Allein mit Kindern in der StadtWarum es mir fehlt, meine Familie in der Nähe zu haben
Köln – Meine Kinder rennen mit ihren Cousins und Cousinen durch den Garten, die Tante bringt Melone und Oma tröstet, wenn’s nötig ist. Jeder schaut nach jedem. Ach, könnte es nicht immer so sein?
Jedes Jahr, wenn ich aus dem Urlaub mit meiner Großfamilie heim komme und alle längst wieder in ihre weit entfernten Wohnorte zurückgekehrt sind, fällt mir besonders auf, wie sehr mir die Nähe meiner Verwandtschaft im Alltag fehlt. Zurück zuhause im Großstadtleben sind wir wieder „unter uns“, mein Mann und die Kinder. Und der tägliche Kampf, Arbeit und Familie alleine zu stemmen. Ohne dass Oma kurz die Kinder nimmt, wenn mal wieder Stress im Büro ist. Ohne dass Opa kurz etwas in der Wohnung repariert. Ohne dass der Onkel die Kids samstags in den Wildpark entführt, damit wir etwas erledigen – oder gar verschnaufen können.
Ohne Familie stoßen Eltern oft an ihre Grenzen
Wenn ich mich umschaue, geht es ganz vielen jungen Familien so. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Haushalte, in denen drei oder mehr Generationen zusammenleben, zwischen 1995 und 2015 um 40,5 Prozent zurückgegangen. Immer mehr Eltern ziehen also Kinder groß, ohne Verwandte im Haus zu haben. Bei vielen sind sie nicht einmal in der Nähe.
Ohne diese familiäre Unterstützung kommen junge Eltern oft an ihre Belastungsgrenzen.
Besonders wenn im vollgestopften und gut getakteten Work-Life-Zeitplan etwas mal nicht so läuft: ein Kind krank wird, man selbst ausfällt, zusätzliche Arbeitsstunden im Nacken sitzen oder man bei der Erziehung nicht mehr weiter weiß. Dann kommt schnell die Verzweiflung hoch: Wer hilft nur mit den Kindern? Wie sollen wir das alles alleine schaffen?
Früher half „das Dorf“ bei der Betreuung mit
Es gibt dieses bekannte afrikanische Sprichwort, das an dieser Stelle gut passt: „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“ Es sagt aus, dass es eben mehrere Menschen im Leben eines Kindes geben muss, die es begleiten, formen und mit erziehen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es vielerorts gang und gäbe, dass sich Mütter in Dorfgemeinschaften zusammentaten, gemeinsam die Kinder betreuten, sich unterstützten. Und die ältere Generation den Nachwuchs mit im Auge hatte.
In vielen häufig ländlichen Gegenden der Welt wachsen Kinder auch heute noch in Großfamilien oder Dorfgruppen auf. Selbst in meiner Kindheit war das noch häufiger Realität. Bei mir lebten sogar alle Verwandten in der Nähe, ständig war jemand da. Ich fand das schön. Meine Großeltern, Tanten und Onkel haben mich entscheidend mit geprägt. Heute gibt es das immer seltener.
Bindung zur Oma über die Distanz schwierig
Dass meine Eltern und Geschwister so selten live mitbekommen, wie meine Kinder aufwachsen, macht mich traurig. Denn es geht ja nicht nur um die rein praktische Hilfe sondern auch um die emotionale Bindung zu den Kindern, die über die Distanz hinweg schwieriger ist – trotz Facetime und Wochenendtrips in die Heimat. Wie häufig meine Kids doch spontan zur Oma fahren wollen. Wie viel sie davon profitieren würden, ihre Verwandten als Bezugspersonen regelmäßig um sich zu haben. Was sie alles von ihnen lernen könnten, das wir als Eltern nicht geben können.
Schmerzhafter Preis für die individuelle Mobilität
Ein Leben weit weg von der Familie, das ist der schmerzhafte Preis, den einige von uns für all die Mobilität und die Freiheiten zahlen, die es heute gibt. Sind wir nicht doch auch ein bisschen selber schuld: Wer wollte denn „die Welt sehen“ und aus der Heimat weg, um in der großen Stadt zu studieren? Wer möchte denn unbedingt all die Vorzüge der Großstadt behalten? Gleichzeitig sind wir oft auch „Opfer“ der neuen Zwänge, die diese globalisierte Welt mit sich bringt. Wir müssen wegen eines Jobs ans andere Ende der Republik ziehen. Oder verlieben uns über Städte- und Landesgrenzen hinweg.
Ich bin dankbar, dass es für mich die Möglichkeit gab, meinen Interessen und Wünschen zu folgen und dort zu leben, wo ich mich wohl fühle. Und trotzdem leide ich darunter, meine Familie und auch die besten Freunde von früher nicht in der Nähe zu haben. Das macht einfach vieles schwerer - im Herzen und im Alltag.
Freunde, Nachbarn und Kita-Eltern als Netzwerk
Und es bringt neue Probleme und Aufgaben mit sich. Denn wenn das eigene „Dorf“ im tatsächlichen Dorf geblieben ist, muss man sich vor Ort aktiv eines aufbauen. Das bedeutet, Freunde und Unterstützer zu finden und ein Hilfs-Netzwerk zu errichten. Das ist nicht immer leicht und hat oft mit Glück und nicht selten mit Geduld zu tun.
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Für meine Kinder ist die Kita inzwischen eine „zweite Familie“ geworden. Nicht nur, weil sie dort sehr viel Zeit mit ihren Freunden und deren Geschwistern verbringen, die mit der Zeit den Status von Cousins und Cousinen bekommen. Sondern auch, weil mit den anderen Kita-Eltern längst ein Ersatz-Familien-Netzwerk entstanden ist. Wenn alle auf sich allein gestellt sind, muss man sich eben zusammen tun. Beim Betreuen, beim Rat geben, beim Leben bewältigen. Das fängt im Prinzip schon im Baby-Krabbelkurs an. Später geht es dann weiter mit Fahrgemeinschaften zum Fußballtraining oder festen Spiel-Dates, bei denen abwechselnd die eine Mama arbeitet, während die andere betreut.
Hilfe durch Babysitter, Leih-Omas und Au Pairs
Auch Nachbarn bekommen plötzlich eine viel größere Bedeutung. Was für ein Segen, wenn das Verhältnis gut ist und das Kind mal schnell zum Spielen runtergehen kann, wenn man etwas erledigen muss - oder einfach mal eine Pause braucht. Eine gute, wenn auch oft teure, Betreuungshilfe können außerdem Babysitter, Leih-Omas und -Opas oder Au Pairs sein. So kann aus der kleinen Familie auf Dauer eine große werden.
Wenn es gut läuft, empfindet man diese „Notgemeinschaften“ irgendwann tatsächlich als zusätzliche Familie. Und freut sich trotzdem, wenn die echten Oma und Opa endlich mal wieder zu Besuch kommen.