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Unterwegs mit BehinderungReisen im Rollstuhl - „Wichtig ist nur: Was gefällt mir?“

Lesezeit 8 Minuten
Lilli Schickel liebt Reisen - von ihrer Krankheit lässt sie sich dabei nicht einschränken.

Lilli Schickel liebt Reisen - von ihrer Krankheit lässt sie sich dabei nicht einschränken.

Ja, es erfordert Planung, wenn Rollstuhlfahrende auf Reisen gehen. Doch die körperliche Behinderung muss die Reiselust nicht einschränken - wie zwei Menschen zeigen, die hier ihre Erfahrungen teilen.

Lilli Schickel geht bei der Auswahl ihrer Urlaubsziele bewusst sehr blauäugig heran. „Wir gucken mal, was wird, sage ich immer.“ Es ist ein erstaunlicher und erfrischender Satz, denn Lilli Schickel sitzt im Rollstuhl. Gucken, was wird: Das kann für sie ein Wagnis sein. Doch es bietet zugleich die Chancen auf Erlebnisse, die sich aus Gegebenheiten vor Ort heraus bieten.

So wie auf Mallorca. Als sie dort mit anderen Urlaub machen wollte, hat Lilli Schickel vorab nicht weiter recherchiert, was die Insel für sie bereithält. An einem Tag waren sie dort an der Playa de Palma unterwegs, der kilometerlangen Promenade südöstlich der Inselhauptstadt - und stießen auf einen Strandabschnitt, an dem auch Lilli Schickel gut baden kann. 

Mit Platten auf dem Sand, auf denen sie bis ans Wasser kommt. Mit Strandrollstühlen, in denen sie ins Wasser geschoben werden kann. „Das war echt Zufall, dass wir ihn entdeckt haben.“ 

Ihr E-Rollstuhl wiegt um die 200 Kilogramm, er versinkt im Sand. An nicht barrierefreien Stränden bedeutet das: Ihre Begleitpersonen müssen sie herausheben und tragen. Oft helfen auch umstehende Leute, wenn man sie fragt, erzählt sie – vor allem Männer.

Die 23-Jährige reist gern und möchte sich nicht von ihrer Krankheit einschränken lassen: Sie hat spinale Muskelatrophie, Muskelschwund im Volksmund. Lilli Schickel kann nicht laufen, sie ist auf ihren Rollstuhl angewiesen - auch auf Reisen. 

So absichtlich blauäugig sie bei der Wahl der Reiseziele herangehen mag: Sie kennt die Probleme, die auf Flügen, in Zügen oder in Hotels warten können. Und weiß entsprechend genau, wie sie ihre Reisen planen muss und wie viel Vorbereitung das mitunter erfordert.

Fliegen: Hilfebedarf rechtzeitig anmelden

Beim Fliegen zum Beispiel ist es mit der Ticketbuchung für Rollstuhlfahrer nicht getan. Sie müssen ihren Hilfebedarf bis 48 Stunden vor dem Flug anmelden, und dafür spezifische Formulare ausfüllen. Welcher Batterietyp ist im Rollstuhl verbaut? Wie groß sind die Maße? Welches medizinische Übergepäck hat man dabei? Dieses Übergepäck ist kostenlos, Begleitpersonen müssen allerdings den vollen Ticketpreis zahlen.

Schickels Tipp: Wer die Anmeldeprozedur vor einen Flug einmal erledigt hat, packt alle Daten und Dokumente digital in einen Ordner und hat diesen unterwegs parat. Denn es kommt nach ihrer Erfahrung immer wieder vor, dass die Airlines und Flughäfen sich nicht abstimmen – dann kann es passieren, dass der Flughafen nochmals alle Daten haben möchte, die man bei der Airline schon ins Formular eingetragen hat, erzählt sie.

Gut zu wissen: Airlines dürfen Buchungen und Beförderungen von Rollstuhlfahrern nicht per se ablehnen, das ist in einer eigenen EU-Verordnung explizit festgeschrieben. Eine Ausnahme: Die Maschine ist zu klein, was Lilli Schickel einmal passiert ist.

Zug fahren: verlässlich, aber manchmal anstrengend

Innerhalb Deutschlands reist die Verwaltungsangestellte oft mit der Bahn. Das ist praktisch für sie, denn sie wohnt zentral in München und hat es nicht weit zum Bahnhof. In den ICE und IC bucht sie einen der Rollstuhlplätze, von denen es aus ihrer Sicht in den Fernzügen mehr geben könnte – denn nicht immer ist auf ihrer Wunschverbindung noch einer frei.

Schickel ist bei den Fernzügen auf Einstiegshilfen angewiesen – sofern die Bahnen, wie manche Intercitys, nicht stufenlos befahrbar sind. Die Deutsche Bahn rät Rollstuhlfahrenden, den Einstiegsbedarf vor der Reise bei der Mobilitätsservice-Zentrale anzumelden, auch wenn das nicht verpflichtend ist. Lilli Schickel macht die Voranmeldung. Diese Kommunikation mit der Bahn empfindet sie persönlich oft als anstrengend. „Die Einstiegshilfen sind dann aber bisher immer da gewesen und waren auch sehr nett.“

Gut zu wissen: Im Nahverkehr können schwerbehinderte Menschen mit ihrem Ausweis und einer entsprechenden Wertmarke kostenfrei fahren, im Fernverkehr gibt es für sie bei der DB zumindest Ermäßigungen auf die Bahncard 25 oder 50, mit denen Zugbuchungen rabattiert werden. Anders als in Flugzeugen können angemeldete Begleitpersonen in Deutschland in der Bahn kostenfrei mitfahren.

Hotel: Wo ist das barrierefreie Zimmer?

Auch Hotelzimmer kann Lilli Schickel nicht nur danach auswählen, ob ihr das Ambiente gefällt oder das Zimmer Meerblick hat. Auf Mallorca war Schickel einmal in einem Hotel, wo sie in kein Zimmer mit dem Rollstuhl hereinkam – obwohl sie über ein Buchungsportal etwas Barrierefreies gebucht hatte. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin nahm sie die Sache kurzerhand selbst in die Hand und suchte nach Türen, die breit genug erschienen.

„Wir sind dann witzigerweise auf das barrierefreie Zimmer gestoßen, wovon das Hotel selbst nichts wusste“, sagt Schickel. Sie haben das Hotel quasi über deren barrierefreie Zimmer aufgeklärt. Ihr Tipp: Vorher anrufen, um solche bösen Überraschungen zu vermeiden.

Ungenaue Beschreibungen als Ärgernis

Auch Bernhard Endres hat seine Erfahrungen gemacht – und nicht immer waren sie gut. Der 63-Jährige ist beim Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter im Fachteam Tourismus tätig, reist gern und hat eine Zeit lang selbst eine barrierefreie Unterkunft vermietet. Seit einem Unfall Ende der 1980er-Jahre sitzt Bernhard Endres im Rollstuhl. 

Bei der Auswahl der Bleibe ist sein Credo: „Bilder sagen oft mehr als tausend Worte.“ Anbieter beschrieben ihre Unterkünfte oft blumig, obwohl sie gar nicht wirklich barrierefrei sind. Begriffe wie „barrierearm“ oder „bedingt rollstuhlgerecht“ seien ungenau und verwirrend – wenn dann noch die Bilder fehlen, wird es schwer mit der Auswahl.

Endres hat darum eine kleine Liste von Fragen notiert, die er stets an den Anbieter schickt, wenn er sich unsicher ist, ob die Unterkunft das bietet, was er braucht. Sein Tipp: Konkret nachhaken und Fotos nachfordern, das hilft, um Ungemach vor Ort zu vermeiden. 

„Die Ausstattung des Sanitärbereichs, vor allem ebenerdige Duschen und unterfahrbare Waschbecken, sind häufige K.-o.-Kriterien“, sagt er aus Erfahrung. Genauso wichtig sei die Höhe der Matratzenoberkante des Bettes, da viele mobilitätsbehinderte Menschen Hilfe beim Übersetzen ins Bett und zurück in den Rollstuhl benötigen.

Bernhard Endres lobt an der Stelle die Plattform Airbnb – oft seien die Inserate dort sehr bildreich, und mit mehr als zwei Dutzend Filter-Checkboxen rund um die Barrierefreiheit könne man bei der Suche mit einigen Klicks genau eingrenzen, was infrage kommt.

Andere Länder sind voraus

Persönlich reist Bernhard Endres gern nach Frankreich. „Meine Frau und ich sind leidenschaftliche Frankreich-Freaks, und wir gehen gern campen.“ Nicht in Zelten, sondern in barrierefreien Mobilheimen. In Frankreich findet man diese oft leichter, erzählt er. 

Geht es um Barrierefreiheit, sieht er andere Länder generell besser aufgestellt als Deutschland – weil auch die gesetzlichen Vorgaben dort strenger sind. Die skandinavischen Länder seien Beispiele dafür.

In Deutschland bündelt das Projekt «Reisen für alle» im Internet barrierefreie Angebote von Unterkünften bis zu Aktivitäten – je nach Region gibt es durchaus eine beachtliche Auswahl. Doch geht es nach Bernhard Endres, könnte noch mehr gehen: Aus seiner Sicht ist das Zertifizierungssystem zu kleinteilig. Mit einem auf weniger, aber wesentliche Punkte beschränkten Standard könnten noch mehr Angebote Eingang finden, glaubt er.

Eine weitere Anlaufstelle im Netz ist das Portal «Leichter reisen», das von einem Zusammenschluss verschiedener deutscher Tourismusregionen getragen wird – und barrierefreie Sehenswürdigkeiten, Unterkünfte und Aktivitäten auflistet, die es dort gibt. Entsprechend bildet das Portal nur einen kleinen Teil Deutschlands ab, dafür erfährt man zu den integrierten Regionen recht viel. So werden etwa für das Fränkische Seenland, wo Endres zu Hause ist, mehrere Handbike-Touren aufgelistet.

Bernhard Endres, der selbst gern Handbike fährt, sind solche Angaben wichtig. Er kritisiert, dass in vielen Regionen gebündelte Informationen in der Form fehlen, wie sie „Leichter reisen“ abrufbar macht. „Ich will wissen, was ich vor Ort machen kann – Rollstuhlfahrer wollen genauso viel unternehmen wie Fußgänger.“ 

Für ihn ist deshalb die Wahl des Urlaubsorts mit „Recherche, Recherche“ verbunden, wie er sagt. Es ist eine andere Herangehensweise als bei Lilli Schickel.

Wissen bündeln und vernetzen

Die 23-Jährige weiß nun, dass es an der Playa de Palma einen barrierefreien Strand gibt - auch wenn sie ihn durch Zufall entdeckt hat, nicht durch Recherche. 

Eigentlich gibt es sogar zwei an der Playa de Palma, einen am Strandabschnitt 7, noch einen am Abschnitt 15. Auch an anderen Stränden auf Mallorca, an der Ostsee und anderswo gibt es solche Zugänge – aber verglichen mit den nicht barrierefreien Abschnitten ist die Zahl immer noch klein.

Erschwerend ist: Nicht immer sind solche Informationen leicht zu finden. Und Plattformen, die dieses Wissen bündeln, sind nicht leicht zu pflegen - gerade länderübergreifend. Aus Schickels Sicht ist es nicht nur deshalb wichtig, dass Rollstuhlfahrende sich auch untereinander vernetzen und ihre Erlebnisse teilen. 

„Dadurch, dass man die Tipps weitergibt, ist das im besten Fall wie so ein Spinnennetz, was sich aufbaut und immer dichter wird“, sagt Lilli Schickel. Sie engagiert sich bei der Plattform smalltalk-sma.de, auf der sich Betroffene mit spinaler Muskelatrophie austauschen und ihre Tipps und Erfahrungen weitergeben – auch rund ums Reisen.

Kreuzfahrten im Rollstuhl oft gut möglich

Am liebsten urlaubt Schickel übrigens nicht am, sondern auf dem Meer: 16 Kreuzfahrten hat sie schon gemacht, allesamt mit Aida Cruises. Die Schiffe sind nach ihren Erfahrungen überdurchschnittlich barrierefrei, es gibt spezielle Rollstuhlkabinen.

Einschränken lassen, wenn es um ihre Reiseziele geht, will die junge Frau sich jedenfalls nicht. „Allgemein gehe ich da, mit Absicht eigentlich, schon sehr naiv rein.“ Nur zwei Fragen sind dann für sie relevant: „Was gefällt mir? Was will ich sehen?“ (dpa)