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GeschlechterfalleWarum Mädchen wie Jungs sein dürfen, aber Jungs nicht wie Mädchen

Lesezeit 7 Minuten
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Nils Pickert ist überzeugt: „Jungen verdienen viel mehr als das, was ihnen heute angeboten wird. Sie verdienen Körperkontakt, Mitgefühl, Trost und Einhornglitzer.“

  1. Mädchen, die auf Bäume klettern sind cool – aber Jungs, die Röcke tragen werden auch in der Großstadt noch blöd angeschaut.
  2. Woran das liegt? „Wir pressen unsere Söhne noch immer in alte Vorstellungen von Männlichkeit. Dabei haben sie viel mehr verdient“, meint der Journalist Nils Pickert.
  3. In seinem Buch „Prinzessinnenjungs“ analysiert er, was in unserer Gesellschaft falsch läuft und wie wir es schaffen, Jungen so sein zu lassen, wie sie es möchten.

Köln – Mädchen tragen rosa, Jungs blau oder grün. Mädchen spielen mit Puppen, Jungs mit Baggern. Mädchen sind lieb und nett, Jungs tragen Konflikte auch mal lauter aus. Mädchen malen gerne, Jungs spielen mit Schwertern. So einfach ist es – zum Glück – schon lange nicht mehr. Kinder dürfen heute alles sein und machen. Mädchen in Latzhosen, die auf Bäume klettern und später die Jungs beim Skateboarden auf der Halfpipe abziehen, sind anerkannt und gern gesehen.

Für Jungs ist der Wechsel zwischen den typischen Rollenvorstellungen aber noch immer nicht so einfach. Lange Haare sind zwar mittlerweile kein Problem mehr, aber Jungs, die im Kleid in die Kita kommen, werden auch in der Großstadt blöd angeschaut. Wer sich für Ponys, Tanzen und Make-Up interessiert, hat es auch nicht so leicht.

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Nils Pickert

„Wir haben feste Erwartungen an die Geschlechterrollen, die Jungen zu erfüllen habe. Noch immer sollen sie stark sein, ab einem gewissen Alter lieber nicht mehr weinen und keine Röcke tragen“, schreibt Nils Pickert in seinem Buch „Prinzessinnenjungs. Wie wir unsere Söhne aus der Geschlechterfalle befreien".

Kann jeder Junge er selbst sein?

Die Kernfrage seines Buches lautet nicht, ob Jungen noch Jungen sein dürfen, sondern ob jeder Junge er selbst sein darf. Pickert betrachtet, wie Jungen heutzutage aufwachsen, welche Versionen von Männlichkeit unterstützt werden, wann Jungen als Jungen gelten, warum sie als „Mädchen“ abgewertet werden, wenn sie nicht den gängigen Männlichkeitsrollen entsprechen und macht Vorschläge, wie man das alles ändern kann. Dabei spielt er keinesfalls Mädchen gegen Jungen aus. Es geht darum, das Leben von Jungen zu erleichtern und zu erkennen, wo zu viel und wo zu wenig von ihnen verlangt wird.

Der Mann mit dem Rock

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Das Coverbild zeigt Nils Pickert und seinen Sohn in Rock und Kleid. 

Pickert bezeichnet sich als Feminist und geht selbst mit gutem Beispiel voran: Er ist freier Journalist und schreibt unter anderem für den Verein „Pinkstinks“, der sich gegen Sexismus und Homophonie engagiert. Er hat zwei Töchter und zwei Söhne. Bekannt wurde er, als er sich 2012 aus Solidarität mit seinem damals fünfjährigen Sohn einen Rock angezogen hat. „Sein fünfjähriger Sohn trage gerne Röcke und Kleider, erzählt der Vater dort, und deshalb mache er das jetzt auch. Er wolle seinem Sohn ein Vorbild sein, ihm zeigen, dass es in Ordnung sei, als Junge Röcke zu tragen. Er möchte ihm damit auch Anfeindungen und Spott ersparen – oder sie zumindest mit ihm ertragen, als Großer, der so etwas abkann“, schrieb „Der Spiegel“ damals über die Aktion. Für diesen scheinbar so einfachen Akt sind er und sein Sohn im Internet hart angegangen worden. Männer dürften keine Röcke tragen, wer erlaube denn sowas, was solle nur aus den Jungs werden.

Weil es auch acht Jahre nach dem Foto für Jungen immer noch schwierig ist, wenn sie sich nicht typisch männlich verhalten oder aussehen, hat Pickert das Buch „Prinzessinnenjungs“ geschrieben. Es soll dabei helfen, bei der Erziehung von Söhnen Geschlechterrollen loszulassen. Pickert beschreibt darin sehr ausführlich, dass die Prägung auf das angeblich typische Jungsverhalten schon im Babyalter beginnt, beim Spielzeug- und Klamottenkauf weitergeht, dass Jungs im Kindergarten und auf dem Schulhof in eine Männer-Rolle gedrängt werden, die sie vielleicht gar nicht erfüllen möchten, dass das männliche Gehabe in der Pubertät kulminiert und dass diese Prägung dem Gefühlsleben von Jungen und Männern schadet. Er deckt für die verschiedenen Lebensphasen die falschen Männlichkeitsideale auf und fragt sich, was man besser machen könnte.

Hier sind seine Tipps, wie man gegen die Prägung auf alte Männerrollen anarbeiten und geschlechtsneutral erziehen kann:

• Vor der Geburt des Kindes das Geschlecht nicht verraten und/oder sagen, dass man sich Spielzeug und Kleidung in sämtlichen Farben wünscht.

• Einen Namen wählen, der für beide Geschlechter funktioniert.

• Jungen bewusst den Zugang zu angeblich typischem Mädchenspielzeug wie Puppen oder Kosmetik erlauben und ermöglichen. Jungen haben ein Recht darauf, Kümmern, Pflege, Fürsorge und Verantwortung spielerisch zu erfahren.

• Zumindest eine Option auf Kleidung in den angeblich typischen Mädchenfarben wie rosa, pink und lila anbieten, auch, wenn die Jungen sie vermutlich ablehnen werden.

• Lange Haare ermöglichen, wenn gewünscht.

• Gegenständen, Farben und Verhaltensweisen kein Geschlecht geben.

• Den Söhnen nicht erzählen, dass dieses oder jenes nur für Mädchen ist.

• Weiblichkeit nicht abwerten und auch den Jungen Weiblichkeit nicht abwerten lassen, nur um zu gefallen. Eingreifen, wenn Ihr Sohn Mädchen als Schlampen bezeichnet oder sich über Homosexuelle lustig macht.

• Als Vater nahbar zeigen, also auch mal traurig und empfindsam. Von sich, Ihren Hoffnungen, Wünschen, von Ihrer Arbeit und Ihren Hobbies erzählen.

Was sind Prinzessinnenjungs?

Pickert glaubt, dass in jedem Jungen ein Prinzessinnenjunge mit Träumen, Hoffnungen und Eigenschaften steckt, die als unmännlich, schwach und mädchenhaft bezeichnet werden. Prinzessinnenjungs sind empfindlicher als andere und brauchen mehr Trost.

Was ist das Problem?

„Jungen und Männern muss geholfen werden“, sagt Pickert. Sie würden seit einigen Jahren zu Problemfällen erklärt, gelten als zu laut, zu gewalttätig, zu übergriffig. Auf der anderen Seite möchten viele Jungen und Männer heute gar nicht mehr wild und hart sein, nicht umsonst hat sich der Begriff „toxische Männlichkeit“ in den vergangenen Jahren etabliert. Auch die Gesellschaft setzt heute vermehrt auf ursprünglich Frauen zugeschriebene Eigenschaften wie Kommunikationstalent, Konfliktfähigkeit, Fehlerbewusstsein und Achtsamkeit. Eigentlich passt also alles zusammen, nur scheitern Jungen und Männer noch immer an den typischen Erwartungen, die an sie gestellt werden. Die Rollenklischees werden gewahrt, auch wenn die Regeln sich längst verändert haben. In Pickerts Augen werden Männer an dieser Diskrepanz aufgerieben. Zeigen sie sich noch weicher, fürsorglicher und verletzlicher, wird ihnen die Männlichkeit abgesprochen. Ignorieren sie diese Aspekte in sich, fehlen ihnen zentrale Kernkompetenzen.

Pickert sagt: „Eine Debatte über eine sensiblere und aufmerksamere Jungenerziehung ist überfällig. Denn obwohl sich unsere Vorstellung von Männlichkeit allmählich wandelt, wird diese Männlichkeit immer noch allzu oft dadurch verwirklicht, dass wir die Prinzessinnenjungenhaftigkeit aus unseren Söhnen wegerzählen und hinausstrafen. Mit althergebrachten Sätzen wie ‚Das macht ein Junge nicht.‘ ‚Rosa ist nur etwas für Mädchen.‘ und ‚Hör‘ auf zu weinen.‘“ Als Männer hören sie: „Männer schaffen alles, können alles, führen, haben keine Angst, Männer müssen liefern.“

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Besonders schwierig wird es in der Pubertät, wo es bei den meisten darum geht, härter und cooler als alle anderen zu sein, um ihre Männlichkeit nachzuweisen. Für die empfindlichen Jungs gibt es hier kaum einen Ausweg. Das Buch beschäftigt sich ausführlich mit dem Thema Gewalt, das Männer auf vielfältige Weise betrifft, und thematisiert auch den Umgang mit Pornos.

Wie werden wir den besonderen Ansprüchen der Prinzessinnenjungs gerecht?

Die Gesellschaft muss damit aufhören, Jungen in stereotype Geschlechterrollen zu pressen. Männliche Emanzipation für Männer wäre in Pickerts Augen, dass Männer darüber reden, worauf sie Lust haben und wie sie sein wollen. „Maßstab für Männlichkeit darf nicht mehr Unverwüstlichkeit, Gefühlskälte und unbedingte Leistungsbereitschaft sein. Wir müssen aufhören, Männlichkeit dadurch zu definieren, dass man andere zu Opfern macht und auch sich selbst schlecht behandelt. Wir müssen schönere, gewaltfreiere Wege finden, um Männlichkeit zu erzählen, so dass Jungen denken: Das ist gut, das ist spannend, das gefällt mir, das mache ich auch“, schlug Pickert in einem Interview mit Chrismon, der Zeitschrift der evangelischen Kirche, vor.

Was ist die Lösung, was kann die Gesellschaft tun?

Für Pickert ist es an der Zeit, Jungen „nicht mehr das Lächeln aus dem Gesicht zu wischen“, wenn sie sich für Verschönerung, Tanzen oder Ponys interessieren. Genauso wie es an der Zeit ist, ihnen nicht länger dafür auf den Rücken zu klopfen, wenn sie sich und anderen Gewalt antun. Sein Fazit: „Jungen sind so viel mehr als das. Männlich ist, was Jungen und Männer tun. Wenn sie sich ins Gesicht schlagen, dann ist das ebenso männlich, wie wenn sie sich streicheln. Und wenn sich Jungen für Rennautos begeistern, dann verhalten sie sich ebenso männlich, wie wenn sie für Ballett schwärmen.“

Pickert ist davon überzeugt: „Jungen verdienen viel mehr als das, was ihnen heute angeboten wird. Sie verdienen Körperkontakt, Mitgefühl, Trost und Einhornglitzer. Sie verdienen es, Prinzessinnenjungs sein zu dürfen.“