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Russischer Blogger spricht von „Schande“Bekommt Putin „falsche Informationen“ zu Russlands Krieg?

Lesezeit 4 Minuten
Am Dienstag hat sich Kremlchef Wladimir Putin seit längerer Zeit wieder ausführlich zum russischen Krieg gegen die Ukraine geäußert.

Am Dienstag hat sich Kremlchef Wladimir Putin seit längerer Zeit wieder ausführlich zum russischen Krieg gegen die Ukraine geäußert.

Wladimir Putin spricht über den Krieg – Experten halten die Worte für „wenig glaubwürdig“. Auch in Russland gibt es erhebliche Zweifel.

Wochenlang war Wladimir Putin weitestgehend von der Bildfläche verschwunden: Mit Beginn der ukrainischen Gegenoffensive meldete sich nun auch der russische Präsident in der Öffentlichkeit zurück – und empfing am Dienstag einige russische Militärkorrespondenten und Blogger.

Wladimir Putin will keine Zahlen nennen

Kritische Stimmen waren nicht geladen – Putin nutzte die Zusammenkunft, um sich mit seinen Unterstützern zu versammeln. „Meiner Berechnung nach hat die Ukraine 25 bis 30 Prozent der vom Ausland gelieferten Technik verloren“, berichtete Putin. „Nicht an einem Frontabschnitt hat der Gegner Erfolg gehabt“, behauptete er weiter.

Zahlen wollte Putin allerdings nicht nennen – laut westlichen Experten und manchen russischen Militärbloggern ein Indiz dafür, dass es sich bei den Angaben des Kremlchefs erneut vor allem um Propaganda handelt, die in erster Linie eine innenpolitische Wirkung entfalten soll. Seit Kriegsbeginn haben sich russische Informationen immer wieder als unwahr herausgestellt. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht.

Zweifel sind jedoch angebracht: Bereits in der Vorwoche berichtete Moskau von angeblich zerstörten Leopard-Panzern, die sich schließlich als Mähdrescher und Traktoren entpuppten. Putin behauptete nun zudem erneut, dass die Ukraine den Kachowka-Staudamm zerstört habe – auch dafür legte er keine Beweise vor.

Zweifel an den Worten Wladimir Putins: „Das wirkt mittlerweile alles immer weniger glaubwürdig“

Bisherige Indizien deuten nicht auf Kiew hin – im Gegenteil. Der ukrainische Geheimdienst veröffentlichte in der vergangenen Woche den Mitschnitt eines Gesprächs russischer Soldaten. Auch dort hieß es, russische Streitkräfte seien für die Sprengung des Damms, der sich seit Monaten in russischer Hand befindet, verantwortlich.

„Putin zieht seine ‚Tough Guy‘-Nummer, der alles unter Kontrolle hat, wie üblich durch“, kommentierte der Historiker Matthäus Wehowski den jüngsten Auftritt des russischen Machthabers. „Das wirkt mittlerweile alles immer weniger glaubwürdig“, schrieb der Osteuropa-Experte bei Twitter.

Westliche Experten vermuten Strategie hinter Auftritt von Wladimir Putin

Zu einem ähnlichen Schluss kommen auch die Experten des US-Thinktanks „Institute for the Study of War“ (ISW). In ihrem aktuellen Lagebericht schreiben sie, dass es Putins Strategie sei, die ukrainischen Verluste „systematisch“ zu übertreiben und somit „falsch darzustellen“. Damit wolle Putin die ukrainische Gegenoffensive als gescheitert darstellen und sich so innenpolitische Unterstützung sichern.

Gleichzeitig zielten die Worte Putins auch darauf ab, den Westen zu entmutigen und so weitere Waffenlieferungen an Kiew zu verhindern. Tatsächlich konnte die Ukraine in den letzten Tagen erste Erfolge bei ihrer Gegenoffensive aufweisen, in mehreren zuvor besetzten Dörfern wehte in den letzten Tagen wieder die ukrainische Flagge. Zudem bezeichnete Putin die Einstellung von westlichen Waffenlieferungen als Bedingung für mögliche Friedensgespräche.

Wladimir Putin: Fürchtet der „risikoscheue Akteur“ die Reaktion der russischen Gesellschaft?

Das Kriegsrecht will der Kremlchef unterdessen weiterhin nicht verhängen, erklärte Putin am Dienstag. Auch eine erneute Teilmobilisierung sei derzeit nicht geplant. Den Experten des ISW zufolge zögert der Kremlchef nicht ohne Grund mit diesen Schritten: Putin sei weiterhin ein „risikoscheuer Akteur“, schreiben die US-Beobachter, der Kremlchef wolle mit dem Verzicht auf das Kriegsrecht oder eine weitere Mobilisierung verhindern, „die russische Gesellschaft zu verärgern“, hieß es weiter.

Wladimir Putin im Gespräch mit handverlesenen russischen Militärkorrespondenten. Der Kremlchef nutzte das Treffen mit den Berichterstattern, um die ukrainische Gegenoffensive kleinzureden - Belege lieferte er für seine Angaben nicht.

Wladimir Putin im Gespräch mit handverlesenen russischen Militärkorrespondenten. Der Kremlchef nutzte das Treffen mit den Berichterstattern, um die ukrainische Gegenoffensive kleinzureden - Belege lieferte er für seine Angaben nicht.

Dafür spreche auch, dass Putin für das Treffen ausschließlich kremlfreundliche Berichterstatter eingeladen habe. Die wachsende Unzufriedenheit über russische Rückschläge in der Ukraine solle so zerstreut werden. Das, so analysieren es die ISW-Experten, sei eine direkte Folge davon, dass der Kreml es versäumt habe, „eine wirksame Social-Media-Strategie aufzubauen“ und die russische Gesellschaft auf einen langwierigen und schweren Krieg vorzubereiten.

Russischer Militärblogger widerspricht: Bekommt Wladimir Putin falsche Informationen zum Krieg?

Zweifel an den Worten Putins werden unterdessen nicht nur von westlichen Experten geweckt. Auch in den eigenen Reihen gibt es Widerspruch nach dem Auftritt des Kremlchefs. So reagierte der ultranationalistische Militärblogger und einstige russische Offizier Igor Girkin ungehalten auf Putins Worte.

„Das ist eine Schande“, schrieb Girkin in seinem Telegram-Kanal. Putins Worte würden darauf hindeuten, dass das russische Verteidigungsministerium den Kremlchef weiterhin nicht über die wahre Situation auf dem Schlachtfeld informiere, sondern ihn mit „falschen Informationen“ versorge, erklärte Girkin. Bereits in der Vergangenheit hatten sowohl westliche als auch russische Beobachter diesen Verdacht geäußert.

Dass Putins Aussagen mit der Realität in der Ukraine nicht immer viel zu tun haben müssen, wurde unterdessen bereits vor seinem Treffen mit den Militärkorrespondenten am Dienstag deutlich. Zu Wochenbeginn kursierte ein Video des Kremlchefs, in dem Putin angebliche ukrainische Angriffe auf „Wohngebiete“ kritisiert, er könnte das einfach nicht verstehen. „Es hat keinen Zweck“, erklärte Putin ungeachtet der nahezu täglichen Angriffe russischer Streitkräfte auf zivile Infrastruktur und Wohngebäude in der Ukraine seit Kriegsbeginn.

Die russischen Angriffe setzten sich auch nach Putins Äußerungen fort: Am Mittwochmorgen meldeten ukrainische Behörden drei getötete Zivilisten nach einem Raketenangriff auf die ukrainische Großstadt Odessa. Auch in der Region Donezk seien drei Menschen von russischen Raketen getötet und mehrere Häuser zerstört worden. Zudem wurde bekannt gegeben, dass am Vortag in der nordöstlichen Grenzregion Sumy sechs Menschen durch russischen Artilleriebeschuss gestorben seien, darunter vier Mitarbeiter eines Forstamtes.