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TV-Moderator Jo Schück„Freundschaften sollten staatlich gefördert werden“

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Der Journalist und Fernsehmoderator Jo Schück („Aspekte“, ZDF).

  1. Der Journalist und Fernsehmoderator Jo Schück („Aspekte“, ZDF) hält Freundschaften für die nachhaltigste Beziehungsform. Sie biete Freiheit und Halt gleichzeitig.
  2. Ehe und Kernfamilie dagegen werden unwichtiger und passen nicht in unser schnellebiges Zeitalter. Die Freundschaft könne als Kitt für die Gesellschaft fungieren.
  3. Warum Schück sogar eine staatliche Förderung von Freundschaften fordert, erklärt er uns im Interview.

Köln – „Freundschaften sind wie ein Bücherregal. Wir müssen es zwischendurch einmal abstauben, Bücher aussortieren, manche Bücher gehen weg, neue kommen hinzu, in manche Bücher schauen wir häufiger hinein als in andere und manche bleiben ein Leben lang. Dieses Regal muss aber gepflegt werden“. So beschreibt Jo Schück die platonische Liebe in seinem neuen Buch „Nackt im Hotel. Warum Freundschaft der Liebe den Rang abläuft”. Schück ist davon überzeugt, dass sie die beste Beziehung für unser schnelllebiges Zeitalter ist und sie allein es sein wird, die uns und unsere Gesellschaft rettet. Das lassen wir uns im Interview erklären.

Was bedeutet Freundschaft für Sie?

Jo Schück: Sie ist die Beziehungsform, die gleichzeitig das höchste Maß an Freiheit und Stabilität, bedingungslosem Fallenlassen und Halt gewährleisten kann. Sie passt am besten in diese schnelle Zeit, die viele Menschen in eine Orientierungslosigkeit stürzt und in der wir trotzdem nach Freiheit streben, denn sie lässt uns frei sein und bietet uns gleichzeitig Halt.

Sie schreiben in ihrem Buch, dass Freundschaften keine Regeln haben. Fans der Serie „How I Met Your Mother“ werden Ihnen vielleicht widersprechen – schließlich gibt es in der Serie den sogenannten „Bro-Code“ (auf deutsch etwa „Bruder-Kodex“) mit vielen Regeln für platonische Beziehungen.

Schück: Man muss natürlich fragen, wie ernstzunehmend der „Bro-Code“ des Barney Stinson ist. Die romantische Liebe hat viel mehr ungeschriebene Regeln, die Ehe als ihre Institutionalisierung hat sogar schriftliche Verträge, es gibt eigene Behörden, sogar ein Ministerium. In der Freundschaft gibt es höchstens ungeschriebene Regeln wie „Schlafe nicht mit der Frau, deines besten Freundes“. Es gibt aber keine Gesetze und wir können sie nicht vor Gericht einklagen oder sagen, dass jemand einen Vertrag gebrochen hätte. Freundschaft ist so freiheitlich, dass auch ein Barney Stinson kein Regelwerk ausarbeiten kann. Im Grunde ist sie regellos, beziehungsweise jeder muss seine Regeln für sich selbst ausarbeiten.

Sie halten Freundschaften für nachhaltiger als Liebe. Doch ist sie nicht auch nur eine Beziehung, die mal hält, mal zerbricht oder über die Jahre zerfällt?

Schück: Eine Liebesbeziehung besteht in der Regel zwischen zwei Personen und hält statistisch gesehen nur selten ein Leben lang. Sie ist wie ein Bindfaden: Wenn er reißt, stürzen beide oder zumindest einer von beiden ins Bodenlose.

Ein freundschaftliches Netzwerk hingegen besteht aus vielen und ist mit einem Spinnennetz vergleichbar – ob es einen Faden mehr oder weniger hat, verringert nicht seine Stabilität. Heißt: Wenn Freundschaften zerbrechen, sogar mit einem Knall zu Ende gehen, haben wir noch ein Netz aus anderen Freunden, welches uns auffängt. Das macht platonische Beziehungen nachhaltiger als eine einzelne romantische Liebesbeziehung.

In der aktuellen Corona-Krise zeigt sich doch aber, wie wichtig unsere Familien und Partner oder Partnerinnen für uns sind. Verlieren unsere Freunde ihre wichtige Stellung?

Schück: (Liebes-)Beziehungen, die vor Corona schon schwierig waren, sind durch Corona noch schwieriger geworden. Ich erlebe, dass der Kontakt zu den wichtigen Freunden und Freundinnen zum Beispiel über Videotelefonate intensiviert wird. Ich habe mit meinen Freunden zum Teil regelmäßiger Kontakt als vor der Corona-Krise. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir in Krisenzeiten Sehnsucht nach Kontakten haben, bei denen wir uns nicht erklären müssen und die uns ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln.

Zudem zeigt sich gerade in der Krise: Familien, die sich in solidarischen Netzwerken organisieren, über verschiedene Haushalte hinweg, bewältigen diese Krise leichter. Stichwort: Gemeinschaftliches Wohnen und Leben. Das ist übrigens nicht Neues: Schon in der Steinzeit haben sich Menschen in Horden oder Dorfgemeinschaften organisiert.

Durch die Krise wissen wir, was wir an unseren Freunden haben.

Schück: In Krisenzeiten spielen Freunde eine noch größere Rolle. Viele Menschen merken, dass sie ihr Netzwerk auffängt. Wir müssen bedenken, dass es in Deutschland immer mehr Singles gibt – in Großstädten haben wir jetzt schon eine Quote von 50 Prozent Single-Haushalten. Sie haben alle keinen Partner, keine Partnerin, keine Familie in der Nähe – sie sind auf ihr freundschaftliches Netzwerk angewiesen, um nicht zu vereinsamen. Solidarität wird hier wichtiger denn je.

Doch die Statistik verrät: Heute heiraten nicht weniger Menschen als noch vor 30 Jahren.

Schück: Ich bin selbst verheiratet – glücklich. Ich habe nichts gegen die Ehe als Konzept und finde es gut, dass der Staat verheiratete Paare und Familien finanziell unterstützt. Ich glaube nur, dass wir darüber hinaus noch weitere Modelle entwickeln müssen. Die Ehe ist ein Ausdruck dieser Monstranz der romantischen, monogamen, heterosexuellen Liebe, die wir seit Jahrhunderten vor uns hertragen. In meinem Umfeld gibt es immer noch Menschen, die ihr komplettes Glück vom perfekten Partner abhängig machen. Das halte ich nicht für gesund. Liebe ist zwar gut, aufregend und wahnsinnig schön, sie bereichert das Leben und macht es bunt. Sie ist aber nicht die einzige Beziehungsform, auf die wir setzen sollten.

Heute sind wir finanziell und gesellschaftlich nicht zwingend an Ehe oder Familie gebunden. Doch wichtig sind uns Partner, Partnerinnen, Geschwister und Eltern trotzdem noch. Haben sich diese Beziehungen nicht sogar verbessert, weil wir um ihre Fragilität wissen?

Schück: Ich möchte niemandem sagen, dass er seine Liebesbeziehung gegen eine Freundschaft tauschen sollte. Wer bin ich, dass ich das täte? Freundschaft bedeutet für mich auch Solidarität – Liebesbeziehungen und familiäre Bande sind eine Spezialform davon. Wenn ich die Liebe als eine Spezialform der Freundschaft sehe, dann ist es doch toll, wenn ich meine beste Freundin heirate.

Sprüche wie: „Blut ist dicker als Wasser!“ sind aber nicht mehr zeitgemäß – denn was familiär, was verwandtschaftlich, was freundschaftlich ist, ist gesellschaftliche Verhandlungsmasse. Bestes Beispiel: Adoption. Wir haben uns als Gesellschaft geeinigt, dass wir nicht-blutsverwandte Kinder genauso behandeln wie blutsverwandte. Wir haben per Gesetz festgelegt, was Familie ist und was nicht. Für viele ist die „chosen Family“ (selbstgewählte Familie), also die besten Freunde, genauso wichtig.

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Jo Schück, „Nackt im Hotel. Warum Freundschaft der Liebe den Rang abläuft”, Dtv, Bold, 14, 90 Euro

Foto: Dtv, Bold

Sie gehen noch einen Schritt weiter und sagen, Freundschaft hält alles zusammen. Wie meinen Sie das?

Schück: Gemeinschaftliche Lebensmodelle sind im Aufwind: Wohngemeinschaften, Bauen und Leben. Wenn wir davon ausgehen, dass wir in Zukunft mehr ältere Singles haben, müssen wir uns überlegen, wie wir die Menschen zusammenbringen, wenn wir nicht möchten, dass sie in ihren Séparées vor sich hin vegetieren. Wer über den Kitt der Gesellschaft nachdenkt, kommt an Freundschaft nicht vorbei. Bedeutet auch: Wir müssen uns überlegen, ob wir das nicht staatlich fördern wollen.

Das heißt, wir sollten Freundschaft gesellschaftlich einen höheren Stellenwert einräumen und sie staatlich fördern?

Schück: Viele Soziologen reden von der Singularisierung der Gesellschaft und seit Jahren diskutieren wir darüber, wie es zu schaffen ist, dass die deutsche Gesellschaft zusammenhält. Wenn wir sehen, dass Kernfamilien ein Auslaufmodell sind, Scheidungsraten ungebrochen hoch sind und es immer mehr Singles gibt, dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, als darüber nachzudenken, wie wir den Laden zusammen halten können. Die Lösung: Freundschaft und solidarische Netzwerke. Sie bieten uns die Stabilität und die Freiheit, die wir brauchen.

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„Freundschaft ist Heimat“ schreiben Sie – es ist also nicht so wichtig wo wir sind, sondern mit wem?

Schück: Absolut. Ich habe aus eigener schmerzlicher Erfahrung gemerkt, dass ich an bestimmten Weggabelungen, die es im Leben so gibt, zu wenig darauf geachtet habe, dass meine engsten Freunde auch geografisch nah bei mir sind. Eigentlich ist es für mich nicht wichtig, wo ich lebe, solange ich Menschen dort habe, denen ich vertraue. Heimat ist da, wo Freunde sind – ganz eindeutig.