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„Du verwöhnst ihn!“Warum Eltern und Großeltern so oft über Kindererziehung streiten

Lesezeit 7 Minuten
Oma nimmt der Mutter das Baby ab.

„Nein, du musst ihn so nehmen...“: Wenn es um Erziehung geht, dann gibt es vor allem zwischen Großmüttern und Müttern oft Zwist.

„Also, wir haben das damals ja ganz anders gemacht!“ Kaum ist das Baby auf der Welt, müssen sich junge Eltern von den Großeltern einiges anhören. Wenn es um Erziehung geht, rasseln die Generationen häufig aneinander. Aber warum eigentlich? Sind die Jungen zu dünnhäutig oder die Älteren zu forsch? In ihrem Buch „Bei meinem Kind mache ich das anders“ zeigt Anna Hofer Wege auf, wie neue und alte Eltern gut miteinander umgehen können. Ein Gespräch.

Die Großeltern sind zu Besuch und es hagelt Kommentare zum Umgang mit dem Baby. Warum bringt das neue Eltern so aus der Fassung?

Anna Hofer: Neue Mütter und Väter sind noch unsicher und müssen erst in ihre neue Rolle reinwachsen. Sie wissen noch gar nicht, wo ihre Grenzen liegen und fragen sich sowieso schon, ob sie alles richtig machen. In der Wochenbettzeit fahren die Emotionen zudem Achterbahn. Wenn dann noch ein Kommentar von der Familie kommt, ist das emotionale Chaos perfekt. Da können kleine Kieselsteine eine große Lawine auslösen.

An welchen Erziehungsthemen entzündet sich oft der Streit der Generationen?

Porträtbild von Anna Hofer

Anna Hofer arbeitet als Stillberaterin und gibt u.a. Workshops zum Thema „Psychische Krisen im ersten Elternjahr“. Sie ist Mutter und lebt in Köln.

Der erste Streit entbrennt oft schon an der Frage, wann die Großeltern das Baby endlich sehen dürfen. Junge Eltern wollen vielleicht noch keinen Besuch. Die Vorstellung, jemanden ins Chaos zuhause einzuladen oder mit einem Neugeborenen quer durchs Land zu fahren, stresst sie enorm. Das verstehen Oma und Opa nicht immer. Auseinandersetzungen gibt es auch oft darüber, wie das Baby isst, schläft oder beruhigt wird. Wenn das Kind weint und die Mutter schnell zu ihm eilt, heißt es dann gerne: „Euer Kind hat euch ganz schön im Griff!“

Liegt das Problem darin, dass der Erziehungsstil heutiger Eltern oft ganz anders ist als der der Großeltern?

Von den heutigen Großeltern sind viele ja Teil der 68er-Generation, sie haben in der Erziehung bereits viel verändert, vor allem im Vergleich zur Urgroßelterngeneration. Gerade deshalb können sie oft schwer verstehen, warum ihre Kinder jetzt wieder ganz anders erziehen. Es gibt heute aber auch ganz neue Ansätze wie etwa die bedürfnisorientierte Erziehung, die auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen.

Warum ist es so schwer für heutige Großeltern, wenn ihre Kinder anders erziehen?

Wenn aus Kindern Eltern und aus Eltern Großeltern werden, verändern sich auch die Machtverhältnisse und das Gefüge in der Familie. Die Großeltern treten einen Schritt zurück und schauen dabei zu, wie ihre eigenen Kinder Eltern werden. Die wiederum sind ab da für die Beziehungspflege zwischen den Enkeln und den Großeltern verantwortlich und geben den Takt vor, wie oft man sich sieht.

Wenn neue Eltern gewisse Dinge in der Erziehung bewusst anders machen, fassen das manche Großeltern als indirekte Kritik auf, dass sie ihre eigene Elternrolle damals nicht richtig erfüllt haben. Das kann sie verunsichern, verletzen oder Schuldgefühle auslösen. Es geht für die ältere Generation ja auch um das eigene Selbstbild. Und darum, sagen zu können: „Das haben wir schon gut gemacht mit unseren Kindern.“

Der Hauptkonflikt besteht dabei zwischen Müttern bzw. Schwiegermüttern und Töchtern bzw. Schwiegertöchtern, weil sich Frauen gesellschaftlich immer noch stärker über die Rolle als Mutter identifizieren. Ältere Mütter vergleichen sich mit ihren Töchtern oder Schwiegertöchtern. Kommen sie in diesem Vergleich nicht gut weg, entsteht nicht selten ein komisches Versagensgefühl im Bauch.

Und aus diesem Gefühl heraus kommt es zu Auseinandersetzungen?

Cover des Buches „Bei meinem Kind mache ich das anders“

Anna Hofer/Karin Bergstermann: „Bei meinem Kind mache ich das anders“, Beltz Verlag, 2022

Ja, das kann zu Abwehrreaktionen und Aggressionen bei den Großmüttern führen und in einen sehr irrationalen Konflikt münden, in dem es nur vordergründig um Erziehung geht. Manchmal brechen bei den Omas alte Verletzungen auf. Das sind jedoch emotionale Baustellen, an denen sie selbst arbeiten müssen. Die erwachsenen Kinder sind nicht dafür verantwortlich, Wunden aus der Vergangenheit für sie zu schließen.

Warum fällt es jungen Eltern wiederum so schwer, klare Ansagen zu machen?

Sie wollen ihre Eltern nicht verletzen und haben Angst vor dem Urteil ihrer Familie. Ihnen ist wichtig, was ihre Eltern und Schwiegereltern denken. Gerade jungen Erwachsenen, die sich noch nicht richtig von ihrem Elternhaus gelöst haben, fällt es schwer, Grenzen zu setzen. In meinen Beratungen berichten mir Mütter oft, dass sie sich auch heute noch wie fünf fühlen, wenn ihre Mutter auch nur den Tonfall ändert oder die Augenbraue hochzieht.

Kommt dadurch vieles bei den Töchtern anders an, als es gemeint ist?

Das kann passieren. Wenn es zum Beispiel mit dem Stillen nicht klappt, kommt von der Mutter vielleicht der Satz: „Du hast auch die Flasche bekommen, also mach dich doch jetzt nicht so verrückt.“ Damit will die Mutter vielleicht besänftigen und der Tochter den Druck nehmen. Die versteht aber etwas ganz anderes, nämlich dass sie sich zu sehr verrückt macht. Eine unglückliche Formulierung. Es kommt immer darauf an, was die neuen Eltern im Kommentar hören. Statt es als Vorwurf zu sehen, könnte man vieles auch einfach als Interesse wahrnehmen oder den guten Willen dahinter sehen.

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Es gibt ja auch Großeltern, die wirklich wissen wollen, warum die Kinder es anders machen, oder?

Natürlich. Im besten Falle kommen die Älteren dann ins Gespräch mit ihren erwachsenen Kindern, hören zu und reflektieren sich selbst. Die ältere Generation fragt vielleicht: „War es denn alles so falsch, wie wir es damals gemacht haben?“ Die Kinder können dann antworten, dass es hier gar nicht um Vorwürfe geht, man aber heute eben andere Dinge über Erziehung weiß. Bleiben die Generationen im Austausch, kann etwas sehr Positives herauskommen.

Wie können Großeltern noch zu einem guten Verhältnis beitragen?

Sie können nie etwas falsch machen, wenn sie die jungen Eltern vorher fragen. Nicht groß ankündigen „Den Kinderwagen übernehmen wir!“, obwohl die Kinder vielleicht gar keinen wollen, sondern lieber fragen: „Was können wir euch Gutes tun?“ Dann sollten sie aber auch wirklich offen sein für die Antworten der neuen Elterngeneration, die vielleicht das angebotene Geld in der Wochenbettzeit lieber in den Lieferservice eines Supermarktes stecken möchte.

Wie können junge Eltern ihre Sicht gut erklären?

Sie sollten niemals belehren oder verteufeln und etwa zu den Großeltern sagen: „Kinderwagen, pah, das war vielleicht bei euch noch in, bei uns trägt man das Baby!“ Stattdessen geht es darum, mit Empathie zu kommunizieren und sich vielleicht auch für die Erfahrungen der Eltern zu interessieren. Dann aber auch klar die eigenen Wünsche deutlich zu machen. „Ich möchte mein Baby lieber tragen.“ Dann hat man durch das Gespräch eine Bindung aufgebaut, die eigentlich keine Konfliktspur mehr hat.

Es gibt auch Eltern, die keine so gute Kindheit hatten und bewusst vieles anders machen wollen. Wie gehen sie mit Kommentaren um?

Ich möchte vorneweg sagen, es soll hier nicht um Extremfälle gehen, bei denen es in der Kindheit Missbrauch und Gewalt gegeben hat, sondern um Generationenbeziehungen, wie sie viele von uns kennen. Aber auch da gibt es Persönlichkeiten, die beratungsresistent sind oder Streits, die immer wieder aufflammen und sich nicht lösen lassen. Dann kann es auch klüger sein, Konflikte in der Luft verpuffen zu lassen und auf manche Kommentare nicht zu reagieren. Wenn die Oma sagt „Du nimmst das Baby viel zu oft hoch, du wirst schon noch sehen, was du davon hast!“, kann die junge Mutter diese Aussage ja im Raum stehen lassen und das Kind trotzdem hochnehmen.

Viele heutige Eltern haben ganz andere Voraussetzungen als ihre Eltern damals, auch das kann ein Konfliktpunkt sein, oder?

Ja. Da prallen Generationen aufeinander, die in einer ganz anderen Zeit gelebt und gearbeitet haben. Heutige Familien können nicht mehr so viel vorhersehen und nicht so leicht selbständig zu Wohlstand kommen wie vergangene Generationen. Trotzdem müssen sie sich häufig die Nachfrage gefallen lassen, warum sie kein Auto oder kein Haus mit Garten haben. Für die junge Generation ist das nicht leicht, sie hat oft ein schlechtes Gewissen und das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen für den eigenen Lebensentwurf. Hier geht es auch wieder darum, den Großeltern die Gründe für die eigene Situation so wertfrei wie möglich und ohne emotionale Schärfe zu erklären.