120“. Kann das gut gehen?
Der Hebammenverband fordert eine 1-zu-1-Betreuung von Gebärenden unter der Geburt. Und zwar nicht, wie Maja Böhler schreibt, um „in ruhigen Nächten den Frauen Händchen zu halten“. Nein, vielmehr aus gesundheitlichen Gründen.
„Gebärende brauchen nachweislich weniger Schmerzmittel, wenn eine Fachkraft selbst im Raum ist“, schreibt Böhler. Auch Regelwidrigkeiten während der Geburt könnten viel früher erkannt werden. „Es geht hier nicht um Luxus – sondern um die körperliche und psychische Gesundheit von Gebärenden“, so Logar. Es geht auch um die Mütter.
„Bleiben Sie da, gehen Sie nicht wieder weg!“, fleht eine Gebärende Maja in ihrem Dienst an. Fast bricht es ihr das Herz. Wie schlimm die letzten Stunden für diese Mutter gewesen sein müssen, fragt sie sich, sie ist ganz allein gekommen. Aber in ihren „Hechtsprüngen von Kreißsaal zu Kreißsaal“, ist es einfach unmöglich, sich um jede Gebärende angemessen zu kümmern.
Verzweifelte Bestechungsversuche wegen Hebammenmangel
Auch außerhalb des Klinikbetriebes macht sich der Hebammenmangel bemerkbar. In den Großstädten geht er so weit, dass verzweifelte Eltern Bestechungsversuche unternehmen. Sie bieten Geld, Tiefgaragenparkplätze, Gratis-Taxifahrten für die Hebamme an – nur, um überhaupt noch eine zu kriegen. „Meine Mailbox ist immer noch voll, obwohl ich überall offen kommuniziert habe, dass ich derzeit in Elternzeit bin“, erzählt Logar.
„Bei uns im Verband melden sich Frauen, die bereits 80 Absagen für die Betreuung durch eine Hebamme erhalten haben“, sagt Logar. „Da geht dann einfach jede Leichtigkeit verloren.“ Darf ich das noch essen? Was bedeutet das Zipperlein? Werde ich für immer spucken?
Zur kompetenten fachlichen Betreuung kommt die psychosoziale Betreuung, die Hebammen gewährleisten. Das Vertrauensverhältnis. Das zu Hause versorgen in sicherem Rahmen. Das Vor- und Nachbereiten der Geburt. Das persönliche. „Eine Frau kann im Wochenbett nicht selbst erkennen, ob das Baby eine Neugeborenengelbsucht entwickelt und sie einen Arzt aufsuchen muss oder nicht“, so Logar. Es überfordere die Eltern nur zusätzlich.
Dabei brauche es nur so wenig, um dem massiven Hebammenmangel entgegenzuwirken. „Wir brauchen mehr Geld, mehr Zeit, mehr Personal“. Eine Hebamme verdiene immer noch schlechter als eine Anästhesieschwester. Logar: „Stattdessen zahlen Krankenkassen heute mehr für Zahnkorrekturen als für Hebammen…“
Schlechte Arbeitsbedingungen lassen den Zauber verfliegen
Dazu komme die wenige Zeit, weil neben den Geburten oft auch die gynäkologische Ambulanz mit Abbrüchen, Fehlgeburten, Pilzerkrankungen dazukomme, der Telefondienst für die Anmeldung, die Arbeit auf der Station mit Einleitungen, Kaiserschnittvorbereitungen, viel Papierkram.
„Und zusätzlich haften Hebammen ja am Ende auch noch selbst!“, so Logar. Die Klinik sei zwar versichert, aber eben nur bis zu einer gewissen Summe. „Das steht einfach in keinem Verhältnis.“ Da wundere es nicht, dass die Burnout-Rate hoch sei. Es brauche zusätzlich zur Arbeitsentlastung einen Haftpflichtfond, um Hebammen abzusichern.
Auch mit der Vereinbarkeit sei es nicht so einfach in diesem Beruf. „Die hohe Haftpflichtsumme für Hebammen richtet sich nicht nach den Stunden, die die Hebamme tätig ist.“
Es sei also bislang kaum möglich, freiberuflich in Teilzeit zu arbeiten. „Ich würde gerade gern zehn Stunden pro Woche neben meiner Arbeit im Verband freiberuflich arbeiten“, sagt Logar, „Dann müsste ich aber draufzahlen.“ So gehen durch die Nicht-Vereinbarkeit viele gute Kräfte verloren.
„Es ist der schönste Beruf der Welt. Aber unter diesen Arbeitsbedingungen bleibt nicht viel von dem Zauber übrig“, sagt sie. Mütter, die unter Wehen von Kliniken abgewiesen werden. Ein Wochenbett ohne Hilfe zu Hause. Das Fallenlassen und Vertrauen fällt weg in dieser so wichtigen Lebensphase.
Kinder kriegen ja - aber besser nicht an Weihnachten
Im Moment gehe der Trend zu privaten Dienstleistern, zu Doulas, Stillberaterinnen, die aber selbst bezahlt werden müssen. „Was machen die, die das nötige Kleingeld dafür nicht haben?“, fragt sich Logar.
Manchen bleibt da nur Sarkasmus. „Rechnet bei der Zeugung eures Kindes mit ein, dass es nicht zu Weihnachten oder in den Sommerferien kommt, dann wird’s noch schwieriger, eine Hebamme zu finden“, raten einige Hebammen scherzhaft. Wenn es nicht so ernst wäre.
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Es braucht einen Weg zurück hin zu dem Zauber, der den Beruf der Hebamme eben eigentlich ausmacht. Es braucht ein Umdenken, damit Mütter wieder vertrauensvoll gebären können und der Zauber zurück in den Beruf kommen kann.
„Denn die größten Liebesfilmszenen spielen sich in meiner Arbeit ab“, schreibt Maja Böhler trotz allem, „täglich, im Kreißsaal, der Bühne innigsten Glücks. Wie groß, wie innig, wie „Wir-gegen-den-Rest-der-Welt die Verbindung zweier Menschen ist, sieht man am besten, wenn sie ihr frisch geborenes Kind in den Händen halten.“
Maja Böhler: „Die Wehenschreiberin: Geschichten aus dem Kreißsaal." Goldmann Verlag, 10 Euro