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Wahlkampf in der TürkeiErdogan zeigt Schwäche

Lesezeit 3 Minuten
Recep Tayyip Erdogan sitzt an einem Tisch und hebt die rechte Hand.

Blass und müde wirkte Recep Tayyip Erdogan, als er gestern per Video aus dem Präsidentenpalast zur Eröffnungsfeier für das erste türkische Atomkraftwerk zugeschaltet wurde.

Der amtierende Präsident hatte vor, zum Start der heißen Phase verloren gegangenes Terrain aufzuholen. Doch nun muss er Auftritte wegen Krankheit absagen.

In Europa können Auslandstürken seit Donnerstag ihre Stimme für die Wahl am 14. Mai abgeben – doch auf die Ermunterung von Recep Tayyip Erdogan müssen sie verzichten: Der Staatspräsident sagte einen für den Abend geplanten Auftritt bei türkischen Auslands-Fernsehsendern aus gesundheitlichen Gründen ab.

Schon seit zwei Tagen muss der 69-jährige nach einem Schwächeanfall seine Wahlkampfauftritte in Anatolien streichen. Nur per Videoschalte konnte er am Donnerstag an der Einweihung des ersten türkischen Atomkraftwerkes teilnehmen. Erdogans gesundheitliche Probleme offenbaren eine politische Schwäche. Denn eigentlich wollte der Präsident diese Woche in die Offensive gehen, um aus einem Umfragetief herauszukommen. Daraus wird nun erst einmal nichts.

Live-Sendung abgebrochen

Erdogans Probleme begannen am Dienstag. Nach einem langen Tag auf Wahlkampftour wollte der Präsident am Abend einem regierungsfreundlichen Fernsehsender ein Interview geben. Zunächst verzögerte sich der Beginn der Sendung, dann begann Erdogan während der Frage eines Journalisten zu röcheln. Die Kamera blieb auf den Fragesteller gerichtet, der besorgt auf den Präsidenten schaute. „Ohweh, ohweh“, war Erdogans Stimme noch zu hören, dann brach die Live-Sendung ab. Als Erdogan 20 Minuten später wieder auf dem Bildschirm erschien, bat er die Zuschauer um Entschuldigung: Er habe eine Magenverstimmung.

Erdogan sagte daraufhin zunächst seine Wahlkampftermine für Mittwoch ab. Doch dann ließ er auch am Donnerstag zwei Veranstaltungen ausfallen. Während seines Video-Auftritts bei der Einweihung des von einer russischen Firma für 20 Milliarden Dollar gebauten Atomkraftwerkes im südtürkischen Akkuyu, das eines Tages zehn Prozent des Strombedarfs im Land liefern soll, wirkte Erdogan blass und müde, besonders im Vergleich zu dem ein Jahr älteren, aber wesentlich lebhafteren Kremlchef Wladimir Putin, der ebenfalls per Video zugeschaltet war.

„Haltlose Desinformation“

Für einen Mann seines Alters sind Erdogans gesundheitliche Probleme im Wahlkampfstress nichts Ungewöhnliches. Dass er mindestens zwei Tage außer Gefecht war, deutet jedoch darauf hin, dass seine Erkrankung ernster sein könnte als zunächst angenommen. In der Gerüchteküche auf Twitter wurde aus der Magenverstimmung ein Herzinfarkt und aus der Ruhepause eine Krankenhauseinlieferung. Erdogans Informationsdirektor Fahrettin Altun sah sich gezwungen, dies als haltlose Desinformation zurückzuweisen.

Um Erdogans Gesundheitszustand ranken sich seit Jahren viele Spekulationen, häufig befeuert vom Wunschdenken seiner Gegner. Auch diesmal bemüht sich die Regierung, die Probleme des Präsidenten herunterzuspielen. Vizepräsident Fuat Oktay erklärte, Erdogan habe lediglich eine leichte Erkältung. Erdogan-Anhänger in den Medien schwärmten, die Anteilnahme der Bürger nach Erdogans Schwächeanfall vom Dienstag zeige, wie beliebt Erdogan bei den Türken sei. Der Wahlsieg von Erdogan und seiner Partei AKP bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai sei sicher, schrieb Altun auf Twitter.

Außerhalb des Regierungslagers wachsen jedoch die Zweifel an Erdogans Wahlchancen. In den meisten Umfragen liegt der Präsident hinter seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu; bei der Parlamentswahl ist die Mehrheit der AKP und ihrer rechtsnationalen Partnerin MHP in der Volksvertretung in Gefahr.

Der Journalist Fatih Altayli von der Internetzeitung Habertürk erinnerte seine Leser daran, dass Erdogan ursprünglich in Erwartung eines sicheren Sieges weniger Auftritte geplant habe als bei früheren Wahlkämpfen. Dass er nun aber trotz seiner ohnehin hohen Arbeitsbelastung als Staatschef wieder über die Dörfer ziehe, sei ein Hinweis darauf, dass sich die Regierung ihrer Sache weniger sicher sei, als sie öffentlich zugebe, schrieb Altayli.