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Gewalt in der Geburtshilfe„Die Hebamme sagte mir, ich solle mich nicht so anstellen“

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Geburtshelferin bei der Arbeit im Kreißsaal.

  1. Massive verbale und sogar physische Gewalt unter der Geburt ist kein Randphänomen. Daran erinnert am 25.11. der Roses Revolution Day, ein Aktionstag für eine würdevolle und gewaltfreie Geburt.
  2. Die zweifache Mutter Janina hat bei ihrem ersten Kind eine traumatische Geburt erlebt und leidet heute noch darunter.
  3. Die Kölner Geburtstrauma-Begleiterin Nicole Ebrecht-Fuß weiß, wie massiv die Folgen einer solchen Erfahrung sein können.

Köln – „Jedes Mal, wenn ich an meine erste Geburt zurückdenke, kommen mir die Tränen“, sagt Janina, 40, die mittlerweile zweifache Mutter ist. Ihre Kinder sind heute 5 und 3 Jahre alt und wie in den Jahren zuvor überlegt sie auch diesmal, am 25.11. eine Rose vor dem Kreißsaal niederzulegen, in dem sie ihr erstes Kind bekam. „Aber dann zieht sich doch wieder alles in mir zusammen.“

Am 25.11. findet bereits zum siebten Mal der Roses Revolution Day in Deutschland statt. Ein internationaler Aktionstag (es gibt ihn seit 2011) von Frauen, die wie Janina während der Entbindung körperliche oder seelische Gewalt erlebt haben. „Die Rosen sollen ein gemeinsames Zeichen sein – für eine würdevolle und gewaltfreie Geburt“, sagt Catrin Domke vom Verein Traum(a)Geburt e.V..

Roses Revolution Day – für eine gewaltfreie Geburt

Ein Symbol, um Kliniken darauf hinweisen, dass – wie bei Janinas erster Geburt – Fehler passiert sind, die die Frauen oft auch nach Jahren nicht vergessen können. Bestenfalls, so wünschen es sich die Initiatoren des Tages, kommt es so zum Dialog zwischen Betroffenen und Klinikpersonal, um die Situation in der Geburtshilfe für alle zu verbessern.

Wie dringend notwendig das ist, zeigt, dass sich selbst die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mittlerweile dem Thema „Gewalt unter der Geburt“ verschrieben hat. Es handelt sich längst nicht mehr um ein Randphänomen.

Bei Janina hatten die Ärzte am zweiten Tag nach dem eigentlichen Entbindungstermin die Geburt eingeleitet, sie hatte zu wenig Fruchtwasser, die Nabelschnur lag um den Hals des Kindes. Doch trotz der Medikamente ließen die Wehen immer wieder nach. „Der Muttermund öffnete sich nicht weiter und ich hatte Schmerzen“, erzählt Janina.

„Die Schmerzen waren unglaublich“

„Ich hatte mir vor Jahren einmal das Steißbein angeknackst, durch die Schwangerschaft muss die Verletzung wieder aufgebrochen sein und die Schmerzen waren unglaublich.“ Die betreuende Hebamme hatte wenig Verständnis dafür, offenbar ging es ihr nicht schnell genug.

Manuell versuchte sie, Janinas Muttermund zu weiten – ohne Vorwarnung. „Ich war so verkrampft und voller Schmerzen und sie mit ihrer Hand in mir... ich musste sie anbrüllen, sie soll da wieder raus“.

Statt Mitgefühl zu zeigen, fragte sie Janina, ob sie wohl „mal vergewaltigt worden“ sei. Ihr Empfinden stehe in keinerlei Relation zu den echten Schmerzen. Die Hebamme nahm sie und ihre Emotionen nicht nur nicht ernst, sie gab ihr auch noch das Gefühl, sich anzustellen. Janina reagierte sprachlos und verängstigt.

Massive verbale Gewalt unter der Geburt

Was Janina passiert ist, hält Nicole Ebrecht-Fuß für „massive verbale Gewalt“. Sie arbeitet als Geburtstrauma-Begleiterin in Köln und leitet die Selbsthilfegruppe für Frauen mit traumatischer Geburtserfahrung. Sie weiß, wie massiv die Folgen einer solchen Erfahrung sein können.

Worte wie „Stellen Sie sich nicht so an“ seien das Letzte, was eine Frau während der Geburt hören sollte. Verbale Grenzüberschreitungen wie Auslachen, das Hinwegsetzen über die Wünsche der Gebärenden, Angst machen oder drohen („Wenn Sie so weitermachen, stirbt Ihr Kind“) könnten genauso traumatisieren wie körperliche Gewalt – etwa durch ungewollt durchgeführte Dammschnitte – unter der Geburt.

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„Frauen müssen sich fallenlassen und hingeben können in diesem besonderen, nie wiederkehrenden Moment der Geburt“, weiß Ebrecht-Fuß. Dafür brauche es eine respektvolle, ehrfürchtige und liebevolle Begleitung – und absolute Wertschätzung.

Psychische Folgen von schlechter Geburtsbehandlung

Eine Geburt trifft einen besonders intimen Lebensbereich. Nicht mehr über den eigenen Körper entscheiden zu können, nicht fliehen zu können, sich nicht effektiv wehren zu können – das alles kann für die Gebärende das Gefühl der Machtlosigkeit verstärken und dadurch extrem belasten.

„Frauen verlieren durch unsensible oder gewaltvolle Behandlung ihre Selbstbestimmung und damit geht immer ein vermindertes Selbstbewusstsein einher – Zweifel an der eigenen Stärke und an den eigenen Fähigkeiten“, gibt Ebrecht-Fuß zu bedenken. Die Folgen können tiefgreifend sein.

Verzweiflung, Hilflosigkeit, Ohnmacht, das Gefühl des Ausgeliefertseins können auf solche Erlebnisse folgen. Auch psychische Krankheiten wie Depressionen, Angststörungen oder eine Posttraumatische Belastungsstörung können daraus resultieren. Wut darüber, das Schöne an einer Geburt verloren zu haben, Trauer, nicht die Geburt erlebt zu haben, die sie sich gewünscht hatten.

„Eine Frau erlebt da eine ihrer prägendsten Lebenserfahrungen überhaupt“, so Ebrecht-Fuß. Darum sei es so wichtig, Geburtshelfer in traumasensibler Geburtshilfe zu schulen, um „ein Bewusstsein zu entwickeln, wie ausschlaggebend ihre Worte und ihre Begleitung sind.“

Bessere Arbeitsbedingungen in der Geburtshilfe

Wie wichtig mancherorts eine Verbesserung der Geburtsbegleitung wäre, zeigt die wachsende Resonanz von Frauen auf den Roses Revolution Day. Immer mehr Mütter, aber auch Doulas, Hebammen und Väter äußern sich zu ihren Gewalterfahrungen.

Sie laden sich auf der Internetseite Briefpapier runter, um der Klinik zu schreiben oder hinterlassen eine Rose im virtuellen Gästebuch der Klinikseite. Viele verändern ihr Profilbild in den sozialen Medien in eine Rose oder twittern mit den Hashtags #rosrev, #gewaltfreiegeburt und #schweigenbrechen.

Hilfe – an wen sich Betroffene wenden können

Internetseiten:www.gerechte-Geburt.dewww.schatten-und-licht.dewww.greenbirth.de/de/www.kaiserschnitt-netzwerk.dewww.bauchgeburt.de

Facebook-Gruppen: Gewalt unter der Geburt, Geburtstrauma, Kaiserschnittmamas-SHG, Storchenschnabel-shg, Rosenmütter Recht und Klage, ungewollter Kaiserschnitt-Trauma nach Kaiserschnitt, Kaiserschnitt-Kaiserschreck

Buch:„Gewalt unter der Geburt“ von Christina Mundlos

Wie kann die Situation in der Geburtshilfe verbessert werden?

„Durch die aktuell sich weiter verschärfende Situation in der Geburtshilfe nehmen Frauen die verschlechterte Betreuung häufiger schon in der Schwangerschaft und bei der Hebammensuche wahr und trauen sich trotz des immensen Tabus deutlicher und lauter zu werden“, sagt Catrin Domke vom Verein Traum(a)Geburt e.V.

Viele Situationen entstünden durch die eigene Überforderung der Geburtshelfer. Die bestehenden Strukturen im Gesundheitswesen senkten die Hemmschwelle für medizinisch unangebrachte Handlungen und Interventionen erheblich. Die Arbeitsbedingungen für Fachpersonal und Geburtshelfer müssten daher dringend verbessert werden. Und: „In diesem Zuge muss die Problematik der Haftpflichtversicherung für Hebammen gelöst werden.“

Jede Frau braucht eine gute Begleitung

Domke sagt: „Eine künstlich beschleunigte Geburt mit vielen Interventionen oder ein (anschließender) Kaiserschnitt darf für Kliniken nicht rentabler sein als eine gut begleitete, interventionsarme, natürliche Geburt. Hierfür braucht eine Gebärende eine 1:1-Betreuung während der Geburt.“

Und genau so eine durfte Janina dann zum Glück auch noch erleben – beim zweiten Kind. Wie tief ihr Schmerz über die erste traumatische Geburt sitzt, wurde ihr erst so richtig bewusst, als sie sich in der zweiten Schwangerschaft in einem Geburtsvorbereitungskurs wieder mit dem Thema auseinandersetzte.

Hier konnte sie plötzlich nicht mehr aufhören zu weinen. Bei dem Gedanken an eine weitere Geburt wurde sie fast panisch. „Zum Glück war ich bei der zweiten Geburt in einem anderen Krankenhaus mit einer fantastischen Hebamme und dem nettesten Anästhesisten überhaupt.“

Eine Versöhnung mit ihrem Schicksal. Und das gute Zeichen: Es gibt sie, die guten Geburten – wenn nur die Bedingungen dafür stimmen.