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Asperger-Autistin erzählt„Ich hörte oft, dass ich nicht richtig auf dieser Welt bin“

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Die 26-jährige Veronique Kouchev aus Aachen ist Asperger-Autistin. 

Köln – Veronique Kouchev merkt schon in der ersten Klasse, dass sie anders ist als die anderen Kinder. In der Schule ist es ihr zu laut und zu chaotisch, sie weiß oft nicht, wie sie sich anderen gegenüber verhalten soll, kann die Gefühle von Mitschülern nicht lesen und eckt ständig an. Lehrer und Pädagogen sind mit ihr überfordert, in der Pause bleibt sie für sich. Nach der Schule braucht sie viel Abstand von der Außenwelt, bleibt am liebsten alleine in ihrem Zimmer und malt. Warum sie so schlecht mit anderen klarkommt, versteht sie nicht, sieht den Fehler bei sich. Mit 17 Jahren bekommt das Gefühl, falsch zu sein, endlich einen Namen: Kouchev hat Asperger-Autismus.

Wie äußert sich Autismus und was ist das Asperger-Syndrom?

Das Asperger-Syndrom ist nach dem Wiener Kinderarzt Hans Asperger benannt, der 1944 vor allem bei Jungen erstmals einheitliche Verhaltensweisen entdeckte. Als typische Merkmale des Asperger-Syndroms gelten ein Mangel an Empathie, Schwierigkeiten, Freundschaften zu schließen, eine pedantische, repetitive Redeweise, unbeholfene Bewegungen und sonderbare Körperhaltungen. Die Betroffenen können sich schlecht in andere hineinversetzen und haben Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion, weil sie zum Beispiel Gesagtes wörtlich nehmen, keine Ironie verstehen und nonverbale Signale nicht deuten können. Anderen in die Augen zu schauen, fällt ihnen schwer.

Die meisten Asperger-Autisten entwickeln eine ausgeprägte Kompetenz in einem ganz speziellen Bereich. Darüber zu reden gibt ihnen Sicherheit und verschafft ihnen ein Gefühl von Kontrolle und Ordnung. Sie fühlen sich sicherer, wenn sie ihr Fachwissen in ein Gespräch einbringen können, da sie nicht verstehen, wie absichtslose, lockere Kommunikation funktioniert. Nach und nach erlernen Betroffene die Regeln des Sozialverhaltens, aber nicht durch Intuition, sondern durch Imitation. Erwachsene mit dem Asperger-Syndrom kommen deshalb meist besser zurecht. In der Pubertät dagegen können sich die Symptome zunächst verstärken.

Zum Weiterlesen

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Veronique Kouchev: Das Anders gehört zu mir. Mein Leben mit Asperger-Autismus, Eden Books, 253 Seiten, 17,95 Euro

Tony Attwood: Das Asperger-Syndrom. Das erfolgreiche Praxis-Handbuch für Eltern und Therapeuten, Trias Verlag, 229 Seiten, 24,99 Euro

Forschungen zeigen, dass das Durchschnittsalter für die Diagnose bei acht Jahren liegt, doch reicht die Altersskala von Kleinkindern bis hin zu Erwachsenen. Bis vor kurzem wurde zwischen frühkindlichem Autismus, dem Asperger-Syndrom und atypischem Autismus unterschieden. Heute wird meist nur noch der Begriff „Autismus-Spektrum-Störung“ als Oberbegriff für das gesamte Spektrum autistischer Störungen verwendet. Die Autismus-Spektrum-Störung geht auf eine Dysfunktion der spezifischen Strukturen und Systeme des Gehirns zurück.

Wie lebt Veronique Kouchev mit dem Asperger-Syndrom?

„Oft hörte ich das Vorurteil, dass ich arrogant wirke oder nicht richtig auf dieser Welt bin“, schreibt Kouchev in ihrem gerade erschienenen Buch „Das Anders gehört zu mir. Mein Leben mit dem Asperger-Autismus“, in dem sie einen detaillierten Einblick in ihre Kindheit, Jugend und auch die Gegenwart gibt. Vor allem ihre Schulzeit arbeitet sie im Buch ausführlich auf. Vielleicht deshalb, weil die Diagnose erst an deren Ende feststand und Kouchev viele Jahre in der Schule gelitten hat.

Der klinische Psychologe Tony Attwood hat dafür eine Erklärung. Er hat sich auf die Behandlung des Asperger-Syndroms spezialisiert und das Praxis-Handbuch „Das Asperger-Syndrom“ für Eltern und Therapeuten herausgebraucht. Darin schreibt er, dass betroffene Kinder meist wenig Interesse für Dinge haben, die Gleichaltrige mögen. Wenn sie doch mal an einem gemeinsamen Spiel teilnehmen, wollen sie das Geschehen nach ihren Regeln beherrschen.

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Weil sie Schwierigkeiten mit den ungeschriebenen Regeln des Sozialverhaltens haben, tun sie oft unabsichtlich Dinge, die andere Menschen kränken oder ärgern. An einmal erklärte Verhaltensregeln halten sie sich pedantisch genau, eine Veränderung kann zu innerer Qual führen. „Oft wirken betroffene Kinder, als hätten sie kein Mitgefühl. Dabei haben sie meist nur Schwierigkeiten, ihren eigenen Gefühlen Ausdruck zu verleihen oder sind verwirrt von den Gefühlen der anderen“, schreibt Attwood. Alles keine Eigenschaften, mit denen man gut unter Gleichaltrigen zurechtkommt.

Die Ordnung der gespitzten Stifte gibt Ruhe

So ergeht es auch Kouchev. Die Zeit in der Schule ist für sie eine einzige Qual. Nachmittags findet sie Ruhe beim Zeichnen und Lesen allein in ihrem Zimmer und braucht die Ordnung ihrer gespitzten und sortierten Stifte, um sich aufgehoben zu fühlen. Wenn sie doch mit anderen zusammen sein muss, versucht sie stets, sich ihnen anzupassen und deren Verhalten nachzuahmen, was sehr anstrengend für sie ist und sie auch oft überfordert. Sie wird dann laut und manchmal auch aggressiv, versteht aber nicht, was mit ihr los ist: „Manchmal fing ich in einem Moment an zu weinen und verspürte im nächsten Moment unbändige Wut. Ich steigerte mich in meine Gefühle hinein und schrie und weinte immer heftiger.“

Motorisch unbeholfen, empfindlich für Geräusche und Licht, loyal und gerecht

Viele Kinder mit Asperger-Syndrom zeigen zusätzlich zu den oben genannten Symptomen eine motorische Unbeholfenheit. Sie sind schlecht im Sportunterricht, haben Probleme mit dem Gleichgewicht, können schlecht Schnürsenkel binden und haben eine unleserliche Handschrift.

Hilfe für Betroffene

Autismus Deutschland e.V., Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus

Spezialambulanz Autismus an der Uniklinik Köln

Leben mit Autimus e.V., Bonn/Rhein-Sieg/Eifel

Autismus Köln/Bonn e.V.

Autismus Therapie Zentrum Köln

Autismus Therapie Zentrum Bonn

FIAM e.V., Verein zur Förderung und Interaktion autistischer Menschen e.V.

Integrationszentrum MAut – Menschen mit Autismus

Selbsthilfeverein von Menschen mit dem Asperger-Syndrom

Ebenfalls sind sie oft sehr empfindlich gegenüber Lärm, bestimmten Geräuschen, Gerüchen, Licht, Farben oder auch Berührungen. Auf der anderen Seite scheinen sie Schmerzen und extreme Temperaturen weniger stark zu spüren als andere. Als besonders positive Eigenschaften hebt Attwood in seinem Buch Aufrichtigkeit, Begeisterungsfähigkeit, Loyalität, Zuverlässigkeit und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hervor.

Späte Diagnose vor allem bei Frauen

Etwa viermal so viele Jungen wie Mädchen erhalten die Autismus-Diagnose. Nach Attwoods Meinung liegt das vor allem daran, dass Jungen im Allgemeinen mehr soziale Defizite und eine Tendenz zu störendem und aggressivem Verhalten haben. Mädchen neigten dagegen eher dazu, sich in das soziale Zusammenspiel einzufügen und seien eher dazu imstande, sozialen Handlungen zu folgen und diese zu imitieren. „Sie leben in ihrer Fantasiewelt und üben keinen störenden Einfluss auf die Klasse aus“, sagt Attwood.

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Veronique Kouchev mit ihrem Freund.

Auch Kouchev ist davon überzeugt, dass Autismus bei vielen Frauen oft erst spät diagnostiziert wird, weil sie sich besser ihrem Umfeld anpassen können und auf diese Weise die Symptomatik unentdeckt bleibt. Sie selbst erhält erst mit 17 Jahren die Diagnose, nachdem sie bereits mehrere Schulwechsel, psychologische Gutachten und Jahre in einer Fördergruppe hinter sich hat. Für sie ist es eine Erleichterung, endlich zu wissen, was mit ihr los ist: „Jedes Wort, das aus dem Mund der Psychologin kam, war wie Gold für mich. In allem, was sie sagte, erkannte ich mich wieder und fühlte mich zum ersten Mal verstanden.“

Nach der Diagnose läuft das Leben der heute 26-Jährigen besser. Sie befasst sich ausführlich mit dem Asperger-Syndrom, macht eine Therapie und eine Ausbildung zur Grafikdesignerin. Heute studiert sie Kommunikationsdesign und arbeitet freiberuflich. In Aachen lebt sie gemeinsam mit ihrem Partner und hat auch eine Hündin, die ihr dabei hilft, bei sich zu bleiben. Rückblickend sagt sie heute: „Über die Jahre hinweg sammelte ich viele wertvolle Erfahrungen, die mir dabei helfen, besser im Leben zurechtzukommen. Nicht alle diese Erfahrungen waren schön. Trotzdem am Ball zu bleiben war die größte Challenge.“