Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Abnehmen durch SelbsttäuschungWie Sie Ihr Gehirn austricksen und ihre Ziele erreichen

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Beim Abnehmen kommt es nicht nur auf die Nahrungsauswahl an. (Symbolbild)

  1. Wer langfristig abnehmen will, ist mit einer Crash-Diät an der falschen Adresse. Das liege vor allem an der Konstitution des menschlichen Gehirns.
  2. Wie man jedoch sein Gehirn austricksen und nachhaltige Erfolge erzielen kann, lesen Sie hier.
  3. Aus unserem Archiv.

Deutschland ist im Abspeckfieber. Mehr als 80 Prozent haben in den vergangenen Jahren (2015-2017) mindestens einmal versucht, durch Ernährungsumstellung den Zeiger auf der Waage versöhnlich zu stimmen. Doch die Pläne scheitern in der Regel kläglich.

"Nur ganz wenige schaffen es, nach einer Diät ihr Gewicht zu halten", erklärt Traci Mann von der University of California. "Ein bis zwei Drittel nehmen danach sogar so stark zu, dass sie mehr Gewicht haben als vor der Diät." Die US-Forscherin hat die Datenlage zu den herkömmlichen Maßnahmen gegen Übergewicht abgeklopft. Ihr Resümee: "Diäten sind keine Antwort." In den ersten sechs Monaten gelänge es wohl einigen Anwendern, fünf bis zehn Kilogramm abzuspecken, doch längerfristig scheitern fast alle.

Das Gehirn ist Schuld

Christoph Klotter von der Hochschule Fulda sieht die Hauptgründe für das wiederholte Scheitern von Diäten im limbischen System. Dieser entwicklungsgeschichtlich alte Teil unseres Gehirns verlange "erbarmungslos nach Belohnungen", erklärt der Psychologe, "doch die kann ja eine auf Verzicht ausgelegte Diät nicht bieten". Sie werde vielmehr als Ausnahmezustand und Stress empfunden, die wir nur begrenzt ertragen können. "Früher oder später ist die Toleranzschwelle überschritten", warnt Klotter, "und wir kehren wieder zu unseren alten Ernährungsgewohnheiten zurück."

Doch es gibt Möglichkeiten, unser limbisches System auszutricksen. "Wenn ich ihm die positiven Erlebnisse durch opulentes Essen nehme, muss ich ihm als Ersatz andere Reize als Belohnung anbieten", rät Klotter. Beispielsweise, indem man sich jedes Mal, wenn man in der Diät wieder vier Wochen oder auch vier Kilogramm Gewichtsverlust weitergekommen ist, mit einem schönen Erlebnis belohnt - etwa einem Kinobesuch oder einem Kleid in der neuen Konfektionsgröße.

Jo-Jo aus der Steinzeit

Diäten münden oft im berüchtigten Jo-Jo-Effekt, dass man also nach dem Abspeckprogramm wieder mehr Fettdepots zulegt, als man vorher hatte. Seine Ursachen liegen in der Steinzeit, als wir noch als Jäger und Sammler in einer unsicheren Ernährungssituation lebten. Dadurch lernte der Organismus, Energie für Hungerzeiten einzusparen. Sofern die Kalorienzufuhr zurückging, schraubte er den Stoffwechsel herunter, um den Energiebedarf zu senken. Dieser Mechanismus gilt bis heute, mit

jeder Gewichtsabnahme von zehn Kilogramm sinkt der Kalorienbedarf um bis zu 500 Kalorien pro Tag. Was einerseits zur Folge hat, dass eine Diät mit jeder Woche schwerer wird. Und andererseits, dass der Körper nach ihrem Ende keine unmittelbare Verwendung mehr für die Kalorien aus der Alltagskost hat - und sie deshalb im Fettdepot abspeichert.

Prinzipiell kann man sich aber auch kulinarische Belohnungen gönnen. Und zwar weniger durch einen kalorienreichen Besuch der Eisdiele oder Konditorei, als vielmehr dadurch, dass man generell die Erlebnisqualität seiner Mahlzeiten erhöht, sich also für das Weniger-Essen durch Besser-Essen schadlos hält. Denn wer nicht nur die Kalorien, sondern auch Geschmack und ansprechende Optik aus seinem Speiseplan entfernt, wird ihn nicht lange durchhalten können. "Wer mehr Obst und Gemüse essen will, muss auch dafür sorgen, dass es ihm attraktiv erscheint", betont Klotter.

Wie man überhaupt die Belastungen während einer Diät nicht ausufern lassen sollte. Denn der Mensch verfügt nur über ein begrenztes Willens-Budget, er kann also nur eine begrenzte Anzahl von Schweinehunden in sich besiegen. So beschließen nicht wenige Diätwillige, neben ihrer Ernährung auch andere Dinge in ihrem Leben umzustellen, beispielsweise mehr Sport zu machen. Mit der Folge, dass meistens beides scheitert. Denn wer zusätzlich zur Diät, die er eigentlich nicht mag, noch einen Sport betreibt, den er nicht mag, bietet seinem limbischen System nicht gerade das an, was es als Belohnung versteht.

Nicht von Null auf Hundert starten

Auch mit Tabakentzug oder anderen aufwendigen Gesundheitsaktionen sollte man nicht ausgerechnet dann anfangen, wenn man mit der Diät beginnt. Und diese selbst sollte man mit positiven Aussagen unterlegen, statt ihren Verzichtaspekt auch noch zu untermauern: Mehr Obst und Gemüse zu essen klingt für das Gehirn motivierender als die restriktive Vorschrift, weniger Fleisch und Süßwaren zu essen. Ganz zu schweigen davon, dass utopische Ziele im Sinne von "Im Sommer hab' ich wieder meine Bikinifigur" mehr Frustpotenzial besitzen, als wenn man sich für jeden Monat ein realistisches Etappenziel im Sinne von "vier Kilo in vier Wochen" setzt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Brian Wansink von der Cornell University im US-Bundesstaat New York plädiert dafür, bei Ernährungsumstellungen generell nicht in großen Perspektiven zu denken, sondern an den kleinen Stellschrauben unseres Verhaltens anzusetzen: "Das Geheimnis besteht darin, dass man Stück für Stück die Gewohnheiten ändert und ohne großes Nachdenken gesünder isst." Und das lasse sich, wie der Psychologe in diversen Experimenten belegen konnte, am besten durch das sogenannte "Nudging" erreichen, was man mit Anstupsen oder Schubsen übersetzen kann. Seine Bedeutung: Kleine, fast beiläufige Veränderungen im Ernährungsumfeld sollen dahin führen, den Speiseplan umzustellen. "Denn es ist einfacher, die Umgebung zu ändern, als das Gehirn umzupolen", so Wansink.

In kleinen Schritten zum Ziel

So kann man beispielsweise als erstes den Beschluss fassen, nicht mehr hungrig im Supermarkt einkaufen zu gehen und keine Lebensmittel in Großpackungen mehr zu kaufen, denn die werden - weil man ja viel Reserve hat - in besonders großen Portionsschritten geleert. Als nächsten Schritt kann man Süßigkeiten, Chips und andere Kalorienbomben schwer zugänglich in den obersten oder untersten Küchenschubladen deponieren und besser die bunt gefüllte Obstschale als Accessoire mitten auf den Wohnzimmertisch stellen. Denn Bequemlichkeit verführt dazu, das zu essen, was in Reichweite ist, und das liegen zu lassen, was man nur unter großem Aufwand bekommen kann.

Hilfreich ist aber auch die Strategie, alle größeren Teller aus dem Haushalt zu verbannen und das Essen nur noch von kleineren Tellern zu verzehren. Der Grund: Auf ihnen wirken die die Portionen größer, so dass unser Gehirn glaubt, dass wir viel gegessen haben, und dementsprechend signalisiert, dass wir satt sind. Eine Selbsttäuschung, gewiss. Aber beim Abspecken muss es ja nicht um die Wahrheit gehen.