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Jutta Allmendinger im Interview„Homeoffice ist für Frauen eine Falle“

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Die Soziologin Jutta Allmendinger ist eine prominente Verfechterin der Frauenquote.

Frauen sind die Verliererinnen der Corona-Krise. Studien, wie die der Techniker Krankenkasse, weisen nach, dass sie in der Pandemie viel stärker belastet sind als Männer. Meist sind es die Mütter, die sich neben dem Job größtenteils um die Kinder kümmern. Die Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Prof. Jutta Allmendinger, forscht schon lange zu sozialer Ungleichheit und Geschlechterunterschieden. In ihrem Buch „Es geht nur gemeinsam!” zeigt sie, wie weit unsere Gesellschaft von Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau noch entfernt ist. Was sich für eine geschlechtergerechte Welt verändern müsste, sagt sie im Interview.Vielen Eltern geht durch die Belastung mit Arbeit und Homeschooling langsam die Puste aus. Was hätte man da besser machen können?Jutta Allmendinger: Vor allem Mütter haben mit dieser Doppelbelastung zu leben. Es lag ja auf der Hand, was Kita- und Schulschließungen für sie bedeuten. Die Organisation des Haushalts, die Betreuung der Kinder, die eigene Erwerbsarbeit – das geht für eine Weile, dann aber ist der Ofen aus. Und dann betrifft es natürlich die Kinder, insbesondere jene aus finanziell schlechter gestellten Elternhäusern. Sie haben oft keinen Platz für sich, es fehlt an der Computerausstattung, die Eltern können bei Schulaufgaben meist nicht helfen. Das verschärft die Bildungsungleichheit. Man hätte also von Beginn an überlegen müssen, wie man Müttern und Kindern helfen kann. Mit Geld, Zeit, durch Lernbrücken. Warum können zum Beispiel nicht Studierende, die ihre Nebenjobs ja oft verloren haben, in Familien gehen und die Kinder einige Stunden betreuen? Die nötigen Corona-Tests, um das Infektionsrisiko zu minimieren, gibt es ja schon sehr lange – ich verstehe es einfach nicht. Solche sozialen Innovationen könnten wieder mehr Chancengleichheit bei Kindern herstellen.

Zu Beginn der Pandemie haben Sie eine „entsetzliche Retraditionalisierung“ befürchtet. Was sagen Sie heute?

Vor einem Jahr habe ich damit heftige Proteste hervorgerufen. Das hat mich sogar gefreut. Denn wenn Väter sich verteidigen und sagen: „Das machen wir doch alles schon“, dann hat ein Wandel eingesetzt. Als wir den systemrelevanten Beschäftigten applaudierten, zeigten wir Solidarität und machten darauf aufmerksam, dass Beschäftigungsbedingungen und die Bezahlung verbessert werden müssen. Nur heute klatscht niemand mehr. Viele Stellen werden abgebaut, gerade im Einzelhandel und anderen Sektoren, in denen Frauen beschäftigt sind. Viele Minijobs entfallen, auch das sind meist Tätigkeiten von Frauen. Dagegen steigt die unbezahlte Arbeit von Frauen immer mehr und die psychische Belastung nimmt zu. Ich bleibe also dabei: Wir sehen, dass Frauen wieder zurückverwiesen werden in die eigenen vier Wände.

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Buchcover

Jutta Allmendinger: „Es geht nur gemeinsam! Wie wir endlich Geschlechtergerechtigkeit erreichen”, Ullstein Verlag, 144 Seiten, 12 Euro

Foto: Ullstein

Das heißt Studien, die gezeigt haben, dass Männer in der Krise mehr Care-Arbeit leisten, also mehr Zeit für Hausarbeit und Kinderbetreuung aufbringen, stimmen Sie nicht hoffnungsvoll?

Klar ist das gut. Aber wir müssen bedenken, dass Männer auch viel mehr als Frauen aufstocken können, da ihr Ausgangsniveau viel niedriger als bei Frauen liegt. Leisten Frauen noch mehr Sorgearbeit als ohnehin schon, stoßen viele bald an das Limit eines 24-Stunden-Tages. Ein weiterer Punkt: Wir messen Sorgearbeit in Stunden und Minuten. Hinter der Sorge liegt aber Verantwortung – und diese lässt sich nicht in Zeit aufrechnen. Studien zeigen: Frauen sind in dieser Corona-Krise einer wesentlich größeren mentalen Belastung ausgesetzt als Männer.

Homeoffice erleichtert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Könnte sich das in Post-Corona-Zeiten positiv für Frauen auswirken?

Es ist ein gutes Instrument, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erhöhen. Um Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen abzubauen, die Lücke im Stundenlohn, dem Lebenseinkommen oder der Rente zu verkleinern, eignet es sich nicht. Es ist zudem kein Weg, der Frauen in Führungspositionen bringt. Diese Stellen sind noch immer an Sichtbarkeit und Netzwerke gebunden. In Heimarbeit ist beides schwer zu schaffen.

Sie beschreiben Homeoffice auch als Falle.

Das tue ich, da es die Verknüpfung von Frauen und Betreuung zementiert. Untersuchungen zeigen: Sprechen sich Frauen für das Homeoffice aus, steht für sie die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf an erster Stelle. Bei Männern ist es die Flexibilität.

Könnte die Frauenquote eine Lösung sein?

Ich will die Frauenquote nicht gegen das Homeoffice ausspielen. Ich halte die Quote für sehr wichtig, um zu zeigen, dass Frauen führen können. Sie sind wichtige Vorbilder für Kinder. Erst seit der Kanzlerinnenschaft von Angela Merkel geben Mädchen in Umfragen „Bundeskanzlerin“ als Berufswunsch an.

Ein Satz aus ihrem Buch hallt mir besonders nach, auch wenn ich ihn schon im Soziologiestudium gehört habe: „Für viele Frauen ist der Heiratsmarkt immer noch attraktiver als der Arbeitsmarkt.“ Was müsste sich da ändern?

Ja, ich habe diesen Satz schon vor Jahren geprägt; und bis vor kurzem traf dieser Befund auch zu: Witwenrenten, die Frauen durch ihren Mann erhielten, waren höher als die durchschnittliche Rente aus der Erwerbstätigkeit der Frauen. Durch Teilzeitarbeit bekommen Frauen keine Rente, von der sie leben können. Was sich ändern muss: Frauen müssten besser bezahlt werden, Frauen müssten länger erwerbstätig sein und weniger lange unterbrechen. Das heißt, dass die unbezahlte Arbeit zwischen Männern und Frauen gleichmäßig verteilt werden müsste.

Männer müssen sich auf Frauen zubewegen?

Frauen haben seit 1900 ihre Lebensverläufe immer stärker an männlichen Erwerbsleben orientiert. Männer dagegen haben sich in diesem Zeitraum kaum bewegt, übernehmen beispielsweise nicht mehr Sorgearbeit. Eine Lösung könnte eine 32-Stunden-Woche für alle sein.

Sie schlagen auch eine Veränderung des Ehegattensplittings vor.

Alle Anreize, die zu einer ungleichen Verteilung von Care-Arbeit führen, müssen beseitigt werden.

Ich bin jetzt 31. In meinem Umfeld ist mir aufgefallen, dass es meist Frauen sind, die bei der Kinderplanung zögerlich sind und Männer eher sagen, dass sie sich Kinder wünschen. Sind Frauen eher zurückhaltend, weil sie einen Karriereknick befürchten?

Genau, das ist der Grund. Man sieht als Frau in Westdeutschland — es gibt immer noch Unterschiede zu Ostdeutschland — die fehlende Infrastruktur: kein Kita-System, das flexible Stunden vorhält, kein gut ausgebautes Ganztagsschulsystem – und dann immer noch das unsägliche Bild der „Rabenmutter“. Wir sehen viele Frauen, mit extrem guter Ausbildung, die von ihren Partnern finanziell abhängig werden oder nicht in die Jobs reinkommen, die ihnen wirklich Spaß machen würden. Das verursacht bei Frauen ein mulmiges Gefühl. Sie stellen sich die Frage, ob sie überhaupt Kinder kriegen sollten.

Wie sieht es mit der Elternzeit aus?

Seit es die zwei zusätzlichen Partnermonate gibt, nehmen die meisten Väter diese auch. Meistens tun sie das parallel zu der Elternzeit der Mütter, das belegen die Statistiken. Väter kommen also nicht in die Situation, alleine auf die Kinder aufzupassen und die ganze Verantwortung zu tragen. Eine Lösung: Die Partnermonate müssten auf vier Monate aufgestockt werden, dann würden Männer häufiger in der alleinigen Verantwortung stehen und eine längere Auszeit von Vätern würde akzeptiert werden.

Sie kämpfen schon lange für Geschlechtergerechtigkeit. Werden Sie nicht müde, wenn sie zum Beispiel sehen, dass sich bei der Verteilung von unbezahlter Arbeit in den letzten zwanzig Jahren fast nichts bewegt hat?

Nein. Und es gibt ja auch Grund zur Hoffnung. Viele Jahre lang sagten mir die jungen Frauen: „Das ist die Geschichte, meiner Großmutter- oder Muttergeneration, aber wir jungen Frauen sind in der Schule und im Studium klasse und wir brauchen keine Quoten. Das ist die Geschichte der Alten!“ Wenn die jungen Frauen dann älter geworden sind, stellten sie meist ernüchtert fest, dass es sie ebenso betrifft. Vergangenes Jahr, als wir für das Führungspositionengesetz II gekämpft haben, habe ich nun erfahren, dass es ganz viele junge Frauen gibt, die mit uns streiten.

Warum sollten auch Männer Feministen sein?

Na ja. Wir wären ja schon ein Stück weiter, wenn Männer ihre Vorstellungen eines guten Lebens auch umsetzen würden. Fragt man Männer, bevor sie Kinder haben, nach ihren Lebensentwürfen, so sagen die meisten, dass sie in einer partnerschaftlichen Familie leben wollen. Sich die bezahlte und unbezahlte Arbeit teilen wollen. Meist kommt es dann aber ganz anders.

Es wird zu sehr auf das Individuelle geschaut und die Struktur übersehen, die dazu führt, dass sich die meisten Frauen so entscheiden?

Ja, wir haben strukturelle und kulturelle Anreize, die Druck auf Frauen ausüben – das hat sich nicht geändert. Daher finde ich Sätze wie „Frauen haben die Wahl“ oder „Frauen entscheiden sich für lange Unterbrechungen“ furchtbar, ja geradezu arrogant.

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Ihr Buch heißt: „Es geht nur gemeinsam!“ Wer müsste jetzt stärker an einem Strang ziehen?

Männer müssen sehr viel stärker bei ihren Vorstellungen eines partnerschaftlichen Lebens bleiben, ein Stück auf Macht und Geld verzichten. Es geht nur gemeinsam mit Wirtschaft und Politik, weil Rahmenbedingungen geändert werden müssen, die in der Lage sind, kulturelle Erwartungen zu reduzieren. Frauen unterschiedlichen Alters und Sektoren müssen sich unterstützen.

Ihre potentielle Enkeltochter haben Sie im Buch Marie genannt. Wie sieht die Prognose für sie aus?

Ganz konkret wünsche ich mir, dass die kommenden Koalitionen auf Bundes- und Landesebene das Steuersystem reformieren, die Partnermonate bei der Elternzeit erhöhen, die Kita-Infrastruktur verbessern, Ganztagsschulen ausbauen. Die Tarifpartner müssen sich darauf einigen, systemrelevante Berufe besser zu bezahlen und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse abzubauen. Wir Frauen haben eine Verantwortung, wir müssen jetzt kämpfen. Wenn wir das machen, wird es für die Generation eines jungen Mädchens, das 2023 oder 2025 geboren wird, eine geschlechtergerechtere Welt geben.

Frau Allmendinger, vielen Dank für das Gespräch.