Volker Wissing hat Nerven. Obwohl die halbe EU wegen seines Widerstands gegen das Verbrenner-Aus auf der Zinne ist, bleibt der FDP-Verkehrsminister bei seiner Position. Im Interview erläutert er seine Beweggründe und erklärt auch, warum er gegen Tempolimits und andere Restriktionen im Straßenverkehr ist.
Volker Wissing im InterviewGefährden Tempolimits den sozialen Frieden, Herr Minister?
Herr Minister, Verbrenner oder elektrisch: Was fahren Sie privat?
Ich selbst sitze kaum hinter dem Steuer. Die wenigen Fahrten, die ich in meiner pfälzischen Heimat mache, sind mühelos mit einem vollelektrischen Auto zu erledigen, deswegen steige ich im April von einem Plug-in-Hybrid auf einen reinen Stromer um. Meine Frau fährt einen Golf mit Benzinmotor. Den nutzen wir auch für längere Fahrten in den Urlaub.
In der EU sollen in zwölf Jahren keine Verbrenner mehr zugelassen werden, um das Klima zu schützen. Warum haben Sie so energisch für ein Schlupfloch gekämpft?
Hier geht es doch nicht um Schlupflöcher. Ich stehe voll hinter dem Beschluss, neue Autos, die mit fossilem Sprit fahren, ab 2035 nicht mehr zuzulassen. Wir wollen aber Technologieoffenheit. Wir wollen, dass Verbrennungsmotoren auch nach 2035 neu zugelassen werden können, wenn sie ausschließlich mit E-Fuels betankt werden. Und mit wir meine ich nicht nur mich, nicht nur die FDP, sondern die ganze Koalition. Das haben wir nämlich bereits im Koalitionsvertrag festgelegt.
Forderungen an die EU-Kommission
Gibt es denn jetzt eine Lösung, wie genau geht es weiter?
Wir haben der Kommission ein Schreiben mit unseren konkreten Forderungen geschickt. Dazu zählen ein Bekenntnis zur Technologieneutralität durch die Kommission und die Verankerung dieses Prinzips in der Flottengrenzwertregulierung, die sofortige Schaffung der Kategorie der E-Fuels-only-Fahrzeuge, damit diese unverzüglich im europäischen Recht verankert werden, sowie die Schaffung einer sofortigen Zulassungsmöglichkeit dieser Fahrzeuge. Bis spätestens zum Herbst dieses Jahres braucht es den Erlass eines sogenannten Delegated Acts, der die E-Fuels-Autos in die Flottengrenzwerte integriert und deren Zulassung nach 2023 rechtlich garantiert. Ich möchte zudem eine schriftliche Zusage der EU-Kommission, dass die Umsetzung auch im Rahmen der Revisionsklausel abgesichert wird. Unser Vorschlag eröffnet E-Fuels-only-Fahrzeugen eine klare Entwicklungsperspektive, weshalb wir mit Nachdruck daran festhalten. Wir gehen davon aus, dass damit nicht nur alle inhaltlichen, sondern auch die rechtlichen Fragen hinreichend beantwortet sind.
E-Fuels sind sündhaft teuer, knapp und ineffizient. Warum haben Sie sich dafür mit der halben EU angelegt und Kanzler Olaf Scholz auf dem EU-Gipfel in die Bredouille gebracht?
Die EU-Kommission hat ihre im vergangenen Jahr gemachte Zusage, eine Lösung für nur mit E-Fuels betankbare Verbrenner vorzulegen, bisher nicht eingehalten. Mir geht es um die Sache, um die Menschen und deren berechtigte Mobilitätsbedürfnisse und um die Erreichung unserer Klimaziele. Es wäre absurd, die Technik des Verbrennungsmotors in Europa zu begraben und das Potenzial synthetischer Kraftstoffe nicht voll zu nutzen. Wir brauchen E-Fuels für die Bestandsflotten, die ja auch klimaneutral bewegt werden müssen. Am Golf und in Afrika könnten in einigen Jahren enorme Mengen synthetischer Kraftstoffe produziert und nach Europa exportiert werden. Es gibt Einschätzungen in der Branche, wonach ein Liter E-Fuel eines Tages so preiswert sein könnte wie heute der Liter Diesel oder Benzin. Und niemand kann garantieren, dass in 15, 20 Jahren ausreichend bezahlbare Elektrofahrzeuge auf dem Markt sind. Sollen wir dann preiswerte Verbrenner aus China importieren, wo doch die besten Verbrenner der Welt heute in Deutschland gebaut werden? Das wäre nicht nur industriepolitisch unklug. Deswegen meine Devise: Wir müssen uns alle Möglichkeiten der klimaneutralen Mobilität offen halten.
Auch, weil ein Mangel an Ökostrom und Rohstoffen die Elektro-Revolution gefährdet?
Wir haben in der Tat mehrere offene Fragen. Der Netzausbau ist noch lange nicht erledigt. Die Ladesäulen-Infrastruktur in Städten wird eine gewaltige Herausforderung bleiben. Die Rohstoffe für elektrische Fahrzeuge sind begrenzt, das ist ein Preistreiber. Mobilität muss aber auch in den kommenden Jahrzehnten bezahlbar bleiben, gerade im ländlichen Raum. Auch daher kommt mein Einsatz für technologieoffene Lösungen. Wir müssen es schaffen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt auch während und nach der Transformation zu wahren. Dafür dürfen die Kosten für Mobilität – ob für das Autofahren, aber auch für das Fliegen – nicht explodieren. Das würde die Gesellschaft spalten. Und deswegen dürfen wir keine technischen Optionen ausschließen.
Sozialer Sprengstoff
Den sozialen Frieden erhalten und das Klima schützen: Beides geht im Verkehr nicht?
Beides muss gehen. Und wir haben es geschafft, 2022 die Pariser Klimaschutzziele einzuhalten. Die Vorgängerregierung hat aber zusätzlich zum Paris-Prozess Ziele für einzelne Sektoren gesetzt, und das birgt sozialen Sprengstoff. Beim Bauen und Wohnen würden rapide Emissionsminderungen Millionen Haushalte zwingen, ihre Gasheizungen auszubauen, umzuziehen oder im Kalten zu sitzen. Und im Verkehr würde es ebenfalls auf Einschränkungen und Verbote hinauslaufen. Beides würde zu massiven Verwerfungen führen, extremistische Parteien stärken, die Demokratie schädigen und damit nicht dem Klimaschutz helfen.
Ein Tempolimit würde den sozialen Frieden sprengen?
Das Tempolimit würde unser Klimaproblem nicht ansatzweise lösen. Die Umstellung auf klimaneutrale Antriebe ist der sinnvollere Weg, auf den sich diese Koalition geeinigt hat. Die Zukunft liegt außerdem in einer intelligenten Geschwindigkeitssteuerung.
Geht es nach FDP-Parteivize Johannes Vogel, liegt die Zukunft in einer deutlich höheren CO2-Bepreisung und einem CO2-Deckel. Das wiederum würde Diesel und Benzin drastisch verteuern…
Anreize über den Preis zu steuern, ist grundsätzlich eine gute Idee, das sorgt für maximalen Klimaschutz. Aber auch dabei dürfen wir niemanden überfordern, gerade was Pendler auf dem Land betrifft. Solange die Elektromobilität noch nicht für jeden bezahlbar ist, solange das ÖPNV-Angebot nicht überall ausreicht, müssen wir auf die Preisentwicklung achten.
Der Kampf gegen die Erderwärmung muss warten?
Der hat doch längst begonnen! Wir warten nicht, sondern arbeiten jeden Tag an klimafreundlichen Mobilitätsangeboten. Der Vorschlag für das 9-Euro-Ticket und seinen Nachfolger das Deutschlandticket stammt von mir. Das ist die größte Reform in diesem Bereich, die wir je hatten. Das Ticket macht den ÖPNV preiswerter, moderner und attraktiver. Wir arbeiten intensiv am Hochlauf der E-Ladeinfrastruktur. Ich setze mich für die Installation von PV-Anlagen zur Ladung des eigenen Elektroautos ein. Ich habe die Weichen bei der Bahn neu gestellt. Wir arbeiten intensiv an sicheren Fahrradwegen, fördern Projekte zur Herstellung von E-Fuels und vieles mehr. Aber ich möchte die Menschen auf diesem Weg mitnehmen und nicht mit Verboten und Verteuerung ausgrenzen. Ich will die Gesellschaft zusammenhalten und die Demokratie stark halten. Deswegen macht mir auch die Radikalisierung der Aktivisten-Szene in Wort und Tat Sorge. Ich wünsche mir gerade von der jüngeren Generation, dass sie sich konstruktiv mit Ideen einbringt, wie wir den Zusammenhalt sichern und das Klima schützen. Ich mache mir darüber täglich Gedanken und arbeite an guten Lösungen. Den einen Hebel, den man einfach umlegen könnte, den gibt es allerdings nicht.
Immer Interesse an guten Lösungen
Wie groß ist Ihr Ampel-Frust vor dem Koalitionsausschuss am Sonntagabend? Die Regierung steht ja gerade eher für Zoff als für Zeitenwende…
Ich habe immer ein Interesse an guten Lösungen. Im letzten Jahr haben wir das auch gut hinbekommen. Da haben wir in der Krise gemeinsam schnell entschieden: Sicherung der Energieversorgung, Klimaschutz, Modernisierung, Innovation, 9- und dann 49-Euro-Ticket, Fortschritte bei der Digitalisierung… Daran sollten wir anknüpfen. Es bringt uns als Gesellschaft nicht weiter, wenn der Eindruck entsteht, dass die Regierung permanent Selbstkritik übt.
Sie meinen die Grünen?
Wenn eine Regierungsfraktion so offen und deutlich Kritik an einem der eigenen Minister übt, frage ich mich als Bürger, warum machen die das Bündnis überhaupt? Durch diese Art der Kommunikation trägt die Ampel ein Störgefühl in die Bevölkerung, und das in dieser schwierigen Zeit mit Krieg, Transformation und nun auch noch Banken-Sorgen. Die eigentliche Stärke dieses Dreier-Bündnisses ist es doch, dass wir mehr abdecken als Rot-Grün allein. Wir sollten uns darauf zurückbesinnen, gemeinsam Lösungen zu finden, denn wir haben ja eine sehr ehrgeizige gemeinsame Agenda. Daran arbeite ich.
Kommen Sie den Grünen im Streit über neue Autobahnen entgegen?
Wir sollten die Autobahnen nicht verteufeln, ohne sie können wir übrigens auch keine Windräder transportieren. Dass die Genehmigungsverfahren für viele Infrastrukturvorhaben beschleunigt werden, sollte eigentlich Konsens sein: Ich hoffe, die Grünen geben ihre Blockadehaltung auf. Denn bei den Straßenbauprojekten geht es nicht um Ideologie, sondern um den realen Bedarf der Bevölkerung. Die Prognosen sagen ein Wachstum beim Güterverkehr auf der Straße um 54 Prozent bis 2051 voraus, der nicht auf die Schiene zu verlagern ist. Wir müssen uns hier ehrlich machen. Ich will die Gesellschaft nicht in den Stau schicken, und auch nicht Wohlstand und Arbeitsplätze gefährden, Das müssen wir aber auch nicht, denn wir können den Individual- und den Güterverkehr auf der Straße auf klimaneutrale Antriebe umstellen. Das ist bis 2045 mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schaffen.
Will die FDP am Sonntag auch nochmal über das Atom-Aus sprechen?
Unsere Haltung ist klar. Wir halten das Aus am 15. April für falsch. Die Grünen wollen es so. Es ist gut, wenn die Unterschiede sichtbar werden und die Bürgerinnen und Bürger ihre Wahlentscheidung daran ausrichten können.